Die Kfz-Innung Region Stuttgart prangert zum Start des Dieselfahrverbots in der baden-württembergischen Landeshauptstadt ein rechtliches Chaos an. In der Kritik stehen vor allem die politischen Entscheidungsträger in Berlin. "Weil dem Bundestag und der Bundesregierung der Winterurlaub wichtiger war als klare Regelungen, haben wir jetzt die Diesel-Anarchie", sagt Obermeister Torsten Treiber einer Mitteilung zufolge. Betroffene Euro-4-Diesel würden sich seit Jahresbeginn im rechtsfreien Raum bewegen.
In Stuttgart ist seit 1. Januar 2019 das bundesweit erste großflächige Diesel-Fahrverbot zur Luftreinhaltung in Kraft. Diesel der Abgasnorm 4 und schlechter dürfen dort nicht mehr in die Umweltzone fahren. Für Anwohner gilt eine Übergangsfrist bis zum 1. April.
Doch hat das Verbot tatsächlich Bestand? Die Kfz-Innung Region Stuttgart verweist besonders auf Seite 65 des Luftreinhalteplans für Stuttgart: "Auf Bundesebene ist eine gesetzliche Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes in Planung, nach der unter anderem Fahrzeuge der Schadstoffklassen Euro 4 und 5 von Verkehrsverboten ausgenommen sind, soweit diese im praktischen Fahrbetrieb weniger als 270 mg Stickstoffoxide pro km ausstoßen ("real driving emissions"). Zudem soll es noch weitere Ausnahmen geben. Sofern diese oder eine entsprechende Gesetzesänderung in Kraft treten wird, sind die genannten Fahrzeuge voraussichtlich kraft Gesetzes von dem ganzjährigen Verkehrsverbot in der Umweltzone Stuttgart (M1) ausgenommen. Einer gesonderten Ausnahme bedarf es daher nicht mehr."
Nach Ansicht von Treiber kann der Diesel, für den Stuttgart ab sofort tabu ist, womöglich in ein paar Wochen wieder freie Fahrt haben. Aber es geht noch verwirrender. Treiber: "Manche Euro-4-Diesel sind von den Schadstoffwerten her eigentlich Euro-5-Diesel – und für Euro-5 gilt das Fahrverbot ja nicht. Gleichwertigen Euro-4 hilft das im Moment aber nichts."
Der Bundesrat hatte Mitte Dezember über den Gesetzentwurf der Bundesregierung (Klassifikation "eilbedürftig") entschieden und der 270 mg/km-Regel zugestimmt. Allerdings forderte er auch eine Liste der Euro-4-Diesel, die den Wert einhalten, denn es bleibe "unklar, wer für die genannten Fahrzeuge Kompatibilitätstest durchführen wird, daher wird die Bundesregierung aufgefordert, zeitgleich mit der Rechtskraft dieses nationalstaatlichen Alleingangs eine Liste der Fahrzeuge vorzulegen, die den Grenzwert von 270 mg/km Stickstoffoxid im Realbetrieb einhalten können". Danach verabschiedete sich das politische Berlin in die Weihnachtspause, ehe sich Verkehrsminister Andreas Scheuer aus dem Urlaub mit der Diesel-Botschaft meldete: Der Weg für Nachrüstsysteme werde freigemacht.
Müssen Euro-4-Diesel überhaupt nachgerüstet werden?
"Der Witz bei den Euro-4-Dieseln ist allerdings, dass ein Teil womöglich gar keine Nachrüstung braucht", betont Innungsgeschäftsführer Christian Reher: "Bei denen wurde nach allem, was wir wissen, keine Schummelsoftware eingesetzt. Für Euro-4-Diesel gilt seit 2005 ein Grenzwert von 250 mg/km, die können also schon kraft Technik und ohne Nachrüstung unter der 270-mg/km-Linie liegen." Allerdings ist nicht der Prüfstandwert der Maßstab, sondern der Fahrbetriebswert (RDE).
Trotzdem sieht die Innung für diese Fahrzeuge "gute Chancen". Die Verantwortlichen ziehen dafür das Beispiel eines Skoda Octavia aus dem Jahr 2006 mit einem Prüfstandwert von 164 mg/km NOx heran. Das Modell hält eigentlich schon die Euro-5-NOx-Norm ein (180 mg/km) oder genauer alle Schadstoffwerte, die ab 2009 für Euro-5-Diesel vorgeschrieben waren. Treiber: "Er konnte aber noch nicht in die Euro-5-Norm eingestuft werden, weil es die noch gar nicht gab."
Einem einfachen Norm-Upgrade hat das Verkehrsministerium Baden-Württembergs bereits eine Absage erteilt. Die Kfz-Innung zitiert einen Ministeriumssprecher mit den Worten: "Eine Umstufung in eine höhere Abgasnorm ist im technischen Regelwerk nicht vorgesehen und somit nicht einfach möglich. Solche Umstufungen gibt es in der Regel nur auf Grundlage spezieller rechtlicher Regelungen zur StVZO, die aus einem bestimmten Grund vom Bundesgesetzgeber eingeführt werden."
So ein Grund wäre beispielsweise die technische Nachrüstung. Aber wenn es diese nicht braucht? Das Ministerium erachtet ein TÜV-Gutachten speziell für das Fahrzeug als Alternative. Das müsste dann aber jeder Halter selbst bezahlen. "Womit wir wieder bei der Liste wären, die wir schon seit Jahren fordern und die der Bundesrat jetzt auch will", so Treiber. "Schließlich ist es das Mindeste, dass nicht die Dieselfahrer diese Prüfungen bezahlen, sondern das ist Sache des Bundes. Wenn der mal wieder in die Gänge kommt." (AH)
Bruns