Seit das Auto rollen kann, haben die Chauffeure hinterm Steuer eines fest im Blick: das Cockpit. Früher vornehmlich mit analogen Rundinstrumenten bestückt, gerne in edles Holz eingelassen. Dann zunehmend digital, heute zumeist in riesige Display-Landschaften gebettet. Und morgen? Das hängt ganz entscheidend von der Innovationskraft der Automobuilzulieferer ab. Sie sind die stillen Riesen im Windschatten der großen Autohersteller, setzen Trends und prägen die Innenräume, das Design sowie die Technik unserer Autos entscheidend.
Wir sind bei Forvia in Hannover, einer dieser riesigen Player, der für den normalen Autofahrer ein komplett Unbekannter ist und nur selten Applaus bekommt. Der weltweit siebtgrößte Zulieferer spielt in einer Liga mit Continental, Magna oder ZF und ging vor zwei Jahren aus der Fusion von Faurecia und Hella hervor. Über 150.000 Menschen arbeiten in 260 Werken und in 75 Forschungs- und Entwicklungszentren weltweit für Forvia.
Größte Kunden sind VW, der Stellantis-Konzern und Renault, gemeinsam mit dem chinesischen Hersteller BYD wurde gerade ein Fertigungswerk in Ungarn eröffnet. Bei aktuellen Modellen wie dem VW ID. Buzz oder dem neuen Renault 5 E-Tech stammen die Inneneinrichtungen nahezu komplett von Forvia, Hella-Komponenten sind in fast jedem Fahrzeug montiert.
Forvia: Recycling spielt große Rolle
Globale Krisen, stagnierende Märkte und der Schwenk zur E-Mobilität setzen Zulieferer derzeit unter Druck. Jüngst haben die deutschen Branchenriesen Bosch, ZF oder Schaeffler drastischen Stellenabbau angekündet. Auch an Forvia gehen die Turbulenzen natürlich nicht spurlos vorüber.
Was heute an Innovationen entwickelt wird, kommt oft erst in fünf bis zehn Jahren in Serie. Vorausgesetzt, es finden sich dafür überhaupt Abnehmer. Denn wie auf einem Marktplatz, muss auch Forvia seinen Kunden die Waren erst schmackhaft machen und die Einkäufer von der Innovationskraft der Produkte überzeugen. Und das Ganze zu einem Preis, der vor allem den OEMs, also den Herstellern schmeckt.
Neben immer höheren Anforderungen an Crashsicherheit spielt die Kreislaufwirtschaft eine zunehmend wichtige Rolle. Die EU-Kommission hat die bestehenden Regeln für die Wiederverwendung, Recycling und Verwertung von Fahrzeugen und Teilen 2023 deutlich verschärft. Das gilt vorerst nur für Automobile aus europäischer Produktion, in China, Korea oder der USA gefertigte Autos sind nicht betroffen.
So müssen künftig unter anderem 25 Prozent des Kunststoffes, der für den Bau eines neuen Fahrzeugs verwendet wird, aus dem Recycling stammen. Es gibt zudem exakte Vorgaben, wie viel CO2 jedes Teil bei der Produktion verbrauchen darf. Eine immense Herausforderung, die viel Geld kostet, aber auch Innovationen treibt.
Jeder vierte Sitz kommt von Forvia
Sitzentwicklung und -fertigung sind ein wichtiges Standbein des Unternehmens. Jeder vierte weltweit in einem Serienauto montierte Sitz kommt von Forvia. So arbeitet man längst an modularen Vordersitzen, die sich über ein Klicksystem ruckzuck wie Legosteine zusammen- und wieder auseinanderbauen lassen. Die Sitzstrukturen sind dabei vollständig aus dekarbonisiertem Stahl hergestellt, auch bekannt als grüner Stahl.
Die Modularität optimiert nicht nur die Recyclingfähigkeit, sondern auch das schnelle Austauschen von verschlissenen Polstern oder die problemlose Nachrüstung von Komfortextras. Sitzheizungen, Belüftungen, Massagefunktionen oder Lautsprecher in Kopfstützen sind bereits in vorgefertigten Modulen integriert. Mithilfe von Magneten lassen sich die Polster auf den Rücksitzen ebenfalls leicht trennen, die Bezüge bestehen aus vollständig recycelbarem Garn.
Auch das gute alte Schaumpolster hat bald ausgespielt. Er ist nur unter enormer Hitze und unter Zugabe toxischer Substanzen überhaupt recycelbar. Forvias Lösung heißt "Aura-Loop", Polyester-Fasern, die die gleichen Eigenschaften wie Schaum besitzen, von der Dauerfestigkeit aber viel besser sein sollen. Die Polymere sind zu 100 Prozent recycelbar und voll kreislauffähig. Das Material besteht bis zu 40 Prozent aus Verschnitt, der zum Beispiel beim Beschneiden von Innenraumteilen anfällt. Mit einem Serieneinsatz rechnet Forvia etwa 2027.
Forvia: "Phygitale Oberflächenaktivierung"
Die Umsetzung vieler anderer Ideen dürfte noch ein paar Jahre länger dauern. Das "Innovative Sitzkonzept" zum Beispiel, bei dem Sessel und Bänke elektrisch auf Schienen durch den Raum gleiten, zielt klar auf die Zeit des autonomen Fahrens. Zudem spielt das Forschungsmodell mit Lichtkacheln im oberen Bereich der Türen, die eine scheinbare Transparenz erzeugen oder mit der sogenannten "phygitalen Oberflächenaktivierung", die Technologien nahtlos in Oberflächen integriert. Das OMS-System, das über Augen-Tracking funktioniert, ist hingegen deutlich näher an einem Serieneinsatz. Kameras scannen dabei die Augen des Fahrers und aktivieren Funktionen, mit denen er Blickkontakt aufnimmt.
Intelligente, farbige Lichtkonzepte außen sind bereits kurz vor dem Durchbruch. Mikrooptiken, kleiner als ein Salzkorn, erlauben hier mittlerweile eine Modultiefe von nur noch fünf Millimetern, was Designern ganz neue Möglichkeiten eröffnet.
AirVision heißt hier die neueste Innovation
Hella spielt mit unterschiedlichen Lichtfunktionen, die in nur einem Lichtelement umgesetzt werden können. Über Lichtstreifen an Front und Heck werden Symbole oder ganze Sätze abgebildet. Auf die Straße projizierte Signalfunktionen warnen andere Autos, Passanten oder Radfahrer. In China ist das bereits angesagt, der neue Lynk & Co aus dem Hause Geely soll in Kürze mit ähnlicher Technik kommen. Bei uns scheitert die Einführung vorerst noch an Regularien.
Und auch die Geschichte des Cockpits ist längst noch nicht auserzählt. "Air-Vision" heißt hier die neueste Innovation. Bis zu drei Displays unter einem ultraflachen Cockpitdach reflektieren dabei ihr Licht auf eine schräge Glasscheibe darunter, die sich über die komplette Armaturenbrettbreite erstreckt. Das Ergebnis ist umwerfend plastisch, gestochen scharf und komplett surreal. Bei der Vorführung schwebten kleine Fische durch das projizierte Meer und verschwammen im wahrsten Sinne des Wortes zu realen Wesen. Seit das Auto rollen kann, haben die Chauffeure hinterm Steuer so etwas garantiert noch nicht gesehen.