Von Claudia Drescher/dpa
Mit der Gründung seiner Motorwagen-Werke legte August Horch vor 114 Jahren den Grundstein für den Zwickauer Automobilbau. Sachsenring, Trabi, Audi, VW - ohne den damals erst 36 Jahre alten Autopionier nicht denkbar. Auf 6.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche lässt das August-Horch-Museum die automobile Geschichte der Region lebendig werden - von den Anfängen am 10. Mai 1904 bis heute. "Was aber lange Zeit fehlte, war ein Fahrzeug aus dieser Anfangszeit. Das wollen wir ändern", sagt Bernd Czekalla.
Der 67-Jährige mit dem markanten Schnauzbart ist Geschäftsführer des Fördervereins des Museums. Gemeinsam mit 15 weiteren Oldtimer-Fans arbeitet er seit sechs Jahren daran, das erste von Horch in Zwickau produzierte Auto nachzubauen: den Horch 14 - 17 PS Tonneau. Die erste Baustufe mit Fahrgestell, Motorumhausung, Kühler, Achsen und Rädern steht seit der Erweiterung des Museums im vergangenen Jahr nun genau dort, wo die jährlich rund 75.000 Besucher ihren Rundgang beginnen.
"Nun arbeiten wir parallel am Triebwerksstrang und an der Karosserie", sagt Czekalla. In einem hellen Raum im Obergeschoss des Museums befindet sich das "Konstruktionsbüro" des Vereins. Hier arbeitet das Kernteam an der Umsetzung - alles ehemalige Autokonstrukteure, Entwickler oder Fertigungsmitarbeiter. Während der 85-jährige Reiner Mosig am Triebwerksstrang werkelt und Rainer Fickert mit 76 Jahren am Reißbrett die Karosserie plant, nehmen zwei andere Vereinsmitglieder eine alte Ölverteilung auseinander, um die Funktionsweise zu ergründen und Einzelteile zu vermessen.
Kompletter Nachbau bis auf wenige Teile
"Bis auf einige wenige Teile - wie einen originalen Motor aus dem Museumsbestand - entwickeln und konstruieren wir das Fahrzeug komplett nach", erläutert der Vereinschef. Dafür konnte das Team anfangs nur auf ein historisches Foto, drei Zeichnungen und einen alten Verkaufskatalog zurückgreifen. Demnach gibt es nur ein vergleichbares Auto aus dem Jahr 1903: Der Horch Typ 10 - 12 PS gilt als derzeit ältester noch erhaltener Horch-Wagen und steht im Museum des Autobauers Audi in Ingolstadt. "Nach unseren Recherchen gibt es darüber hinaus noch in Schweden einen Horch von 1905 in Privatbesitz, sonst ist uns keiner aus dieser Zeit bekannt."
Kein Wunder. Denn von Massenproduktion konnte zu Beginn des Automobilbaus nicht die Rede sein: Im Gründungsjahr produzierte Horch gerade einmal 21 Stück des Typs 14 - 17 PS. Ein Jahr später folgten 31 weitere Fahrzeuge mit Viertakt-Benzinmotor und einer Höchstgeschwindigkeit von 65 Stundenkilometern. Der erste Zwickauer Horch zeige noch den Übergang von der Kutsche zum Auto und zahlreiche Komponenten, die später verschwanden, so Czekalla. "Wir wollen für die Nachwelt damit ein Fahrzeug schaffen, das es so sonst nicht mehr zu sehen gibt."
Das nötige Know-how haben die Männer im Alter zwischen 65 und 88 Jahren teilweise noch unter Horch selbst, später bei Sachsenring und Volkswagen erworben. Außerdem ist es das zweite Nachbau-Projekt des Fördervereins. Bereits 2011 übergaben die Autofans dem Zwickauer Museum einen nachgebauten Auto-Union-Rennwagen vom Typ C aus dem Jahr 1936, der inzwischen ebenfalls einen festen Platz in der Dauerausstellung hat.
Laut Kraftfahrzeug-Bundesamt gibt es bundesweit etwa 600.000 Oldtimer, das heißt Fahrzeuge, die älter als 30 Jahre sind. Rund 380.000 davon fahren mit einem Historienkennzeichen, das nur erteilt werde, wenn sich ein Fahrzeug im zeitgenössischen Originalzustand befinde, so eine Sprecherin. Wie viele davon aber mehr als 100 Jahre alt sind, könne man nicht sagen.
Umfangreiches Projekt mit vielen Partnern
Keinesfalls könne man ein solches Projekt allein stemmen, betont Bernd Czekalla. So arbeite man für die Konstruktion mit modernsten Computerprogrammen mit der Westsächsischen Hochschule Zwickau zusammen. Bislang seien rund 30 Studenten bei den beiden Nachbauten eingebunden gewesen. Insgesamt beteiligen sich am aktuellen Projekt knapp 70 Unternehmen. Neben Geldspenden sei der Förderverein vor allem auf Firmen angewiesen, die überhaupt noch so fertigen könnten wie vor 100 Jahren, sagt der Geschäftsführer.
So stammen beispielsweise die Achsen des nachgebauten Oldtimers aus einer Schmiede in Großenhain im Landkreis Meißen. Der 1896 gegründete Betrieb habe inzwischen anhand alter Aufzeichnungen festgestellt, dass einst schon August Horch Schmiedeteile bezog. Auch alte Messingteile wie Lampe oder Kühler ließ der Verein nachbauen. Die historisch korrekten Räder fertigten ein Stellmacher und ein Schmied an. Die Ballhupe entsteht bei einem Posaunenbauer aus dem vogtländischen Markneukirchen.
Das große Ziel: Der Horch 14 - 17 PS soll fahren - anders als der Rennwagen, der unter der Haube ohne Motor auskommen muss. Dafür treffen sich die Enthusiasten jede Woche an ein bis zwei Tagen. Bislang haben sie ehrenamtlich bereits mehr als 20.000 Arbeitsstunden in die Konstruktion gesteckt, damit der erste Zwickauer Horch 2020 tatsächlich in die Ausstellung fahren kann - die Lücke in Zwickaus Automobilgeschichte wäre geschlossen.