Von Michael Gebhardt/SP-X
Mit dem EQC hat Mercedes vor kurzem den Startschuss für seine Elektro-Offensive gegeben, auf der IAA schieben die Stuttgarter den stromernden Van EQV nach. Beide fahren rein elektrisch, sind aber noch nicht gänzlich in der neuen Welt angekommen: der Unterbau stammt hier wie da von konventionellen Modellen. Dem EQV sieht man deutlich an, dass dafür eine V-Klasse unter Strom gesetzt wurde – und auch der EQC kann seine Verwandtschaft zum GLC nicht ganz verhehlen.
Das soll sich zukünftig ändern: Ebenfalls auf der Frankfurter Autoschau IAA gibt der neue Vorstandsvorsitzende Ola Källenius nicht nur die Devise "Mercedes-Benz ist elektrisch" aus, sondern zeigt mit dem Showcar Vision EQS wie sich die Daimler-Verantwortlichen das zukünftige Design ihrer Elektro-Autos vorstellen. Gleichzeitig gibt die Studie einen Ausblick auf ein stromerndes Oberklassemodell.
Das Team rund um den Stuttgarter Chef-Kreativen Gorden Wagener spricht von "One Bow"-Proportionen und "fluider Spannung", zwei Design-Elementen, die stilprägend sein sollen für die zukünftigen EQ-Modelle. Heißt konkret: Der EQS ist lang und flach, duckt sich schnittig in den Wind und setzt auf runde, weiche Linien.
Um das Fahrzeug herum läuft ein Lichtband, in das die als Scheinwerfer dienenden, minimalistischen holografischen Linsen integriert sind; 940 Einzel-LEDs lassen außerdem den digitalen Kühlergrill erstrahlen – das sieht nicht nur schick aus, sondern dient auch zu Kommunikation mit der Außenwelt. Das Heck zieren 229 kleine, leuchtende Mercedes-Sterne, die ebenfalls als Lichtband ausgelegt das Markenlogo neu interpretieren. Das Ziel all dieser Design-Tricks und -Kniffe ist klar: Der EQS soll Begeisterung wecken, das Bedürfnis nach Fortbewegung mit dem Wunsch nach etwas Besonderem verbinden. Ob eine elektrische S-Klasse wirklich so aussehen wird, bleibt abzuwarten.
Yacht-Ambiente im Innenraum
Im Innenraum ist das durchaus wahrscheinlich, hier herrscht das gern von Autobauern zitierte, noble Yacht-Ambiente. Das Cockpit soll die beiden Front-Passagiere "umfließen wie ein Bootsdeck", bei der Materialauswahl setzt Mercedes auf nachhaltig produzierte Mikrofaser, Meeresplastik und heimisches Ahorn-Holz. Instrumententafel, Mittelkonsole und Armauflage verschmelzen zu einem einzigen Bauteil, die vier Fahrgäste sitzen, wie einem E-Auto üblich, luftig und locker. In Sachen Infotainment gibt Mercedes einen Ausblick auf die nächste Entwicklungsstufe des MBUX-System, das Kombiinstrument wird in das Armaturenbrett integriert, der zentrale, vorne etwas angehobene Touchscreen geht quasi nahtlos in die Armlehne über. Zusätzliche Anzeigen in den Seiten und ein analog zur Außenhaut umlaufendes Lichtband versorgen auch die beiden Passagiere im Fond mit weiteren Informationen.
Anders als EQC und EQV, die sich technisch noch an Modellen aus der alten Welt orientieren, basiert die Studie Vision EQS auf einer komplett neuen Elektro-Plattform. Radstand, Spurweite und vor allem Batteriegröße sind hier variabel, zukünftig sollen auf dem Unterbau verschiedenste Modelle entwickelt werden. Ein Konzept, das auch VW mit dem Elektro-Baukasten MEB verfolgt – um die Kosten zu senken. Den Antrieb selbst übernehmen im EQS zwei E-Motoren pro Achse, die als Allradantrieb zusammen 350 kW / 476 PS bereitstellen und die flache Flunder in 4,5 Sekunden auf Tempo 100 katapultieren. Die zwischen den Achsen verbaute Lithium-Ionen-Batterie, die von der Daimler-Tochter Accumotive zugeliefert wird, speichert in der Studie rund 100 Kilowattstunden Strom die dank einer besonders effizienten Betriebsstrategie für bis zu 700 WLTP-Kilometer reichen sollen. Aufladen lässt sich der EQS mit bis zu 350 kW, dann ist der Akku nach 20 Minuten wieder zu 80 Prozent gefüllt.
Erstaunlich: Während die meisten Studien dieser Tage völlig selbstständig fahren können sollen, setzt Mercedes "nur" auf Level-3-Autonomie. Zumindest im ersten Schritt: Der Vision EQS könnte, wenn er denn auf die Straße dürfte, den Fahrer unter anderem auf der Autobahn unterstützen und Lenkung, Gas und Bremse übernehmen, ohne dass der Lenker stets die Hände am Volant haben muss. Ein modulares Sensor-Konzept soll es aber ermöglichen, das Autonomie-Leven bis hin zum völlig selbstfahrenden Auto weiter zu entwickeln.