Von Holger Holzer/SP-X
Wie die Mobilität der Zukunft aussieht? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage hat auch die traditionsreiche IAA in Frankfurt nicht zu bieten. Die diesjährige Branchenschau oszilliert wie nie zuvor zwischen "weiter so" und "alles neu". Aber gerade deswegen kann sich ein Besuch der gegenüber 2017 kräftig geschrumpften Messe lohnen.
Möglicherweise wird man sich in 20 Jahren an die 2019er-IAA als jene Messe erinnern, die nicht nur Volkswagen, sondern die gesamte deutsche Autobranche gerettet hat. Wenn es so kommt, dann wohl vor allem wegen des VW ID.3 – des ersten wirklich ernst gemeinten Elektroautos für große Bevölkerungsteile. Der geräumige Kompaktwagen soll zum Käfer, oder besser noch zum Golf des anbrechenden Elektrozeitalters werden und als Hoffnungsträger den aus der Krise weisen. Ähnlich wie die beiden Klassiker soll der batteriebetriebene Fünftürer ein ganzes Marktsegment begründen und prägen. Knapp 30.000 Euro Startpreis, mindestens 330 Kilometer Reichweite und ein ansonsten beruhigend konventioneller Gesamteindruck sollen zunächst den bisherigen Golf- und Passat-Käufer überzeugen, dann der E-Mobilität zum Durchbruch verhelfen und schließlich seinem Hersteller saftige CO2-Strafzahlungen ersparen. VW hat darauf viel Geld gesetzt – so viel, dass ein Scheitern des Projekts für den Konzern eine lebensbedrohliche Katastrophe wäre.
Bezahlbare E-Mobilität
Der ID.3 ist so gesehen wohl das wichtigste E-Auto der Messe, längst aber nicht das einzige. Im Windschatten des Wolfsburgers fahren zahlreiche neue Stromer mit Mainstream-Potenzial vor, in erster Linie Kleinwagen wie Opel Corsa e, Honda e und Mini Electric, die akzeptable Reichweiten mit einigermaßen fairen Preisen vereinen. Erstmals auf einer IAA kann sich der Durchschnittsbesucher die E-Mobilität also nicht nur anschauen, sondern auch leisten.
Es könnten sogar noch viel mehr elektrische und elektrifizierte Modelle im Scheinwerferlicht stehen, wären Marken wie Peugeot, Citroen oder Polestar in Frankfurt vertreten. Doch auch sie zählen zu den rund 30 Herstellern, die in diesem Jahr nicht auf der IAA vertreten sind. Auch Volvo, Toyota, Fiat und Nissan fehlen. Dass es einige Absagen gibt, ist normal. Solch eine Menge jedoch lässt um die Zukunft der Messe fürchten. Auch wenn die Organisatoren leere Stände mit großzügigen Ruhezonen, Handy-Ladestationen und Oldtimer-Shows auffüllen: Statt des bisher üblichen Marktüberblicks gibt es für die Besucher diesmal nur einen Einblick. Zudem fehlt die übliche Gigantomanie bei Standdesign und Markenauftritt, die auch Abseits von Fahrzeugneuheiten Showwerte schuf; Mercedes etwa verzichtet auf den mehrstöckigen Aufbau in der Jahrhunderthalle und nutzt das sonst der Konzernschwester Smart vorbehaltene Foyer für die Autos mit dem Stern. In diesem Jahr fühlt man sich bei den Stuttgartern also eher wie in einem schicken Autohaus als wie in einem Pkw-Palast. Auch in anderen Hallen ist die 68. IAA diesmal mehr Schau als Show. Und zwar eine ziemlich deutsche.
Highlights IAA 2019
BildergalerieKernkompetenz der heimischen Autobauer ist seit Jahrzehnten das kräftig motorisierte fahrende Prestige-Objekt. Aktuell vor allem in Form von SUV. Drei coupéhafte Premierenmodelle dürften dabei Kritiker der Branche besonders provozieren: BMW X6, Audi Q3 Sportback und Mercedes GLE Coupé verbrauchen viel Sprit und können das nicht durch überlegenes Platzangebot oder besonderen Nutzwert rechtfertigen. Eine perfekte Zielscheibe also für die Argumente von Umweltschützern und Klimaaktivisten, die die IAA öffentlichkeitswirksam als Symbol für alles nutzen, was in der Mobilität aktuell schiefläuft. Diesmal soll der Protest dagegen ein neues Niveau erreichen – ausgerechnet in dem Jahr, in dem die IAA sichtbar Schwäche zeigt.
"Normale" Autos spielen Nebenrolle
Da hilft es wenig, wenn neben den Allrad-Wuchtbrummen elektrisch angetriebene Konzeptfahrzeuge stehen, bei Mercedes etwa der EQS, eine Oberklasselimousine mit Strommotor, die in den kommenden Jahren auf den Markt kommen soll. Das aktuelle, einträgliche Geschäftsmodell von heute trifft hier mit Wucht auf die Unsicherheiten einer künftigen, elektromobilen Welt. Dass man diese Polarisierung in Frankfurt so stark empfindet, liegt auch daran, dass "normale" Autos diesmal nur eine Nebenrolle spielen. Der umfassend geliftete Opel Astra, BMWs neuer 1er und der im Rahmen von Testfahrten gezeigte Kia Xceed zählen zu den wenigen starken Brot-und-Butter-Premieren.
Das Pendeln zwischen heute und morgen mag für die Fahrzeughersteller eine schwierige Situation sein, für den Kunden kann diese Polarisierung hingegen Erkenntnisgewinn bedeuten. Ein Rundgang über die im Vergleich zu den Vorjahren deutlich übersichtlichere Messe könnte helfen, eine Frage zu klären: Bin ich bereit für die Elektromobilität? Oder locken mich PS und bulliges SUV-Design immer noch stärker? Vielleicht ist die neue kleine IAA in dieser Hinsicht gesehen sogar die für Besucher interessanteste der vergangenen Jahre. Auch wenn sie am Ende keine allgemeingültigen Antworten geben kann.