Zwei Wochen stellen uns Hersteller gewöhnlich ihre Produkte zu Testzwecken zur Verfügung. Je nach Terminkalender bleibt den einzelnen Redakteuren dann Zeit für mehr oder weniger ausgiebige Probefahrten. Und die Zeit nahmen sich die asp-Redakteure diesmal besonders gerne, denn es wartete der Audi RS6 Avant.
"Höchstleistung für den Alltag" versprechen die Ingolstädter - und sie versprechen nicht zu viel. Von 0 auf 100 km/h spurtet der Sporttransporter in nur 3,9 Sekunden, der Vortrieb endet bei 305 km/h. Selbst auf deutschen Autobahnen ist dieses Leistungspotenzial kaum abrufbar. Und im Stau auf dem Mittleren Ring in München sind dann 450 Mehr-PS und 130.000 Euro Listenpreisunterschied im Vergleich zum kurz zuvor von uns gefahrenen Dacia Logan auch kein Garant für eine schnellere Ankunft am Zielort. Trotzdem: So ein Auto kann eigentlich nur begeistern, aber es macht auch nachdenklich, wie u.s. Pro- und Contra-Listen zeigen.
Frank Schlieben
Pro:
- 560 PS, 700 Nm und von Null auf 100 km/h in weniger als vier Sekunden, das klingt nicht nur nach Supersportwagen; daran können auch die rund zwei Tonnen Leergewicht nichts ändern.
- Phänomenale Beschleunigung! Aber fast noch mehr begeistern die Verzögerungswerte der Keramikbremsanlage; dass die angesichts V-max jenseits 300 km/h genauso wichtig ist wie die aggressiv gestaltet Frontpartie merkt man spätestens auf der Autobahn.
- Verblüfft hat, dass sich dieses Überauto trotz immenser Kraft auch wie ein 90 PS Familienkombi ganz entspannt durch die Stadt oder über Land bewegen lässt.
- Das Nachtsichtsystem funktioniert beeindruckend gut, verleitet allerdings dazu, es auch bei schlechten Sichtverhältnissen flott angehen zu lassen.
- Innenausstattung, Verarbeitung und Bedienung sind Audi-typisch über jeden Zweifel erhaben.
Contra:
- Ein Rätsel bleibt, mit welchen Tricks man in der Homologation einen EU-Drittelmix-Verbrauch von 9,8 Litern Superplus erreicht hat.
- Der Serientank ist angesichts von realistischen Verbräuchen zwischen 15 und 20 Litern mit 75 Litern Fassungsvermögen zu klein.
- Die viersitzige Ausführung mit zwei Sitzen auf der Rückbank ist nur bedingt familientauglich.
- Angesichts eines Grundpreises von 107.900 Euro ist die Aufpreisliste erstaunlich lang und war bei unserem Testfahrzeug (145.800 Euro) noch nicht ausgereizt.
Fazit:
Vorausgesetzt, das monatliche Haushaltsbudget ist entsprechend groß, ein faszinierender Rennsportwagen für die ganze Familie, der bei Passanten je nach Gesinnung Irritation, anerkennende Sprachlosigkeit oder auch nur verständnisloses Kopfschütteln auslöst.
Bernd Reich
Pro:
- Kompliment an Audi: Der Crossover zwischen Familienkutsche und Supersportwagen ist bemerkenswert gut gelungen und zeugt von viel Feinschliff im Detail. Eigentlich ist es ein kompromissloser Crossover zwischen Wildsau und Kuscheltier.
- Die in vielen Punkten individuell einstellbare Abstimmung von Lenkung, Fahrwerk, Getriebesteuerung etc. ist perfekt. Nahtlose Einbindung der präzise arbeitenden Assistenzsysteme.
- Wie problemlos der RS6 die gewaltige Kraft des Motors in Vortrieb umsetzt ist ebenso beeindruckend wie die extreme Leistung der Bremsen.
- Verglichen mit seinen Vorgängern ist der aktuelle RS6 ein Verbrauchszwerg. Der RS6 ist und bleibt aber ein Liebhaberstück für betuchte Genießer.
Contra:
- Zugegeben, der Abschied vom RS6 fällt schwerer als bei manchem Vernunftauto…
Niko Ganzer
Pro:
- Wenn einem 200 km/h in einem Fahrzeug wie die Autobahn-Richtgeschwindigkeit vorkommen und man bei 250 km/h immer noch keine feuchten Hände bekommt, dann ist das faszinierend und beängstigend zugleich.
- Das Bedienkonzept des Audi ist meines Erachtens das derzeit schlüssigste auf dem Markt.
- Das Nachtsichtgerät ist der Hammer. Das System erkennt Menschen am Straßenrand lange bevor sie aus der Dunkelheit auftauchen.
Contra:
- Die Start-Stopp-Automatik in solch einem Fahrzeug macht für mich ähnlich viel Sinn wie Schlittschuhe im Gepäck einer Wüstenkarawane.
- Schade, dass man bei dem Schluckspecht die Zylinderabschaltung nicht selbst steuern kann. Das würde im Stadtverkehr sicher deutlich mehr bringen als ein paar Sekunden ohne laufenden Motor an einer roten Ampel.
- Die martialische Optik ist nichts für mich. Aber immerhin kann man bei diesem Audi endlich auch schon von Weitem sagen, um welches Modell es sich handelt.
Peter Diehl
Diesmal weder "Pro" noch "Contra", sondern nur Erlebnisse. Zum Selbstinterpretieren sozusagen:
- Auf dem Weg von München zum Tegernsee überholt mich in einer Baustelle der Autobahn A8 ein älterer Audi A3 mit Zagreber Kennzeichen. Der Fahrer hupt, der Beifahrer reckt den rechten Daumen nach oben. Offenbar gefällt ihnen der rote Kombi.
- In Rottach-Egern am Tegernsee treffe ich bei der Rückkehr von einem Spaziergang auf einen älteren Herrn, der sich den RS6 sehr genau ansieht, die Keramikbremsscheiben eingeschlossen. Er fährt auch Audi, sagt er, aber keinen RS6, denn da, wo er wohnt, braucht er mehr Bodenfreiheit. Abschließend bittet er darum, beim Start stehenbleiben zu dürfen, um den Motorsound zu hören. Mach ich doch gern!
- Im Rahmen des Wiener Motorensymposiums bittet Continental traditionell zum Pressegespräch beim K.u.K. Hofzuckerbäcker Demel. Es geht auch um alternative Antriebe, und einer der anwesenden Journalisten erzählt, er sei von Erlangen nach Wien mit einem BMW i3-Testwagen gefahren. Nach dem schnellen Ende der Akkuladung hätte er bis Wien fünfmal nachtanken müssen, weil der Tank des Range Extenders so klein sei, und im Range-Extender-Betrieb seien die Lkw an Steigungen unangenehm nahe gekommen. Für diesen Zweck ist der i3 nicht gebaut, denke ich, und erwidere: "Ich bin mit einem Audi RS6 von München nach Wien gefahren und musste kein einziges Mal nachtanken." Alle Anwesenden schweigen zehn Sekunden andächtig.
- Auf der Rückfahrt von Wien – der Zufall wollte es so – überhole ich besagten Testwagen, der am Münchener Kennzeichen ohne Kennzeichenverstärker leicht zu erkennen ist. Ich hupe und winke dem Kollegen freundlich zu. Es scheint, als ob der i3 nach dem Winken noch langsamer fährt als zuvor. (asp)