Ein Befreiungsschlag sollte es werden. Mit dem für "die zweite Aprilhälfte" angekündigten Bericht der US-Kanzlei Jones Day wollte Volkswagen nicht nur Licht ins Dunkel des größten Konzern-Skandals bringen. Schon die Ankündigung eines "substanziellen Berichtes" vor mehr als einem halben Jahr hatte auf Kunden, Mitarbeiter, Medien und die internationalen Märkte eine beruhigende Wirkung. Dies diente auch als Argumentationsstütze für die zahllosen Durchhalteparolen von Konzernvorstand und Aufsichtsrat. Doch ob es den Bericht für die Öffentlichkeit zeitnah geben wird, ist alles andere als sicher.
Die Gründe für eine mögliche Verschiebung liegen nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aber nicht in Wolfsburg, sondern in den USA. Dies berichtete am Mittwoch auch das "Wall Street Journal". Die dortigen Ermittler des Justizministeriums und der Bundespolizei FBI sollen die Kanzlei Jones Day "sehr eindringlich" darauf hingewiesen haben, dass eine Veröffentlichung zum jetzigen Zeitpunkt problematisch für die eigenen Ermittlungen sei. Ein Sprecher des US-Justizministeriums wollte sich zu der Thematik nicht äußern.
Damit nicht genug: In Wolfsburg fürchtet man, durch einen öffentlichen Bericht noch mehr Unmut des US-Justizministeriums zu erfahren. Die Folge könnten höhere Kosten bei einem Vergleich vor Gericht sein. "Die letzte Entscheidung ist noch nicht gefallen", heißt es aus dem VW-Aufsichtsrat. Das Gremium ist Auftraggeber der Kanzlei und hat das letzte Wort für den Umgang mit den Ergebnissen der monatelangen Ermittlungen. Rund 450 Personen durchleuchten eine gigantische Datenmasse von mehr als 100 Terabyte - mehr als 50 Millionen Bücher. Zudem wurden Mitarbeiter vernommen und ihre Aussagen protokolliert.
Vorstände bislang außen vor
Nach dpa-Informationen kann der Bericht derzeit ohnehin keinen Schuldigen präsentieren. Stattdessen zeichnet er eine Chronologie der Ereignisse nach und entlastet die Konzernspitze um den damaligen Chef Martin Winterkorn. Denn keinem Vorstand kann dem bisherigen Stand zufolge eine Mitwisserschaft oder gar eine Anweisung bei den millionenfachen Diesel-Manipulationen nachgewiesen werden.
Für die US-Ermittler geht es wohl aber nicht um diese Aussage. Die Deutung der Schuldfrage werde sich garantiert niemand von dem Kanzlei-Bericht vorschreiben lassen, heißt es aus dem Aufsichtsrat. Problematischer sei es mit den dort für Insider identifizierbaren Personen. "Diese könnten - wenn sie etwa von den US-Behörden noch nicht befragt wurden - gewarnt sein oder ihre Aussagen denen anderer Befragter anpassen", sagt ein Aufsichtsrat. Das störe womöglich die Wahrheitsfindung empfindlich. «Und das kann nicht in unserem Sinne sein.» Das Verhältnis zu den US-Behörden gilt schon als belastet.
Da ist guter Rat teuer. Insbesondere einige Aufsichtsräte dürften von der verschobenen Veröffentlichung wenig begeistert sein. So haben etwa Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und sein Wirtschaftsminister Olaf Lies (beide SPD) immer wieder öffentlich Transparenz gefordert und sich für den Termin stark gemacht. Die neue Entwicklung wollen beide aber nicht kommentieren. "Zunächst einmal gilt es die kommende Aufsichtsratssitzung abzuwarten", sagt Lies. Das Gremium mit seinen 20 Kontrolleuren tagt diesen Freitag (22.) wieder.
Großes Ziel könnte verfehlt werden
Sollte die Veröffentlichung ausfallen, würde Volkswagen im Monat der Wahrheit mindestens ein großes Ziel verfehlen. Denn wann immer neue Hiobsbotschaften den kriselnden Konzern erreichten, war der Termin für den Jones-Day-Bericht ein Rückgrat und Mutmacher zugleich: "Wie bereits angekündigt wird Volkswagen über die vorläufigen Ergebnisse dieser Untersuchung in der zweiten Aprilhälfte berichten", heißt es etwa noch in einer Mitteilung des Konzerns von Anfang März.
Die finale Entscheidung will der Aufsichtsrat nach dpa-Informationen am 22. April fällen. Hinter den Kulissen verhandeln die beteiligten Stellen dieser Tage fieberhaft über einen Mittelweg, der für alle Seiten akzeptabel ist und auch VW nicht das Gesicht verlieren lässt.
Ein Komplettausfall dürfte aber weder bei den Kunden noch bei den Mitarbeitern oder Aktionären auf viel Verständnis stoßen. Spannend ist dabei auch die Frage, wie die Märkte reagieren, wenn die fest einkalkulierte Beruhigungspille vom Tisch wäre. Ob dies auf den Aktienkurs Auswirkungen haben wird, will derzeit niemand prognostizieren. "Das würde natürlich schon wehtun", gibt ein Aufsichtsratsmitglied zu. "Aber wenn es sein muss, muss es leider sein." (dpa)