Nach dem Diesel-Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin werden Zweifel am Sinn kleinteiliger Fahrverbote für wenige Straßen laut. Gegen die Bundesregierung und Autobauer richtet sich verstärkt der Vorwurf, zu spät und längst nicht ausreichend auf die Abgasprobleme von Dieselautos reagiert zu haben.
"Es droht ein Flickenteppich von Fahrverboten in deutschen Städten", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Hersteller müssten Hardware-Nachrüstungen vorantreiben und auch voll finanzieren. Die SPD brachte Bußgelder gegen die Branche ins Spiel, das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium will davon erst einmal absehen.
Die vom Gericht verlangten Fahrverbote werden die Luft in Berlin aus Sicht des Verkehrswissenschaftlers Gernot Sieg auch nicht sauberer machen. "Es ist anzunehmen, dass die Autofahrer andere Strecken nehmen, die nicht betroffen sind", sagte der Professor an der Universität Münster der dpa. Dadurch verlängerten sich Fahrten, und der Schadstoffausstoß insgesamt könne sogar leicht steigen. "An den Messstellen werden zwar die Grenzwerte erreicht, aber es wird einfach anders verteilt."
Auch der Berliner Grünen-Abgeordnete Harald Moritz warnte: "Streckenbezogene Fahrverbote werden Ausweichverkehr provozieren." Anwohner in Nebenstraßen dürften nicht durch zusätzliche Verkehrsgifte belastet werden. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Oliver Luksic meinte: "Einzelne Sperrungen für wenige Meter in Berlin führen zu direkten Umgehungen und bringen nur Bürokratie, Wertverluste und Verunsicherung."
Sperrung für mindestens elf Straßenabschnitte
Das Verwaltungsgericht hatte am Dienstag entschieden, dass in der Hauptstadt im Sommer 2019 mindestens elf Straßenabschnitte für Diesel der Abgasnormen Euro 1 bis 5 gesperrt werden. Einige dieser Abschnitte sind sehr kurz - zum Beispiel ein rund 75 Meter langer Teil der Friedrichstraße. Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe.
Das rot-rot-grün regierte Land Berlin kann gegen das Urteil Berufung einlegen. Grüne und Linke sprachen sich am Mittwoch dagegen aus, die SPD hat sich nach Angaben ihres Berliner Fraktionschefs Raed Saleh noch nicht festgelegt. Das Verwaltungsgericht werde die schriftliche Urteilsbegründung voraussichtlich in "drei bis vier Wochen" den Verfahrensbeteiligten zustellen, sagte ein Gerichtssprecher. Nach der Zustellung kann innerhalb eines Monats Berufung eingelegt werden.
"Wer trickst, sollte zahlen"
SPD-Bundestagsfraktionsvize Sören Bartol forderte, die deutschen und ausländischen Hersteller müssten sich zu Nachrüstungen von Dieselautos bekennen und für Städte mit drohenden Verboten auch die Kosten übernehmen. Wenn Spitzenmanager sich weiter weigerten, sollte Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) für jedes manipulierte Fahrzeug mit Schummelsoftware ein Bußgeld von 5.000 Euro verhängen: "Wer trickst, sollte dann dafür auch zahlen. Vielleicht kommen die Automanager dann endlich zur Vernunft."
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartet nach den Worten von Regierungssprecher Steffen Seibert von den Konzernen, dass diese "in den nächsten Tagen" angekündigte Pläne zu attraktiven Prämien und Umtauschprogrammen öffentlich machen. Sie rechne zudem damit, dass die Firmen "das Angebot zur Hardware-Nachrüstung für die in Frage kommenden Dieselhalter in den besonders stark betroffenen Städten machen".
Die große Koalition hatte sich kürzlich auf ein Paket mit neuen Maßnahmen für 14 stark belastete Städte geeinigt, das Fahrverbote wegen zu schmutziger Luft abwenden soll. Es sieht unter anderem Anreize zum Kauf neuer Wagen vor, damit mehr alte Diesel von den Straßen kommen. Daneben sollen Motor-Nachrüstungen bei älteren Wagen ermöglicht werden - dafür fehlen aber noch grundlegende Zusagen der Autobauer. Laut Verkehrsstaatssekretär Steffen Bilger (CDU) können auch Dieselbesitzer in Berlin mit finanzieller Unterstützung rechnen, obwohl die Hauptstadt nicht zu den 14 genannten Städten gehört. (dpa)