Der Prüfkonzern TÜV SÜD, das Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) und weitere Unternehmen wollen global gültige Standards für nachhaltige Mobilitätsmodelle voranbringen. Das kündigten die Partner im September anlässlich des Wissenschaftsgipfels während der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York an. Ihr gemeinsames Ziel: die Entwicklung weltweit einheitlicher Bewertungsrahmen, die die Anforderungen der UN-Klimaschutzziele erfüllen.
"Gesellschaft, wirtschaftliche, soziokulturelle und politische Grundlagen, Infrastruktur: Nachhaltige Mobilität muss zwar überall auf der Welt anders organisiert werden. Trotzdem brauchen alle Stakeholder global verbindliche Standards und Rechtssicherheit, um die verschiedenen Konzepte umzusetzen und anhand konkreter Werte vergleichen zu können. Nur so werden wir die Mobilität von morgen realisieren können", sagte Pascal Mast, Director Sustainable Technologies bei der TÜV SÜD Division Mobility.
Wichtige Grundlagen für den Wandel des Ökosystems Mobilität sind neue Technologien wie etwa alternative Antriebe, Software-basierte Fahrzeuge (SDV) oder hochautomatisiertes Fahren. Sie ermöglichen zukünftig eine vernetzte statt einer individuellen Mobilität. Und gerade hier liegt nach Auffassung der Partner ein enormes Potenzial zur Erreichung der Klimaziele im Verkehrssektor. Dabei müssten aber alle Akteure an einem Strang ziehen, denn die Ziele ließen sich nicht erreichen, wenn alle verschiedene Wege gehen, hieß es.
Raus aus dem Konjunktiv
Daher sollen zunächst innovative Mobilitätssysteme in verschiedenen Ländern und Regionen zum Einsatz gebracht und daraus best practices erarbeitet und validiert werden. Grundlage dafür sind virtuelle, aber auch ganz praktische und physische Tests. Die Fragestellungen sind: Wie sieht etwa die beste Infrastruktur aus? Welche Fahrzeuge eignen sich am besten, welche Antriebskonzepte? Wie ist das Verkehrsaufkommen? Wie bewegen sich die Menschen vor Ort bisher? Welche Mobilitätsgewohnheiten gibt es?
Konkretes Ziel von TÜV SÜD und den beteiligten Partnern ist es, zertifizierte Testumgebungen für mobile Pilotprojekte zu schaffen, um die Folgenabschätzung für nachhaltige Mobilitätssysteme einschätzen zu können. Ein bereits bestehendes Konzept, das genutzt werden kann, gibt es in Paris: die "15 Minuten Stadt". Idee dabei ist es, in dieser Zeit zu Fuß oder mit dem Rad in 15 Minuten jedes Ziel erreichen zu können. Weitere Plattformen sind etwa das Centre of Excellence for Testing & Research of Autonomous Vehicles (CETRAN) in Singapur oder das China Automotive Technology and Research Center (CATARC).
"Ein wichtiger Punkt für die erfolgreiche Umsetzung neuer Mobilitätskonzepte ist es, die Menschen bei ihren Gewohnheiten abzuholen. Die Schwelle muss niedrig sein, damit etwa selbstfahrende Mikrobusse oder Schienenfahrzeuge angenommen werden", erklärte Alexander Kraus, CTO Division Mobility bei TÜV SÜD. "Raus aus dem Konjunktiv und rein in die Praxis! Das treiben wir voran", so der Experte, der ebenfalls Board Member bei der IEEE SA sowie Chairman of the Board bei der International Alliance for Mobility Testing and Standardization (IAMTS) ist.
Céline Bilolo, Chief Sustainability Officer der TÜV SÜD AG, die die Session in New York unter dem Titel "From Egosystem to Ecosystem - Collaborative paths to Sustainable Mobility." moderiert hatte, fügte hinzu: "Hervorragende weltweite Vernetzung mit OEM, Forschungseinrichtungen und Behörden – TÜV SÜD ist mit im Boot, wenn es um die Mobilität von morgen geht. Das Oktagon sorgt international für Vertrauen, besonders auch in neue Technologien."
"Endlich wieder die Berge sehen"
Wie nachhaltige Mobilität aussehen kann, das stellte Doreen Orishaba, Managing Director BasiGo aus Ruanda, beim UN-Summit eindrucksvoll dar. Denn nachdem in Nairobi die bestehenden Verbrennerbusse durch solche mit Elektroantrieb ersetzt wurden, hat sich die Luftqualität spürbar verbessert: "Wir konnten endlich wieder die Berge sehen", fasste die Geschäftsführerin zusammen. Warum Busse? Weil die Menschen in Nairobi hauptsächlich damit unterwegs sind. "Man muss mit der Infrastruktur vor Ort arbeiten. Das sorgt nicht nur für Zustimmung, sondern auch für niedrigere Kosten."
Mehr als 30 Organisationen und Konzerne nehmen aktuell an dem Projekt teil, darunter Volkswagen, BMW, Toyota, Tata Group/TCS, Geely, Lockheed Martin, Waymo, Schaeffler, Cisco, Apple, Duke Energy, Enel City of Austin, City of Vienna, MITRE, SAE International; DIN, CATARC, Swiss Re, Intel, CATARC und Allianz. Die Liste zeigt auch: Als weltweit traditionell eingeführte Organisation bringt IEEE konkurrierende Unternehmen zusammen, die sonst nicht ohne Weiteres miteinander reden würden. Gemeinsame Rechtssicherheit, das ist ein wichtiger Asset für die Partner.
Wie geht es weiter?
Das Projekt wird im Rahmen des Industry Connection Program IC23-011-01 "SustainMobility" der IEEE SA etabliert. Erste Ziele sind Workshops bei prominenten globalen Veranstaltungen wie dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 2025 und dem G7/G20 Global Solution Summit im Mai 2025 in Berlin. Dort soll zunächst die Sichtbarkeit erhöht werden. Pascal Mast, Chair der Industry Connection, betonte: "Durch kollektives Handeln auf Basis einer standardisierten Grundlage kann die Mobilitätsbranche den Kurswechsel schaffen und einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leisten."
Bis 2028 wollen die Partner ein Set von Standards für eine ganzheitliche Bewertung der Nachhaltigkeitsauswirkungen von Mobilitätssystemen unter IEEE SA entwickeln. Die Vorgaben sollen die wesentlichen Elemente der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen umfassen. Dazu gehören etwa die Dekarbonisierung, Sicherheit, der gesellschaftliche Wandel, die Erschwinglichkeit, Zugänglichkeit und Akzeptanz. Bilolo: "Die Ergebnisse unserer Arbeit sollen als Leuchtturm dienen, der unsere Herangehensweise an Mobilität und Nachhaltigkeit neu gestaltet. Unser Projekt wird eine entscheidende Rolle bei der Schaffung einer sichereren, gerechteren und nachhaltigen Zukunft für alle spielen."