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30 Jahre VW T4: Bulli reloaded

13.10.2020 15:14 Uhr
Etwa zwei Millionen T4 liefen von 1990 bis 2003 vom Band.
© Foto: VW

Mit der Baureihe T4 erfand VW den Bulli neu. Zumindest fast, denn seine Grundwerte sollte Deutschlands populärstes Vielzweckmobil der Nachkriegszeit bewahren.

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Von Wolfram Nickel/SP-X

War das noch ein echter Bulli? Kein Boxermotor, kein kastenförmig-kultiges Frontdesign, keine Heckmotoren - der vor 30 Jahren vorgestellte Volkswagen T4 brach scheinbar mit fast allem, was Firmen, Familien und Aktivisten am populärsten deutschen Transporter der Nachkriegszeit liebten. Selbst VW-Konzernchef Carl Hahn fiel die radikale Abkehr vom legendären Heckmotorkonzept schwer, wie er später in seinen Memoiren bekannte. Aber der zunehmend stärkere Wettbewerb – besonders durch Ford Transit und die Mercedes Vans - verlangte ein Umdenken hin zu noch größerer, fast unüberschaubarer Variantenvielfalt auch bei Volkswagen. Dieser Zeitgeist brachte das neue Zugkopfkonzept für den vierten Bulli und zwar mit Frontmotor und Vorderradantrieb, zwei verschiedenen Radständen, drei Nutzlastklassen, Vier-, Fünf- und Sechszylindermotoren, optionalem Allradantrieb und über 20 Karosseriekonzepten. Rund zwei Millionen Volkswagen T4 später war klar: Auch mit neuem Konzept konnte der Transporter alles, was die Faszination Bulli ausmachte. Nicht nur der California für die Freizeitgesellschaft der 1990er, der Familienversteher Multivan und der ultrateure Caravelle Business bestätigten den T4 in seiner Rolle als kultigster Kastenwagen, gegen den die Konkurrenten nur Achtungserfolge einfahren konnten, auch die "Nutzis" reüssierten wie früher.

Konkurrenz wurde größer

Er ist die weltweit beliebte deutsche Ikone unter den Kleintransportern, denn der liebevoll Bulli genannte Volkswagen Transporter brachte ab 1950 zuerst Behörden, Handwerk und Familien in der Bundesrepublik in Fahrt und dann alle fünf Kontinente. Nicht zu vergessen seine Rolle als Vorreiter der Freizeitfahrzeuge und als populäres Symbol der Hippie- und Flowerpower-Generation. Das alles als käferbasierte Konstruktion und bis zur dritten Generation mit dem Sound der Boxermotoren. Aber dann kam das Jahr 1990. Die Mauer zwischen Ost und West war gefallen, Deutschland wiedervereinigt und der DDR-Zweitakt-Bulli Barkas rollte ins Museum. Gleichzeitig drängten Ford, Mercedes, Fiat, Renault, Peugeot und Citroen mit immer breiteren Transporter-Programmen auf den Markt, vorläufig ohne die Position der VW-Transporter-Dynastie mit ihren besonders Pkw-ähnlichen Fahreigenschaften zu gefährden. Trotzdem war es VW-Chef Hahn klar, dass die Zeit für eine technische Revolution beim Bulli gekommen war.

Entscheidende Transporter-Expertise hatte Hahn schon früh als Leiter von Volkswagen of America gewonnen. 1961 gelang es ihm, den kleinen, schwach motorisierten und keineswegs billigen VW T1 zum Favoriten amerikanischer Familien zu machen, der damals starken US-Modellen den Rang ablief und so das Segment der Familienvans mitbegründete. Rund 30 Jahre später verzichtete Volkswagen unter Hahns Führung beim Bulli auf das Alleinstellungsmerkmal Heckmotor mit Hinterradantrieb. Stattdessen sollte die durch Chefkonstrukteur Karl Nachbar entwickelte vierte Bulli-Generation den Quantensprung zum Vorderradantrieb bringen – eine Umstellung, die vergleichbar war mit dem Wechsel vom Käfer zum Golf. Tatsächlich ging es beim T4 nicht nur um tiefgreifende technologische Veränderungen und ein völlig neues Frontdesign, sondern auch um die Frage, ob der neue Transporter weiterhin für jenes einzigartige Lebensgefühl stehen würde, das den Bulli bis dahin begehrenswert machte und Sammler und Enthusiasten Höchstpreise zahlen ließ.


30 Jahre VW T4

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Die Hardcore-Community des altgedienten Heckmotor-Bullis versuchte Volkswagen deshalb noch anderthalb Jahre nach Vorstellung des Neuen mit einer T3 Limited Last Edition zu versöhnen, alle anderen waren von Beginn an vom neuen Bulli-Konzept begeistert. Mit Innovationen wie Einzelradaufhängung rundum, erhöhter passiver Sicherheit dank längerem Vorderwagen, vergleichsweise kräftigen Motoren und einem konkurrenzlos dichtem Geflecht von Karosserie- und Ausstattungsvarianten inklusive damals noch nicht selbstverständlicher Komfortfeatures wie Klimaanlage, füllte die vierte Bulli-Generation die VW-Auftragsbücher auf Anhieb in einem Tempo, die manche Marktbeobachter an den furiosen Start des ersten Golf erinnerten. Während sich Bundeskanzler Helmut Kohl über das vermeintliche Phänomen der Freizeitgesellschaft erregte und als Dienstwagen eine Mercedes-Benz S-Klasse präferierte, erfand Volkswagen den California neu als frisches Universalgenie für Fernwehsüchtige und den Caravelle für Firmenbosse, die Luxus ohne Stern goutierten. Vor allem die ab Modelljahr 1996 verfügbaren temperamentvollen Fünfzylinder-TDI-Diesel-Direkteinspritzer und ein bis zu 150 kW / 204 aufbietender VR6-Benziner mit 150 kW / 204 PS sicherten dem bis dahin eher betulichen Bulli die Überholspur. Als erster europäischer Transporter kratzte der T4 an der 200-km/h-Schallmauer, damals ein von Vmax-Fetischisten beachteter Bestwert.

Als agiler und komfortabler Caravelle VR6 deklassierte der VW in Vergleichstests sogar neu entwickelte Vans wie die 1996 lancierte Mercedes V-Klasse. Aber es ging noch mehr, wie das lederausgekleidete Büromobil VW Caravelle Business zeigte, das inklusive moderner Kommunikationseinrichtungen und Komfortfeatures knapp 120.000 Mark kostete und damit auf Mercedes S-Klasse-Niveau unterwegs war. Auch das motorisierte Ferienapartment California konnte auf Wunsch als luxuriöser Zweitwohnsitz ausstaffiert werden, dies wie andere T4 optional mit langem Radstand und Allradantrieb. Insgesamt lieferte Westfalia bis 2003 rund 39.000 California aus, mit variablem Aufstelldach oder feudalem Hochdach inklusive Alkoven, mit bravem "Berliner" Grundriss – also Küche und Schrankblock gegenüber der Schiebetür – oder als kultiges Sondermodell – lange Lebenserwartung immer inklusive. Davon zeugen die vielen bis heute überlebenden California, die nun die Chance auf Zuteilung eines amtlichen H-Kennzeichens für mindestens 30 Jahr alte Fahrzeuge bekommen.

Nfz als Hauptgeschäft

Aber auch die Reisemobile von Karmann und das rare Konferenzmobil Kamei ClubVan festigten den Nimbus des T4, nicht zu vergessen der familienfreundliche Multivan, der als Sondermodell "Last Edition" im Modelljahr 2003 das Ende dieser Bulli-Generation einleiten durfte. Das Hauptgeschäft machten aber auch beim T4 die Nutzfahrzeugvarianten aus. Ob bei Polizei, Bundeswehr oder auf Baustellen und Wochenmärkten, bei Kurierdiensten oder Handwerksbetrieben, der T4 verrichtete in fast zahllosen Spezifikationen seinen Dienst. Schließlich gab es ihn vom geschlossenen Kasten für kleines Geld bis zur geräumigen Doka als Kipper oder als Fahrgestell mit Kabine und Platz für maßgefertigte Aufbauten. Inklusive eines sogenannten Happy Face, das den VW ab 1996 schmückte. Gemeint war ein Kühlergrill, dessen untere Ecken sich nach oben heben sollten wie die Mundwinkel eines glücklichen Menschen. Tatsächlich ließ der erfolgreiche vierte Bulli den ernsten Kühlergesichtern des Wettbewerbs keine Gelegenheit zum Grinsen, weshalb er auch stolze 14 Jahre in Produktion blieb, länger als alle anderen VW-Transporter. Nur eins gelang dem neu gedachten T4 nicht: den Kultstatus seiner Vorgänger zu toppen. 


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