Von Benjamin Bessinger/SP-X
Funktional, frugal und ohne Besitzerstolz – wenn Mobilitätsforscher das Auto der Zukunft skizzieren, malen sie bisweilen ein trostloses Bild. Denn mehr als autonome Sharing-Vehikel ohne Seele und ohne Schönheit wird es nach ihren Prognosen bald nicht mehr geben. Alles Quatsch, sagt Adrian Hallmark und will alsbald das Gegenteil beweisen. Muss er auch. Schließlich ist Hallmark der Chef bei Volkswagens Luxustochter Bentley, die gerade ihren 100. Geburtstag feiert. Und wenn sie eine Chance haben will, 2119 wieder ein Centennial zu zelebrieren, dann muss Hallmark die Auguren Lügen strafen. Deshalb wirft er den Blick zur Feier des Tages auch nicht zurück, selbst wenn hinter den Kulissen ein paar Oldtimer versteckt sind, sondern schaut nach vorn und zieht das Tuch von einer Studie, die Bentleys Vision von einem Grand Tourer des Jahres 2035 Gestalt geben soll.
EXP 100 GT heißt das imposante 5,80 Meter lange Schaustück mit dem spektakulär illuminieren Grill und elektrischen Schwingtüren, die sich beim Öffnen fast drei Meter in den Himmel recken. Und auch wenn es opulent ist wie eh und je, nimmt es doch die Herausforderungen der neuen Zeit an. So fährt der EXP 100 GT zwar rasend schnell, beschleunigt von Null auf 100 in 2,5 Sekunden und fliegt mit bis zu 300 km/h über die linke Spur – übernimmt aber auf Wunsch auch alle Fahraufgaben alleine.
Dann wird der Fahrer zum Passagier, rückt sich die Landschaft aus zwei bis vier Loungeliegen individuell zurecht und genießt einfach nur das Ambiente, das den Protz der alten Zeit mit einer neuen Nachhaltigkeit garniert. Statt Furnieren von seltenen Bäumen ist welches aus Treibholz verbaut, das dafür allerdings 5.000 Jahre alt ist. Die Teppiche wurden aus der Wolle englischer Bio-Schafe gewoben, und als Ersatz für manche Leder gibt es ein blütenzartes Imitat, das aus Abfällen aus dem Weinbau gewonnen wird.
Vier Motoren, 1.360 PS
Auch der Antrieb geht natürlich mit der Zeit – und ist deshalb elektrisch: Vier Motoren kommen zusammen auf 1.360 PS und stellen so ziemlich alles in den Schatten, was sich sonst so Grand Turismo nennt. Und bei einer Reichweite von 700 Kilometern haben die Briten den Mund mit diesem Gattungsbegriff nicht einmal zu voll genommen. Die Energie dafür liefern neuartige Feststoff-Batterien, die zwar gerade erst in der Entwicklung sind, für Bentley aber trotzdem nur als Zwischenlösung gelten. Denn langfristig hofft Hallmark auf einen Hybrid-Antrieb, der Akkus mit einer Brennstoffzelle kombiniert und so die Standzeiten noch weiter verkürzt. Dabei ist schon der EXP 100 GT so konzipiert, dass er binnen 15 Minuten zu 80 Prozent wieder voll ist.
Zwar lässt Hallmark keinen Zweifel daran, dass der EXP 100 GT nicht viel mehr ist als eine Vision und sich deshalb manche Überzeichnung und Übertreibung erlaubt. Doch zugleich lenken die Vordenker die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer noch einmal auf den Kalender und geben dem Auto damit mehr Bodenhaftung, als man es erwartet hätte: "2035 klingt nach ferner Zukunft, doch bis dahin sind es nur noch 16 Jahre."