Von Michael Gebhardt/SP-X
Die Internationale Automobil Ausstellung (IAA) 2017 sorgte schon im Vorfeld für reichlich Schlagzeilen. Zum einen, weil viele Highlights wie VW Polo und T-Roc, Hyundai i30 Fastback oder Opel Grandland X bereits Wochen vor der Messe bekannt wurden. Zum anderen aber auch, weil viele Traditionsmarken ihre Teilnahme abgesagt haben: Neben Volvo, die schon 2015 fehlten, bleiben dieses Jahr auch Nissan und Aston Martin, Fiat, Jeep und Alfa Romeo, Peugeot und DS sowie Tesla der wichtigsten Autoschau des Jahres fern und sorgen so für mehr Platz in den Hallen. Platz, den sich unter anderem zwei chinesische Hersteller geschnappt haben, die man hierzulande (noch) kaum auf dem Schirm hat: Chery und Wey.
Letztere ist die neue Premium-Tochter des chinesischen Auto-Giganten Great Wall Motors, sie tritt mit einem großen Ziel an: Keinem geringeren als Audi, BMW und Mercedes will Konzern-Chef Jianjun Wei, der nicht nur zufällig so heißt wie die neue Nobelmarke aus Fernost, in die Parade fahren und Premium-Autos für alle anbieten. Unterstützung hat sich Wei dabei aus Europa geholt: Ex-Audi-Entwickler Jens Steingräber machte er zum CEO – und für das Design seiner SUV-Modelle zeichnet Pierre Leclercq verantwortlich, der zuvor bei BMW an X5 und X6 mitgearbeitet hat. Nach den Serien-Fahrzeugen VV5 und VV7, die beide auch als Hybrid erhältlich sind, und dem neuen Plug-in-Modell P8, steht vor allem die Studie XEV im Mittelpunkt des Wey-Messestands.
Beeindruckende Fahrwerte – auf dem Papier
Das zweitürige Concept-Car sieht von vorne ein bisschen aus wie eine Peugeot-Studie und hinten könnte Kia die Finger im Spiel gehabt haben, es wirkt aber nicht übertrieben futuristisch. Wie nicht anders zu erwarten fährt der XEV rein elektrisch vor, mit – zumindest auf dem Papier – beeindruckenden Fahrwerten: Den Standardsprint auf 100 km/h soll der Wey mit seinem 185 kW starken E-Motor in 4,6 Sekunden schaffen, maximal kann er 160 km/h schnell fahren.
Im Idealfall kommt das SUV 530 Kilometer weit, bevor es über einer Ladeplatte parken muss. Das sogenannte Matrix-Charging-System soll das Auftanken mit Elektronen deutlich vereinfachen. Statt das lästige Kabel einzustöpseln oder punktgenau über einer Induktionsladefläche parken zu müssen, reicht es, den XEV über dem gut 50 mal 50 Zentimeter großen Matrix-Charger abzustellen, mit dem sich das Auto selbst durch eine Art Saugrüssel verbindet. Geladen wird optional mit 22 kW und Wechselstrom oder mit 43 kW Gleichstrom. So seriennah der Antrieb auch sein mag, so unwirklich sind derzeit noch die autonomen Fahrfunktionen: Theoretisch soll der XEV völlig selbstständig unterwegs sein, per Tastendruck fährt sogar das gesamte Armaturenbrett zurück und ein großes Entertainment-Display sorgt für Unterhaltung der Passagiere.
Konventionelle Kost bei Chery
Ganz so weit lehnt sich Chery nicht aus dem Fenster: Ihr neues, marktreifes SUV Exeed beherrscht zwar die gängigen Assistenzsysteme wie Spurhalter, Totwinkel-Warner und Bremsassistent, braucht aber immer einen Fahrer. Und auch beim Antrieb zeigt sich der Exeed noch konventionell: Zwei Benzinmotoren mit bis zu 200 PS sind vorgesehen, die wahlweise nur die Vorder- oder alle Räder antreiben. Für den Start in Europa, der in ein paar Jahren erfolgen soll, planen die Techniker allerdings eine Hybrid-, Plug-in- und batterieelektrische Version ein. Der PHEV soll bis zu 70 Kilometer weit elektrisch fahren können und zumindest auf den ersten 100 Kilometern nur 1,8 Liter Sprit verbrennen. Wie Wey setzt auch Chery bei der Entwicklung seines neuen Modells auf Schützenhilfe aus der alten Auto-Welt: Unter anderem kommt die elektrische Lenkung von Bosch, die Federung von Benteler, das ESP von Mando und die Reifen von Conti.
Ob das allerdings reicht, um über kurz oder lang auch bei der hiesigen Kundschaft auf dem Einkaufszettel zu stehen, bleibt abzuwarten. Chery und Wey wären nicht die ersten chinesischen Autobauer, die mit großen Vorhaben antreten und den Sprung nach Europa am Ende dann doch nicht schaffen. Fakt ist aber: Das, was von den beiden Marken schon heute in China auf der Straße zu sehen ist, hat durchaus Chancen, auch hier seine Fans zu finden und ist von den klapprigen und nicht gerade wohlriechenden Plastik-Kopien europäischer Modelle, die wir noch vor ein paar Jahren im Reich der Mitte zuhauf sahen, weit entfernt. Vielleicht schaffen es die Chinesen ja wirklich, bald Premium für jedermann zu uns zu bringen.