Von Wolfram Nickel/SP-X
Automobiler Luxus unter freiem Himmel lässt sich in verschiedenen Formen erleben. Die eleganteste und zugleich nobelste Karosserieversion ist allerdings das große viersitzige Cabriolet, das Mercedes-Benz nach 44-jähriger Pause jetzt mit der S-Klasse neu entdeckt. Erstmals gezeigt wurde dieser offene Verführer im September auf der Frankfurter IAA, zeitgleich mit dem ebenfalls neuen Rolls-Royce Dawn Cabrio. Vielleicht ein Zufall, allerdings wenden sich die Sonnenkönige mit Stern und Emily an die gleiche, überaus begüterte Kundschaft. Wobei die offenen Mercedes mit dem Typenkürzel S auf eine Tradition verweisen können, die bis zum Gründungsmonat der Bundesrepublik zurückreicht.
Damals, im Mai 1949, schrieb der 170 S mit gleich zwei Cabrio-Karosserien die Geschichte der verdecktragenden Mercedes fort, die vor dem Krieg meist Tourenwagen genannt wurden. Ins Wirtschaftswunder der jungen Bundesrepublik startete die kostspielige Sonderklasse zunächst mit simplem Vierzylinder, aber schon 1952 auch als feudales 300 S Cabriolet mit starkem Sechszylinder. Dagegen übernahm der staatstragende viertürige Mercedes-Benz 300 "Adenauer" als Cabriolet weltweit die Rolle des Repräsentationsfahrzeugs für Kanzler, Könige, Präsidenten und Päpste und verdrängte so manchen Rolls-Royce oder Cadillac. Vor allem sportliche Eleganz verkörperten ab 1956 die 220 S Cabriolets, erstmals mit selbsttragender, sogenannter Pontonkarosserie. Noch erfolgreicher waren jedoch die von 1961 bis 1971 gebauten offenen Sechszylinder- und V8-Typen 220 SE bis 280 SE 3.5. Werden sie doch von Fachleuten und Fans zu den schönsten Cabriolets aller Zeiten gezählt, für die heute Preise von bis zu 400.000 Euro verlangt werden. Hoffnung auf eine Renaissance der herrlichen Himmelsstürmer machte erstmals das 2007 enthüllte Concept Car Ocean Drive – ein früher Vorbote des aktuellen S-Klasse Cabrios.
Besonders rar waren Cabriolets in der Nachkriegszeit, weshalb das Mercedes 170 S Cabriolet (W 136 IV) seinen größten Auftritt erst zwei Jahre nach Produktionseinstellung erlebte: Im Sommer 1954 chauffierte der Fünfsitzer die deutschen Fußballweltmeister auf ihrem Triumphzug durch München. Glorreiche Helden zum Anfassen sollten die Spieler sein und das gelang nur im prestigeusen offenen Auto mit Stern. Es waren Bilder, die um die Welt gingen, ebenso wie die Fotos und Filme von glamourösen Auftritten des von 1951 bis 1962 angebotenen Mercedes 300 (W 188). Wurden doch die Cabrio-Versionen der von Bundeskanzler Konrad Adenauer genutzten Limousine besonders von gekrönten Häuptern geschätzt wie dem schwedischen König Gustav VI. Adolf, dem äthiopischen Kaiser Haile Selassie oder Papst Johannes XXIII.
Stolze Verkaufszahlen beim offenen Stuttgarter
Mit besonders unaufdringlicher Noblesse kündeten dagegen die Modelle 220 und 300 S bzw. SC vom Wohlstand des wirtschaftlichen Aufschwungs der 1950er Jahre. Während die kostspieligen Cabrio-Versionen des konservativ gehaltenen Typs 220 (W 187) im Jahr 1951 den 170 S ablösten, profitierten die zweitürigen 300er (W 188 I/II) vom mystischen Zahlencode der Kanzlerlimousine. So gelang es den elitären Sonnenanbetern, die Initialzündung zu setzen für einen internationalen Cabrioboom, der sich auf den Vorfahrten der Grandhotels von Baden-Baden bis zum New Yorker Waldorf Astoria spiegelte. Glänzten doch dort beim spontanen Concours d'Elegance neben den Mercedes S-Klasse-Typen schon bald neue europäische Sechs- und Achtzylinder von BMW, Bentley, Facel-Vega, Rolls-Royce, Pegaso, Lagonda und anderen Prestigemarken. Wie groß die Strahlkraft der offenen Stuttgarter war, zeigte sich in deren stolzen Verkaufszahlen, die sämtliche Konkurrenten meist um ein Vielfaches überflügelten. Dazu benötigten die Mercedes Cabriolets nicht einmal V8-Power, sogar die 1955 lancierten, exorbitant kostspieligen 300 SC beließen es bei einem Sechszylinder. 36.500 Mark berechnete Mercedes für die 129 kW / 175 PS leistenden Einspritzer, der ein Viertel teurer war als der legendäre Flügeltürer 300 SL und fast so viel kostete wie gleich drei Achtzylinder-BMW 501.
Eindrucksvoll auch die Aufpreise der Luftikusse gegenüber den vergleichbaren geschlossenen Karossen: Der bis 1955 angebotene Mercedes 220 (W 187) stand als Limousine mit 11.925 Mark in der Preisliste, das Cabriolet B kostete mindestens 15.160 Mark und als exklusiver Zweisitzer Cabriolet A sogar 18.850 Mark. Die traditionelle Kultur gleich mehrere Cabriolet-Karosserien zur Wahl zu stellen, endete mit Einführung selbsttragender Karosserien, also bei den 1955 lancierten Ponton-Cabrios der Typen 220 S und 220 SE (W 180 II). Diese bis 1960 gebauten Sonnengleiter setzten Maßstäbe durch die erstmalige Verwendung der Eingelenk-Pendelachse und die noch außergewöhnliche Benzineinspritzung.
220 SE wurde zum besten Auto der Welt erklärt
Eine Klasse für sich verkörperten die vom französischen Starcouturier Paul Bracq gezeichneten Cabrio-Versionen des 220 SEb (W 111/3) mit patentierter Sicherheitskarosserie, die 1961 ihre Weltpremiere feierten. So wie der im gleichen Jahr vorgestellte Jaguar E-Type Leitbild für Super-Sportwagen wurde, galt der offene Mercedes 220 SE fortan als leuchtender Fixstern für luxuriöse Cabriolet-Faszination. Die Presse erklärte den rassigen 220 SE zum besten Auto der Welt und die Käufer zahlten bereitwillig für den Zauber außergewöhnlicher Eleganz: Mit 25.500 Mark kostete das Cabriolet 70 Prozent Aufpreis gegenüber der 220 SE Limousine. Allerdings verfügte der offene Zweitürer auch über eine für damalige Verhältnisse besonders sorgfältig verstärkte Bodengruppe und eine Verarbeitungsqualität, die als unübertrefflich gelobt wurde. Zum winddurchtosten 200-km/h-Renner wurden dieses Cabrio wenig später unter der Typenbezeichnung 300 SE und mit 125 kW / 170 PS unter der Haube. Wirklich sensationell in der Cabrio-Klasse war jedoch die Luftfederung.
Das Bessere ist des Guten Feind und so mutierte der bescheidene 88 kW / 120 PS entwickelnde 220 SE mit seiner noch in den 1950er verankerten Panoramafrontscheibe im Jahr 1965 zum optisch zwar unveränderten, aber hubraumgrößeren 250 SE, der wiederum drei Jahre später dem 280 SE Platz machte. 118 kW / 160 PS entwickelte dieser Sechsender nun. Das Maximum an leistungsstarker Cabrio-Kultur bot die Baureihe W 111 jedoch erst 1969 mit der Vorstellung des 280 SE 3.5, der mit einem 147 kW / 200 PS-V8 auftrumpfte und in den Fahrleistungen sogar einem Rolls-Royce Corniche Paroli bieten konnte. Status und Leistung im Überfluss. Genau damit soll ab 2016 auch die neue S-Klasse meistverkauftes Luxus-Cabriolet werden.