Von Benjamin Bessinger/SP-X
Es ist laut rund um den Hafen von Barcelona, denn auf den Straßen um die Columbus-Statue am Anfang der Ramblas ist mal wieder die Hölle los. Doch auf der Mole hört man nicht viel mehr als das Klappern an den Masten der Segelboote. Dabei hat sich heute auch hierher ein Auto verirrt. Dort, wo sonst nur die Fußgänger flanieren, macht gerade das Concept Mercedes EQ V seine Jungfernfahrt und läuft sich zwei Monate nach der Weltpremiere auf dem Genfer Salon warm für die bevorstehende Serienfertigung.
Dass der Wagen dabei nicht zu hören ist und die Passanten erschrocken aufblicken, wenn der große Kasten plötzlich in ihrem Sichtfeld auftaucht, hat einen einfachen Grund: Er fährt elektrisch. Nach dem EQ C und noch vor dem elektrifizierten GLA oder der stromernden S-Klasse soll ausgerechnet die V-Klasse das zweite Modell aus der neuen Mercedes-Familie werden und Hoteliers oder Fahrdienste genauso ansprechen wie Großfamilien mit einem sensiblen Umweltgewissen.
Dafür gibt es nicht nur die üblichen Insignien der EQ-Familie wie den geglätteten Grill mit der eigenständigen Lichtsignatur, den elektrisch blauen Akzenten in den Felgen und drinnen den Zierrat in Rosé-Gold, das Designchef Gorden Wagener zum Standard für die Stuttgarter Stromer machen will. Vor allem gibt es einen komplett neuen Antrieb. So steckt im Bug eine E-Maschine von 160 kW / 204 PS und im Boden ein Akkupaket von stolzen 100 kWh, mit dem die V-Klasse im besten Fall 400 Kilometer weit fahren kann.
Mercedes-Benz EQV
BildergalerieIn der Stadt fühlt sich der elektrische Kleinbus in Lack und Leder damit ein bisschen an wie eine S-Bahn für die 1. Klasse. Denn zur hohen und vergleichsweise aufrechten Sitzposition und dem vornehmen Interieur kommt jetzt noch das elektrische Fahrgefühl – und wie alle Akkuautos beschleunigt auch der EQ V deutlich besser und spontaner als die Verbrenner, selbst wenn Mercedes auch eine V-Klasse mit neuem Diesel und sanftmütiger Neungang-Automatik anbietet. Zwar wird die Luft mit zunehmendem Tempo etwas dünner und man braucht jenseits des Ortschilds etwas mehr Geduld. Doch erstens fährt der EQ V immerhin solide 160 km/h, so dass man sich auf der Autobahn eher im D-Zug wähnt als in der S-Bahn, und zweitens kompensiert der Wagen mit Stille, was ihm vielleicht an Speed fehlt. Denn so kräftig der neue Diesel auch sein mag, gehört er doch zu den knurrigeren Vertretern seiner Art, während es im EQ V endlich Ruhe gibt beim Reisen.
Zwar ändert sich in der V-Klasse mit dem Antrieb das Fahrgefühl. Doch das Raumgefühl bleibt gleich. Denn außer im Cockpit, wo es anders als beim Verbrenner bereits einen großen Touchscreen und das neue Bediensystem MBUX gibt, ist der neue Raumriese ganz der alte: Weil die Batterie komplett im Wagenboden verschwindet, gibt es genauso viel Platz und Variabilität, wie man es von den Verbrennern-Varianten her kennt. Auf dem ebenen Boden kann man Einzelsitze oder Bänke mit oder gegen die Fahrtrichtung montieren, kann jedes Möbelstück verschieben oder versetzen oder ganz ausbauen und dafür mehr als zwei Kubikmeter einladen. Nur aufs Gewicht muss man dabei ein bisschen schauen, weil die Zuladung bei mehr vier Zentnern Akkus etwas leiden dürfte.
Ansage an Tesla und Co.
Praktisch und vornehm wie immer aber sauber und auch in smog-geplagten Städten zukunftsfest: Mit dem EQ V zieht Mercedes nicht nur ein Ass im Poker mit Tesla aus dem Ärmel und kontert die Luxusoffensive aus Kalifornien mit einem Elektroauto, in dem man anders als bei Model S und Model X auch in der dritten Reihe ordentlich sitzen kann. Zugleich gehen die Schwaben auch im ewigen Rennen mit dem VW Buli in Führung, weil die Niedersachsen ihre Elektrooffensive erst ein, zwei Jahre später mit dem ID Buzz so richtig beginnen. Doch so, wie beim Rennen zwischen Hase und Igel lässt VW der V-Klasse den Sieg nicht ungeteilt. Als Konter kommt noch in diesem Jahr immerhin ein von Entwicklungspartner Abt umgebauter T6 mit E-Antrieb.