Mercedes-Benz Vito/Viano
Auch wenn der Hersteller vom „neuen“ Vito/Viano spricht: Das Modellkürzel lautet nach wie vor W639. Wir fuhren mit dem modellgepflegten Transporter/Van entlang der Elbe.
Die erste Generation startete 1996, die zweite Generation folgte 2003. Nach dem Gesetz der Serie wäre 2010 also die dritte Generation fällig. In der Tat lud Mercedes-Benz Anfang September zur Fahrpräsentation des „neuen“ Vito/Viano nach Hamburg. Doch aus dem „neu“ wird bei näherer Betrachtung schnell eine „Mopf“, eine Modellpflege also, die sich aber bekanntlich nicht nur auf optische Retuschen beschränken muss. Das interne Modellkürzel W639 bleibt erhalten. Im Nutzfahrzeugsektor sind die Produktzyklen eben doch noch etwas länger. Die größte Neuerung findet man nicht am Fahrzeug selbst: Mercedes-Benz will beim Viano endgültig weg vom Image des umgebauten Transporters. Daher haben die Vertriebsstrategen entschieden, den Vito-Bruder künftig in den Showrooms aller Pkw-Händler fest neben A- bis S-Klasse zu platzieren. Einhergeht dies mit einigen technischen Maßnahmen, die das Fahrzeug zum perfekten Reisemobil machen sollen: Das Fahrwerk wurde laut Herstellerangaben komplett neu entwickelt und abgestimmt. Vorder- und Hinterachse haben mit den bisherigen Modellen nur noch die Grundkonstruktion gemein. „Fahren wie auf Schienen, Reisen wie in einer Sänfte“, versprach der Hersteller vor der Testfahrt in der Hansestadt.
Man muss das Fahrzeug wohl schon mit Luftfederung und einer V6-Motorisierung ausstatten, um diesem Versprechen nahezukommen. Beides fehlt dem von uns gefahrenen Viano „Fun“ 2.2 CDI (120 kW / 163 PS). Auf dem Kurs entlang der Elbe kann er seine Transporter-Gene nicht leugnen.
Hecht im Van-Teich
Zwar haben die Mercedes-Ingenieure viel Hirnschmalz verwendet, um die Geräuschkulisse im Innenraum weiter zu senken. Zusätzliche Absorber wurden verbaut, Dichtungen und Dämmungen verändert sowie die Karosseriestruktur versteift. Und trotzdem: Die Akustik einer preislich in ähnlichen Regionen angesiedelten CDI-E-Klasse kann und sollte man nicht erwarten.Das Klagen ist zugegebenermaßen auf hohem Niveau, denn natürlich ist der Viano ein Hecht im Teich der Großraumvans. Doch wer eine hohe Erwartungshaltung weckt und einen Mindestpreis von 40.543 Euro brutto verlangt (Viano „Fun“ kompakt), bei dem darf man auch kleinlich sein, z.B. wenn die Reise auf der Dreier-Sitzbank im Fond nicht so bequem ausfällt wie erwartet. Das Großraumgefährt lässt sich aber erfreulicherweise sehr präzise durch die engen Straßen Blankeneses zirkeln. An Übersichtlichkeit mangelt es nicht. Weniger gut vorbereitet auf die Gassen zeigt sich allerdings die optional erhältliche und bei unserem Test-Viano verbaute Fünfgang-Automatik (bei den V6-Motoren Serie): Der Motor dreht in vielen Situationen höher als dem Fahrer lieb ist. Instinktiv greift man zum Wahlhebel, der ein manuelles Hochschalten glücklicherweise auch ermöglicht.
Apropos Motor: Daimler setzt nun auch im Vito und Viano auf seine Allzweckwaffe, den Reihenvierzylinder-Selbstzünder mit dem Motorkürzel OM651. Kenner zucken bei dieser Zahlenreihe zusammen: Waren da nicht die Probleme mit den Piezo-Injektoren bei zahlreichen Pkw-Baureihen? Doch die Kollegen aus dem Nutzfahrzeugbereich geben Entwarnung: In ihren Modellen seien Magnetventilinjektoren verbaut, so dass kein plötzliches Umschalten in das Notlaufprogramm und anschließende Wechselorgien zu erwarten seien, hieß es in Hamburg. Die R4-Dieselmotorisierung OM651 ist beim Viano noch in einer kleineren Einstiegsstufe mit 100 kW / 136 PS (2.0 CDI) erhältlich. Auch beim Transporter Vito dürfte er – hier mit dem Modellkürzel 113 CDI – für mit spitzem Bleistift kalkulierende Gewerbetreibende erste Wahl sein, obwohl es mit dem 110 CDI (70 kW / 95 PS) eine noch leistungsärmere Variante gibt. Mit optionalem Blue-Efficiency-Paket (beim Viano Serie) – u.a. mit Leichtlaufreifen, Batteriemanagement und bedarfsgeregelten Nebenaggregaten – bringt es der 113 CDI laut Hersteller auf einen Durchschnittsverbrauch von 6,9 Litern. Der 110 CDI schluckt einen halben Liter mehr.
Extra lange Preisliste
Start-Stopp-Technik ist ebenfalls an Bord, aber nur in Kombination mit dem so genannten „ECO Gear“ Sechsgang-Getriebe mit Schaltpunktanzeige (Automatik ist in Vorbereitung). Laut Hersteller leistet es einen wesentlichen Beitrag zum im Vergleich zu den Vorgängermotoren um bis zu 15 Prozent gesenkten Verbrauch. Es verfügt über eine große Getriebespreizung mit lastenfreundlichem, kurz übersetztem ersten Gang und autobahntauglichem, lang ausgelegtem sechsten Gang. Wer auch mit einem Transporter zügig vom Fleck kommen will, kann beruhigt werden: Bei der Fahrt mit einem solchen Vito 113 CDI durch den Hamburger Hafen war kein großer Leistungsunterschied zum Viano 2.2 CDI mit Automatik festzustellen. Wer sich als Handwerker für ein solches Fahrzeug interessiert, sollte aber ein Bücherwurm sein. „Extra lang“ ist nicht nur eine der möglichen Karosserievarianten, sondern auch die Preisliste samt möglicher Sonderausstattungen: Sie umfasst 52 Seiten! ng
- Ausgabe 10/2010 Seite 24 (405.1 KB, PDF)