Franchisesystem stop+go
Prinzip A.T.U.? Nach Beendigung der Pilotphase in Berlin startet Volkswagen das stop+go Konzept auf Filial- und Franchisebasis bundesweit. Das 1994 erstmals vorgestellte Konzept erinnert in seiner neuen Ausprägung stark an A.T.U.
Das Thema stop+go beschäftigt Volkswagen und seine Partner seit Mitte der 90er Jahre. Bis dato konnte man allerdings nicht von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Letztes Jahr wurde das Werkstattkonzept – mit dem man vor allem Kunden und Fahrer von Fremdmarken gewinnen will – deshalb innerhalb des Konzerns neu aufgehängt und der Sitz der Systemzentrale in Unna positioniert. Als Geschäftsführer und Hoffnungsträger verpflichtete man Detlef Saemisch, lange Jahre Weggefährte von Peter Unger, Gründer und Namensgeber der ehemals erfolgsverwöhnten Werkstattfilial-kette A.T.U. Volkswagen möchte offensichtlich von den A.T.U.-Erfolgen der Vergangenheit und Saemischs Know-how profitieren.
In Wolfsburg sieht man als Horrorszenario den amerikanischen Markt, wie Dr. Peter Porbeck, Leiter Konzern Service Volkswagen AG im Rahmen einer Pressekonferenz zur Eröffnung der ersten offiziellen Filiale in Berlin informierte. Nur noch rund 35 bis 40 Prozent der amerikanischen Fahrzeuge fährt zum Service beim amerikanischen Vertragshändler vor. In Europa sind es immerhin noch ca. 55 Prozent. Da aber mit einem gewissen Zeitversatz viele Entwicklungen aus den USA über den großen Teich schwappen, will man gerüstet sein.
Ältere Fahrzeuge im Fokus
Vor allem bei einem Gesamtfahrzeugbestand aller Konzernmarken, der aktuell bei ca. 14 Millionen liegt. Analysen zufolge sind 21 Prozent aller Volkswagen-Pkw jünger als drei Jahre und 25 Prozent zwischen vier und sieben Jahre alt. Für Audi liegen die Zahlen bei jeweils 24 Prozent (0-3 Jahre) und 26 Prozent (4 bis 7 Jahre). Das heißt, sowohl bei Volkswagen als auch bei Audi, geht über die Hälfte des Bestands weitgehend am eigenen Geschäft vorbei. Versuche, ältere Fahrzeuge in die Vertragswerkstatt zurückzuholen, haben bisher kaum gefruchtet.
So nahm Volkswagen das Thema ältere Fahrzeuge Anfang 2005 selbst in die Hand und installierte bis Frühjahr 2008 im Stadtgebiet von Berlin sechs stop+go-Pilotbetriebe. Hier hat sich laut Porbeck gezeigt, dass das Konzept stop+go funktioniert und die gewünschte Zielgruppe erreicht wird. Über 60 Prozent der VW in stop+go Pilotbetrieben sind älter als sieben Jahre, 29 Prozent zwischen vier und sieben Jahre und nur rund zehn Prozent jünger als drei Jahre. Porbeck: "Die Pilotphase hat bestätigt, dass wir deutlich Potential auf dem freien Servicemarkt schöpfen und Marktanteile gewinnen können. Das Servicegeschäft der autorisierten Partner wird wirkungsvoll ergänzt und die Serviceoffensive des Volkswagen- Konzerns nachhaltig verstärkt."
Für die Zukunft verfolgt der Konzern somit eine Zangenstrategie: Das jüngere Fahrzeugsegment wird wie gehabt mit diversen Servicekonzepten (Garantien, Flatrate, etc.) im Vertragshandel gehalten (wer heute den Kunden hat, hat morgen das Geschäft). Den Rest der Fahrzeuge und Kunden will man über stop+go erreichen. Darüber hinaus bleibt das NORA-(Nicht Organisationsgebundene Rabattbegünstigte Abnehmer)Geschäft, mit dem man die eigenen Originalteile zum Beispiel an freie Werkstätten vermarktet. Aus Konzernsicht ein stimmiges Komplettpaket, mit dem man alle Fäden in der Hand hat um die eigenen Fahrzeuge vom Herstellungsband bis zur Verschrottung mit Teilen, Service, Reparatur, Zubehör und allen weiteren Dienstleistungen rund ums Automobil zu bedienen.
Toplage + 100.000
Der autorisierte Handel kann und soll daran partizipieren, denn stop+go in der neuen Form ist als Filial- und Franchisekonzept ausgelegt, das laut Detlef Saemisch, Geschäftsführer der stop+go Systemzentrale ausschließlich Partnern angeboten wird, die aus der eigenen Organisation kommen (VW, Audi, Seat, Skoda) und einen Handels- oder Servicevertrag haben. Allerdings haben sich die Randbedingungen im Vergleich zu früher deutlich geändert. Wichtigste Voraussetzung für einen neuen stop+go Standort ist eine Toplage mit hoher Frequenz und ein Einzugsgebiet von mindestens 100.000 Einwohnern. Die Architektur der Betriebe folgt einem Masterplan und enthält einen Shopbereich sowie eine Werkstatt mit Boxenanordnung. Grundstück und Gebäude werden gemeinsam mit Investoren von der Systemzentrale finanziert. Anschließend wird ein Franchisenehmer aus dem eigenen Netz gesucht, der den Standort mit einem Fünfjahresvertrag übernimmt.
Der Partner mietet das Objekt und muss rund 270.000 Euro für die Werkstatteinrichtung bzw. 370.000 Euro für den Lagerbestand vorfinanzieren. Die Franchisegebühr beträgt ein Prozent vom Umsatz. Ein Fahrzeughandel oder Verweis auf einen anderen Vertragsstandort des Franchisenehmers im stop+go-Betrieb ist nicht gewünscht. Allerdings ist es möglich, auf einem angrenzenden Grundstück die Frequenz des stop+go-Standorts für einen eigenen Fahrzeugverkauf zu nutzen. Darüber hinaus sind für Saemisch Cross-Selling-Potentiale im stop+go-Betrieb denkbar – beispielsweise eigene Mietwagen, Scheibenreparatur, Fahrzeugaufbereitung etc. über Partner (z.B. Dent Wizard, Carglass). Laut Saemisch werden die stop+go-Betriebe in der Anfangsphase ca. 10.000 Teile ständig vorrätig haben; künftig sollen es 15.000 sein. Zudem besteht ein ständiger Zugriff auf die 480.000 gängigsten Teile im VW-Konzern. Die Belieferung mit Originalteilen erfolgt einmal pro Woche über die Volkswagen Original Teile Logistik GmbH (OTLG).
Fremdteile über ATR
Für die Versorgung mit Fremdmarkenteilen wurde ein Vertrag mit ATR (Auto Teile Ring) geschlossen. Daneben erhält der Franchisenehmer Unterstützung bei Werkstatt und Reparatur, IT, dem Produktprogramm, technischer und kaufmännischer Schulung, Werbung (zentral), BWL und beim Qualitätsmanagement.
Spannend wird es für die derzeit noch 69 stop+go-Partner der alten Konzeption. Sie sollen laut Detlef Saemisch einen neuen Vertrag erhalten und sich den neuen Standards anpassen. Ist das nicht möglich, wird im Einzelfall über die Zukunft des jeweiligen Standorts entschieden. Daneben plant die Systemzentrale in den nächsten zwei Jahren jährlich rund 20 neue stop+go-Betriebe zu eröffnen. Fest geplant sind bereits stop+go-Filialen in Regionen, in denen Volkswagen inzwischen selbst Retailbetriebe betreibt – darunter Stuttgart, Hannover und Hamburg. Der erste offizielle Betrieb eines Franchisenehmers wurde kürzlich in Nürnberg eröffnet und von der Firma Feser initiiert. Wieviele weitere tatsächlich folgen werden bleibt abzuwarten.
Thomas Seidenstücker/fs
- Ausgabe 6/2008 Seite 62 (304.3 KB, PDF)