Nach dem Ende der Subventionen kommt viel Bewegung in den Markt für Elektromobilität. Im Wesentlichen muss nun der Markt (Hersteller, Händler, Leasinggeber) dafür sorgen, dass der Umstieg auf das E-Auto leichtfällt. Nun weiß aber jeder, der etwas länger mit Stromern unterwegs ist, dass es immer noch erhebliche Abweichungen von den Papierwerten gibt. Beim Ladetempo, bei der Reichweite im Winter, bei der Lieferfähigkeit von Ersatzteilen, bei der Wirksamkeit von Over-the-Air-Updates. Eine weitere Baustelle sind die niedrigen Restwerte gebrauchter E-Fahrzeuge. Stabile Restwerte sind aber die Basis für das Leasinggeschäft und für die Kalkulation der monatlichen Leasingrate.
Neutraler Blick
Anfang des Jahres 2023 erfuhr der Preisverfall der Stromer ungeahnte Dynamik. Die Kundschaft entscheidet, wie viel sie für die E-Mobilität zahlen möchte. Auf der anderen Seite hält der staatlich verordnete sinkende Flottenverbrauch den Verkaufsdruck für die Autoproduzenten hoch. Kurzum: Es ist kompliziert, und da hilft ein neutraler Blick von außen. Diesen hat die Deutsche Automobil Treuhand - DAT. Wer erfahren möchte, wie das Team in Ostfildern seine Gebrauchtfahrzeugwerte und Prognosen erstellt, sollte am besten mit Martin Weiss reden. Die "Coca-Cola-Formel der Datenexperten", allein rund 30 Mitarbeiter kümmern sich um die Fahrzeugbewertungen, ist etwas Besonderes.
Das wird am bunten Strauß der Datenquellen deutlich. Besondes wichtig sind die realen Transaktionspreise. Sprich: Zu welchem tatsächlichen Preis wurde ein Gebrauchtwagen von einem Händler an einen Endkunden verkauft? Wer nur auf Gebrauchtwagenbörsen schaut, findet zwar einen Angebots-, aber keinen Verkaufspreis.
Detaillierte Ausstattung und Preis: Nicht leicht zu erkennen
"Das ist der Blick oberhalb der Wasseroberfläche", wie es Weiss umschreibt. Denn zum einen ist es nicht leicht zu erkennen, welche detaillierte Ausstattung das online angebotene Auto hat, und zum anderen, zu welchem Preis es letztendlich auch verkauft wurde. Ob das online inserierte Vehikel dann von einem privaten Verkäufer oder einem Händler stammt, interessiert nicht alle Käufer (außer beim Punkt "Garantie"), aber es ist für das Abbilden des Marktgeschehens wichtig, denn Händler fungieren als Partner der Hersteller, was wiederum Auswirkungen auf die Neuwagenpreise hat. Also: echte Transaktionspreise von Fahrzeugen ohne Schäden mit einer (Händler-)Garantie. Das ist ein vergleichbarer Wert und "das ist der Blick unterhalb der Wasseroberfläche", wie Weiss ergänzt.
Woher kommen nun diese echten Preise? Zum einen über die DAT-Software (SilverDAT). Diese nutzen die meisten Händler und steuern damit auch ihre Gebrauchtwagen-Geschäfte. In Ostfildern landet davon eine Fahrgestellnummer, ein DAT-Europa-Code, der Kilometerstand, die Serien- und Sonderausstattung, der Tag der Erstzulassung und der erzielte Verkaufspreis. Also die wichtigsten Punkte in der Vita eines Automobils.
- Ausgabe 12/2024 Seite 048 (344.2 KB, PDF)
Daten der Händler
Die zweite Blume im Strauß sind die Datenbanken der Hersteller und Importeure. Zwar sind der Hersteller- (VDA) und der Importeurs- (VDIK) sowie der Händler-/Werkstatt-Verband (ZDK) Gesellschafter der DAT, aber die Schwaben agieren eben als Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Akteuren, sodass deren Neutralität einem Bestandsschutz gleichkommt.
Viele Autoproduzenten oder Händlerverbände sammeln die Verkaufspreise über deren Dealer-Management-Systeme und teilen diese Infos mit dem Dienstleister per Schnittstelle. Die Motivation liegt darin, dass so eine möglichst akkurate Abbildung des Marktes erstellt werden kann, die den Händlern und Herstellern nützt. Je mehr Daten zur DAT fließen, desto genauer kann der Markt abgebildet werden. Davon profitieren alle.
Der dritte Blumenzweig sind Angebotspreise der großen Verkaufsplattformen, welche ebenfalls in den Strauß mit eingestreut werden (wiederum per Schnittstelle und nicht als Datencrawler im Internet). Auch hier wird der "Daumenabdruck des Autos", seine Fahrgestellnummer, mit übertragen, sodass alle Infos zu den verbauten Standards und Extras vorhanden sind. Dadurch kann man auch auf Fahrzeugebene sehen, wie ein Fahrzeug angeboten und letztendlich verkauft wurde. "Das ist es, wo bei uns die Magie stattfindet", lacht Weiss.
Alles neu zusammengestellt
Mit der Fahrgestellnummer ist eine Abfrage an den Produktionsserver des Herstellers verbunden. Anhand der Abfrage setzt das Datenteam die Fahrzeuge virtuell neu zusammen, denn nicht in jedem Verkaufsprozess herrscht diese Transparenz, was wirklich verbaut ist. Diese Offenheit braucht es aber, um zu bewerten, welche Extras oder Ausstattungspakete wirklich gefragt sind oder welche Extras kaum Käufer finden. Nach dem virtuellen Neuaufbau werden die Kilometerstände im Sinne der Vergleichbarkeit harmonisiert. Dann gehen diese Werte in die eigenen Tools, mit denen die Marktbeobachter agieren (Plausibilitätsprüfungen), sprich, sie sorgen für Marktabgleich und, wenn nötig, Preisanpassungen.
So kann man den durchschnittlichen Verkaufspreis von sehr vielen Gebrauchten mit den eigenen Werten vergleichen und damit auch die eigene Vorhersage der Restwertprognosen genauer machen - wie ein lernender Algorithmus. So entsteht neben den tatsächlichen Marktpreisen auch die Restwertprognose für ein spezielles Auto - bei Bedarf für bis zu sechs Autolebensjahre.
Die Marktbeobachter sind übrigens nach Autosegmenten aufgeteilt, sodass sie das Marktgeschehen anhand der Entwicklungen ihrer Klasse (City Cars bis Oberklasse und Sportwagen, aber auch Motorräder, leichte und schwere Nutzfahrzeuge oder Busse) sehen, verstehen und in die Zukunft projizieren können.
"Überfettung" der Autos
Das B2C-Geschäft deckt der jüngst 50 Jahre gewordene "DAT-Report" ab. Zudem begleiten die DAT-Experten die Automobilhersteller bereits mehrere Jahre vor dem Launch neuer Modelle, um diese optimal am Markt (zum Beispiel Deutschland) platzieren zu können. Denn nicht in jedem Land greift die Herstellerlogik für eine gewisse Ausstattung.
So kam es vor, dass erst mit dem Facelift-Modell doch ein Heckscheibenwischer ans Auto kam (den es vorher nicht gab), oder ein Hersteller packte die hochwertige 360-Grad-Kamera ins Grundmodell, was den Preis unnötig nach oben trieb.
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Eine besondere Rolle nehmen hier die E-Fahrzeuge ein, die den Datenexperten auch langfristig nicht auf dem Preisniveau der Verbrenner sehen. Die Preise der E-Modelle sind gerade stark unter Druck - und Stand Mitte des Jahres sieht Weiss noch keine Haltelinie für einen weiteren Preisverfall der Stromer. Seine Erklärung: Die preisliche Marktverschiebung nach oben war in den vergangenen zwei Jahren künstlich durch die Verknappung entstanden. Nun ist auffällig, dass die Nachfrage nach E-Autos neu und gebraucht eher schleppend verläuft. Die Preise der Stromer hingen und hängen stark von externen Faktoren ab. Bis zum Jahreswechsel war es die Förderung, jetzt sind es die Preisanpassungen der Hersteller oder die immer noch geltenden steuer-lichen Vorteile etwa in der Versteuerung als Dienstwagen.
Kurzfristig sehen die Experten aus Ostfildern, dass gerade im Gebraucht-E-Markt eher die günstigen Fahrzeuge weggehen und die teuren beim Händler oder Hersteller bleiben.
Ruhe bewahren
Die Restwerte sind die Standardwährung für viele im Autohandel, gerade im B2B-Bereich. Deshalb steigt dort in (Absatz-)Krisenzeiten auch die Nervosität. Während des Dieselskandals und zu Beginn der Corona-Pandemie riefen deshalb die Händler reihenweise in Ostfildern an, um anzuregen, dass die Gebrauchtwagenpreise doch massiv gesenkt werden sollten. Die Reaktion darauf war: Ruhe bewahren. Auf die eigenen Daten schauen. Und erst wenn der Verkaufspreis tatsächlich sinkt (in realen Verkäufen), wird der Restwert angepasst.
Dass gerade im hochpreisigen Güterhandel Vertrauen die Basis zwischen Händler und Käufer ist, lässt auch Weiss öfters durchblicken. Auf die E-Fahrzeuge gemünzt, die nach dem Leasing (in der Regel drei Jahre), dann als Gebrauchte noch mindestens fünf bis sieben Jahre im zweiten Leben surren sollten, heißt das, dass die Batteriegarantie von derzeit unisono acht Jahren im Grunde verlängert werden müsste. Oder, so die Idee des DAT-Experten, der Gebrauchtwagenkäufer erhält weitere vertrauensbildende Maßnahmen, zum Beispiel einen vorher kalkulierbaren, vergünstigten Batterietausch.
Am Ende ist das E-Auto aufgrund der Batterie, die auch einer kalendarischen Alterung unterliegt, ein anderes Produkt als ein Verbrenner - der altert eben anders und meist langsamer als sein Stromer-Pendant. Ein zweiter wichtiger Unterschied beschreibt das Verhältnis von Hard- zu Software. Die E-Modelle sind in der Regel stark softwareunterstützt und "reifen" unabhängig vom Hersteller stärker beim Kunden, als es ihre Verbrenner-Pendants je taten. Ärger, Ausfälle und Irritationen inbegriffen.