Unmittelbar vor Auftakt des Musterverfahrens der Anleger im Volkswagen-Dieselskandal treten beide Seiten selbstbewusst auf: "Uns schreckt nichts von den Argumenten", sagte Andreas Tilp, Anwalt der Musterklägerin Deka Investment. Er kündigte an, dass das Verfahren ohnehin zum Bundesgerichtshof gehen werde, "egal, wer gewinnt oder verliert". VW-Rechtsanwalt Markus Pfüller betonte, in dem Verfahren gehe es ausschließlich darum, ob Volkswagen seine Veröffentlichungspflichten gegenüber Aktionären und dem Kapitalmarkt erfüllt habe: "Wir sind davon überzeugt, dass dies der Fall ist."
Die mündliche Verhandlung am Oberlandesgericht Braunschweig beginnt am Montag (10.00 Uhr) - die Aktionäre fordern im Musterverfahren Schadenersatz in Milliardenhöhe für erlittene Kursverluste. Die entscheidende Frage ist: Hat VW die Märkte rechtzeitig über die Affäre rund um millionenfachen Betrug mit manipulierten Dieselmotoren informiert? Unmittelbar nach Bekanntwerden des Skandals Ende September 2015 war der Kurs der VW-Aktie eingebrochen - zeitweise verloren die Vorzugspapiere des Konzerns fast die Hälfte ihres Werts. Anleger erlitten heftige Verluste.
Insgesamt machen die Kläger, vor allem institutionelle Investoren, Forderungen von fast neun Milliarden Euro geltend. Im Musterverfahren selbst liegt der Streitwert bisher bei knapp vier Milliarden Euro. Nach Tilps Worten fordert allein die Sparkassen-Fondstochter Deka Investment als Musterklägerin mehr als 200 Millionen Euro. Die weiteren Verfahren - rund 1.670 Klagen liegen vor - ruhen bis zum Ergebnis in dem Prozess, der nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz geführt wird.
Beklagte sind VW und Porsche
Nach Einschätzung von VW-Rechtsanwalt Pfüller wird es in dem Verfahren zunächst um den weiteren Fahrplan gehen, dazu werde das Gericht seine Vorstellungen mitteilen. Geklärt werden müsse vor allem, welche inhaltlichen Schwerpunkte das Gericht setzen wolle, daraus ergebe sich dann, zu welchen Sachverhalten möglicherweise auch Zeugen gehört würden. Bislang hat das Gericht 13 Verhandlungstage bis Ende des Jahres angesetzt. Musterbeklagte sind Volkswagen und der VW-Hauptaktionär Porsche SE.
In dem Mammut-Verfahren dürfte es auch um die wohl spannendste Frage zum Abgas-Skandal gehen: Wer wusste wann was im VW-Konzern? Nach Einschätzung von Anwalt Tilp betrifft das nicht allein den früheren Konzernlenker Martin Winterkorn und die Vorstandsebene - auch wenn Manager der Ebene darunter Mitwisser waren, werde dies dem Konzern zugerechnet.
Volkswagen stellte mit der Ende Februar eingereichten Klageerwiderung vor allem klar: Es gab aus Sicht des Konzerns keine konkreten Anhaltspunkte für eine Kursrelevanz der Affäre, bis die US-Umweltbehörden am 18. September 2015 unerwartet mit ihren Anschuldigungen an die Öffentlichkeit gingen. Laut Gesetz müssen Nachrichten, die den Firmenwert beeinflussen können, umgehend ("ad hoc") veröffentlicht werden.
Tilp dagegen betonte, spätestens im Juni 2008 sei Volkswagen bekannt gewesen, dass die strengen US-Vorgaben zum Stickoxidausstoß nicht eingehalten werden könnten. Danach habe VW betrogen - und weil die Anleger das nicht wussten, hätten sie Aktien zu teuer gekauft. (dpa)