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Besuch im Crashtest-Labor: Fünf Sterne, H3 und Thor

04.01.2019 01:04 Uhr
Besuch im Crashtest-Labor: Fünf Sterne, H3 und Thor
In einem Subaru Impreza rauschte der Dummy "H3" 2017 mit 64 km/h gegen die Wand. H3 ist wohlauf – und der Hersteller bekam für das gute Abschneiden seines Modells das begehrte "Best in Class"-Siegel.
© Foto: Jörg Schwieder

Egal ob Traumauto oder günstiger Kleinstwagen, irgendwann landen Sie hier alle an der Wand, im Dienste der Sicherheit. Ein Besuch im Crashtest-Labor des ADAC in Landsberg am Lech.

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Von Jörg Schwieder/SP-X

Harten Tag im Job gehabt heute? Falls Ihnen jetzt ein "Ja" auf den Lippen liegt, könnte das ein wenig vorschnell sein, bevor Sie nicht die Geschichte von Hybrid III gehört haben. Volker Sandner rollt einen seiner wichtigsten Mitarbeiter gerade zur Tür herein. Rund 80 Kilo, 1,75 Meter lang, schlank, betont ausdruckslose Mimik. "Der kommt direkt aus einem Auto, der hat jetzt den Rest des Tages frei", grinst der Leiter Fahrzeugsicherheit des ADAC-Technikzentrums in Landsberg am Lech.

Dafür, dass "H3" gerade bei einem Crashtest vor eine Wand gefahren wurde und das Auto dabei von Tempo 64 km/h auf null in nur 0,3 Sekunden gestoppt wurde, sieht unser Mitarbeiter der Woche erstaunlich fit aus. "Dann hat das Auto wohl so funktioniert wie es soll", resümiert Sandner und zieht eine der säuberlich beschrifteten Schubladen auf: "Ersatzteile". "Und wenn es doch eine Schramme gibt, bringen wir H3 schon wieder in Form", sagt er und präsentiert uns eine Dummy-Ersatzhand, Modell europäisch Fleischrosa. Und auch beim Blick in die anderen Ecken des Raums ist nicht so ganz klar, ob wir uns wirklich im Labor der NCAP-Tester befinden oder vielleicht doch eher in Frankensteins Werkstatt.

Wenn Fans übers heilige Blech schwadronieren, scheint so ziemlich alles wichtig. Aber haben Sie schon mal jemanden damit angeben hören, dass sein "Neuer" im Crashtest besonders gut abgeschnitten hätte? Wohl kaum. Da kann so ein Besuch in einem nüchternen Labor ganz heilsam sein. Das erdet, und fokussiert auf das, was wirklich wichtig ist, wenn es einmal darauf ankommt. Auf einem Rollwagen sitzt eine Familie von Kinder-Dummys, an Gerüsten reihen sich Puppen verschiedenster Größen. Sie alle sorgen dafür, dass Autos in den letzten Jahrzehnten so sicher geworden sind wie nie zuvor – das unterstreicht auch Simon Edmonds, Technical Manager bei Euro NCAP. Die etwas sperrige Abkürzung steht für "European New Car Assessment Programme" – deutlich bekannter sind die Bewertungen, die seine Gesellschaft mit Sitz im belgischen Leuven vergibt. Fünf der begehrten Sterne stehen für bestmögliche Sicherheit, die ein modernes Auto heute bieten kann.

"Am Ende geht es nur um Sicherheit"

"Am Ende geht es nur um Sicherheit, um nichts sonst. Im Fall eines Unfalls zählt nicht die schöne Ausstattung, sondern nur, ob das Auto die Passagiere schützt", sagt Sandner. Deswegen werden die Dummys mit viel Aufwand so konstruiert, dass sie Menschen so nah wie möglich kommen. Es gibt Attrappen für Männer, Frauen und Kinder, in allen Altersstufen, für Frontal- oder Seitenaufprall. Die lebensgroßen Puppen sind randvoll mit Mechanik an Knien oder Wirbelsäule sowie Sensoren, die Beschleunigung messen können oder Krafteinwirkung melden. "Aber trotz allem Hightech ist es für die Biomechanik enorm schwierig, die Komplexität eines Körpers auch nur annähernd hinzubekommen", gesteht Edmonds. Das gilt insbesondere für unseren H3: Entworfen wurde diese Dummy-Generation schon in den 1970er-Jahren. Nach einer Entwicklungszeit von 20 Jahren wurde die H3-Familie in den 90er-Jahren in Dienst gestellt.

Volker Sandner arbeitet seit 19 Jahren beim ADAC und ist Leiter Fahrzeugsicherheit im Technikzentrum Landsberg.
© Foto: Jörg Schwieder

"Die Technik hat seither Fortschritte gemacht, daher steht die neueste Dummy-Generation kurz vor der Fertigstellung", erklärt Sandner und deutet auf einen anderen Mitbewohner dieser Dummy-WG. "Darf ich vorstellen, das ist Thor." Offiziell steht THOR für "Test Device for Human Occupant Restraint" ("Testinstrument für Passagier-Rückhaltesysteme"). Thor ist vollgepackt mit Hightech. Leistungsfähigere Sensoren, bessere Datenaufzeichnung, bessere Biomechanik, neue Messgeber im Gesichtsbereich: Thor ist der neue Held für Crashtester – und der Grund, warum H3 sich nach 40 Jahren Berufserfahrung vermutlich bald auf den Ruhestand freuen darf. "Eigentlich bleiben Dummys ewig im Dienst, wenn man sie sorgsam pflegt", betont Sandner. Das ist auch ratsam: Lagen die H3-Dummys für Frontaltests noch bei etwa 300.000 Euro, wird für Thor eher eine Million Euro aufgerufen. 

Schwachpunkt Mensch

"Im Grunde sprechen wir bei der Fahrzeugsicherheit über Erkenntnisse, die seit 30 oder 40 Jahren Gültigkeit haben. Natürlich helfen passive Sicherheitssysteme wie Airbags und moderne aktive Assistenten wie automatische Bremssysteme mit. Aber am Ende kommt es wie vor Jahrzehnten darauf an, dass die Fahrgastzelle hält – und die Passagiere einen Gurt tragen." Für den Unfallforscher ist oft nicht die Technik der Schwachpunkt, sondern der Mensch. "Was glauben Sie, was passiert, wenn sich ein Airbag mit bis zu 300 km/h entfaltet und der Beifahrer lässig seine Füße auf dem Armaturenbrett abgelegt hat." Eines ist klar: Alle Sicherheitssysteme funktionieren nur dann optimal, wenn sich die Passagiere in der idealen Position befinden: Sitz aufrecht. Kopfstütze korrekt. Gurt richtig einstellen. Da war früher so, und das gilt auch heute noch.

"Gerade in den letzten Jahren gab es vielleicht die Wahrnehmung, jedes neue Auto würde fünf Sterne bekommen, und das sei eher Marketing." Diesen Eindruck will Edmonds zurechtrücken: "Fünf Sterne zu bekommen ist keine Selbstverständlichkeit. Die Hersteller müssen immer mehr leisten, um mit den regelmäßig verschärften NCAP-Anforderungen mithalten zu können."

Pro Jahr werden etwa 30 neue Automodelle im Rahmen des Euro NCAP geprüft. Für eine Testreihe werden jeweils vier Fahrzeuge in verschiedene Crashszenarien geschickt, die häufige Unfallsituationen nachstellen. Das Punktesystem belohnt nicht nur gute Resultate im Crashtest, sondern auch die generelle Sicherheitsausrüstung. "Ein Fahrzeug, das lediglich die gesetzlichen Mindestvorgaben erfüllt, würde keinen Stern bei Euro NCAP erhalten", erklärt Edmonds. Die getesteten Autos sind normale Serienfahrzeuge, streng nach dem Zufallsprinzip ausgewählt.

Ein Autoleben im Dienste des Euro NCAP ist kurz. Um die Fahrzeuge – von einem Stahlseil gezogen – auf 64 km/h zu beschleunigen, reichen sechs Sekunden aus. Bei einem Test wird das Auto zum Beispiel von einer Wand oder einem Pfahl gestoppt, und zwar schnell. "Wir haben manchmal Besuchergruppen hier. Es reicht schon, wenn die Gäste im falschen Moment etwas zu lang blinzeln, um das Wesentliche zu verpassen", weiß Sandner. Ein Auto wird bei diesem Tempo in 0,3 Sekunden zum Stillstand gebracht – etwas mehr als ein Wimpernschlag. "Eigentlich hört man nur das Geräusch des Seils und einen Knall." Die menschlichen Sinne sind für solche Extremereignisse nicht gemacht. Das ist Teil des Problems: "Man kann sich nur schwer vorstellen, welche enormen Kräfte bei einem Unfall wirken."

Genau diese Aufprallenergie muss eine ideal konstruierte Fahrgastzelle so gut wie möglich absorbieren ­beziehungsweise ableiten: "Die Physik kann man nicht austricksen – je mehr Mühe sich die Ingenieure geben, desto sicherer ist am Ende das Fahrzeug", erklärt Edmonds. Dazu kommt ein zweiter Ansatz, den Euro NCAP mit seinen Sternen systematisch fördert: "Aktive Sicherheitstechnologien helfen dabei, Bewegungsenergie abzubauen – etwa durch eine blitzschnelle Bremsung, – bevor ein Unfall passiert", so der ADAC-Experte. Um in der Oberliga der Sicherheit mitspielen zu können, müssen die Ingenieure ihr Bestes geben. Sandner: "Hersteller wie Mercedes, BMW, Volvo oder auch Subaru, die regelmäßig fünf-Sterne Wertungen erhalten, können daher sehr stolz sein auf so ein Ergebnis."

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