Von Holger Holzer/SP-X
Worum geht es?
Die Umweltminister von Bund und Ländern haben sich auf die Einführung einer blauen Plakette für Autos mit geringem Schadstoffausstoß verständigt. Ziel ist die Reduzierung der Stickoxidbelastung in den Innenstädten. Kommunen mit besonders schlechter Luft sollen künftig selbst entscheiden können, entsprechende Beschränkungen auszusprechen. Anders als bei der Umweltzonen in ihrer aktuellen Form, die dem Kampf gegen Feinstaub gewidmet sind, soll die blaue Plakette gegen hohen Belastungen mit Stickoxiden (NOx) vorzugehen. Die Gase greifen beim Menschen die Schleimhäute und dem Atemapparat an, gelten auch Verantwortlich für Herz- und Kreislauferkrankungen.
Wann soll die Regelung starten?
Das ist noch unklar. Die Umweltministerkonferenz hat die Bundesregierung nun zunächst gebeten, eine neue Kennzeichnung für Autos mit geringem Stickoxidausstoß zu entwickeln. Eine fertige Vorlage auf Basis der bereits existierenden Umweltzonenverordnung könnte noch dieses Jahr fertig werden. Das Bundesumweltministerium drängt, die Regelung auf den Weg zu bringen, weil sie den Kommunen Planungssicherheit für ihre Luftreinhaltepläne geben will. Bis die ersten "blauen Zonen" eingerichtet werden, dürfte es aber noch dauern. Stuttgart beispielsweise will 2019 starten, wenn die Luftqualität sich bis dahin nicht durch andere Maßnahmen verbessert hat. Allerdings will man die blaue Plakette nur einführen, wenn 80 Prozent der zugelassenen Pkw sie auch erhalten würden.
Welche Autofahrer sind nach aktuellem Stand betroffen?
Bislang offenbar nur die Dieselfahrer. Endgültige Pläne gibt es zwar noch nicht. Diskutiert wird aber, die blaue Plakette nur an Diesel auszugeben, die die Anforderung der Ende 2015 eingeführten Euro-6-Norm erfüllen. Rund 13 Millionen Pkw hätten damit laut dem Branchenverband VDA keine Aussicht auf das Freifahrt-Pickerl. Euro-6-Modelle mit Dieselmotor wurden zwar bereits schon Jahre vor der verpflichtenden Einführung verkauft, die letzten Euro-5-Autos konnten aber noch im Sommer vergangenen Jahres erworben werden. Deren Halter wären wohl die größten Verlierer einer neuen Plakettenregelung, weil ihre kaum ein Jahr alten Fahrzeuge plötzlich als veraltet gelten müssten. Besser hätten es wohl die Besitzer von Pkw mit Ottomotor; dort wird aktuell die Abgasnorm Euro 3 als Grenze für Fahrverbote gehandelt. Sie ist seit 2001 verpflichtend – entsprechend wenige Fahrzeuge dürften keine blaue Plakette erhalten.
Wer könnte noch betroffen sein?
Neben der reinen Orientierung an der Papierform, ist künftig auch der reale NOx-Ausstoß auf der Straße für die Plakettenfarbe maßgeblich. Diese sogenannten „Real Driving Emissions“ sollen ab 2017 für die Typzulassungen neuer Pkw erhoben werden, ab 2019 für alle Neuwagen. Unter den heute erhältlichen Euro-6-Fahrzeugtypen dürfte der überwiegende Teil in der Praxis deutlich mehr NOx ausstoßen als erlaubt – ob diese Autos Probleme bei der Zuteilung einer blauen Plakette bekommen könnten, ist unklar. Für Neuwagen und neue Typen zumindest wird es relativ großzügige Übergangsregeln geben, die auch eine Überschreitung um 100 Prozent gestatten. Ist das Abgas trotzdem zu schmutzig, muss der Hersteller kostenlos nachbessern.
Auch Fahrer von neueren Autos mit Ottomotor können nicht automatisch aufatmen. Denn Umweltschützer fordern, für Modelle mit Direkteinspritzung die Abgasnorm Euro 6 zur Grundlage der Plakettenerteilung zu machen. Die gilt wie erwähnt erst seit Ende 2015 für alle Pkw verpflichtend. Anders als bei Diesel-Pkw gab es zudem keinen langen Vorlauf, während dem schon saubere Modelle auf dem Markt gewesen wären. Für Autos ohne Direkteinspritzung – in der Regel Fahrzeuge der kleineren Klassen oder Modelle mit älteren Motoren – soll dann die Euro-3-Grenze gelten. Grund: Direkteinspritzende Benziner, in der Regel Turbomotoren, sind zwar sparsamer als die sogenannten Saugrohreinspritzer, haben aber tendenziell Probleme mit teils hohem Stickoxid- und Rußausstoß. Umweltschützer klagen schon seit Jahren wegen Überschreitungen um jeweils mehrere 100 Prozent.
Was sind die Folgen für Pkw ohne blaue Plakette?
Zunächst einmal drohen Fahrverbote in manchen Innenstädten. Wie viele und welche das sind, ist noch unklar. Geplant ist aber offenbar, die Verbotsbereiche kleiner zu halten als bei den bekannten Umweltzonen, die teils ganze Regionen umfassen. Wer sich nicht an das Fahrverbot hält, dem droht wie bei der Umweltzonenregelung ein Bußgeld von 80 Euro. Punkte in Flensburg gibt es hingegen seit der Reform des Punktekatalogs nicht mehr. Wie streng kontrolliert wird hängt von der jeweiligen Kommune ab, doch bereits bei der Umweltzonenregelung kritisieren Umweltschützer eine zu geringe Überprüfung.
Gravierender als drohende Bußgelder dürfte indes der Wertverlust bei Diesel-Pkw unterhalb von Euro 6 sein. Auch die gelbe und rote Umweltzonen-Plakette ist längst ein Verkaufshindernis und macht ältere Diesel häufig zu Ladenhütern. Eine langanhaltende Diskussion zu blauen Plaketten dürfte zudem für Verunsicherung bei Autofahrern sorgen, die dann vom Kauf eines Diesels absehen könnten. Für die Industrie wäre das schlecht, ist sie doch auf den sparsamen Selbstzünder angewiesen, um die kommenden CO2-Grenzwerte einzuhalten.
Kann man durch Nachrüstung eine blaue Plakette erhalten?
Nach aktuellem Stand und wohl auch darüber hinaus: eher nicht. Selbst neuere Diesel der Klassen Euro 4 oder 5 sind nicht mit vertretbarem Aufwand auf Euro-6-Niveau zu hieven. Die Nachrüstung wäre ungleich komplizierter als etwa der nachträgliche Einbau eines Rußpartikelfilters. Die NOx-Abgasreinigung verlangt neben speziellen Katalysatoren auch eine ausgeklügelte Motorsteuerung, die alle Komponenten aufeinander abstimmt. Denkbar hingegen ist laut Umwelt-Bundesamt (UBA) die Nachrüstung von Abgasreinigungssystemen bei Nutzfahrzeugen der Klassen Euro III und IV – auch weil dort der benötigte Bauraum weniger knapp ist als bei Pkw.
Wer profitiert von der Blauen Plakette?
Zunächst wohl die Bewohner der "blauen Zonen". Zumindest, wenn sich die Fahrverbote tatsächlich auf die Luftqualität auswirken. Und vielleicht die Luftqualität in Deutschland allgemein. Auch die Anbieter von Hybrid-, Erdgas- und Elektroautos könnten aus dem Diesel-Bann ihre Vorteile ziehen. Mittelfristig dürfte die Plakette der gesamten Industrie aber möglicherweise eher schaden. Denn wenn die Kundschaft aus Verunsicherung über die Zukunftsfähigkeit des sparsamen Diesels diesen links liegen lässt, werden es die Hersteller schwer haben, ihre CO2-Ziele einzuhalten. Allein mit Benzinern und alternativen Antrieben wird das kaum gelingen.