Von Peter Weißenberg/SP-X
In den frühen achtziger Jahren war der chromglänzende Aufkleber eines der beliebtesten Mitbringsel jeder Trucker-Tankstelle: "TURBO" pappte sich gefühlt jeder zweite jugendliche Polo-, Uno- oder 205er-Fahrer an sein Heck. Irre sportlich. Die wirkliche Kraft aus der Turbine blieb damals meist den unerreichbaren Sportwagen vorbehalten. Ein Tritt aufs Gaspedal, und es tat sich … nichts. Erst, wenn der Lader auf Touren kam, erhielt der Fahrer den ersehnten Tritt ins Kreuz. Der Turbo katapultierte beispielsweise einen Porsche 944 vehement voran - und vorbei an den beklebten Kleinwagen.
Alexander Kutsch lässt Turbo für die Kleinwagen jetzt wieder aufholen. Diesmal aber in echt. Der Geschäftsführer für Produktion und Qualität bei Bosch Mahle Turbosystems (BMTS) will nämlich mehr Masse als Exklusivität - und ruft die "Turbokratie" aus: Der klassenlose Lader für alle ist das Ziel. Im Speziellen für alle Benziner - auch die ganz kleinen, billigen. Während nämlich bei den Selbstzündern praktisch ganz Europa längst turbogestützt herumdieselt, ist im Benziner dort häufig noch ein Sauger am Werk. Schließlich gilt für die Hersteller: Kleines Auto, kleiner Gewinn. Also müssen sich gerade die Käufer der kleinsten Autos in Basis-Ausstattung mit Einfach-Technik bescheiden.
Aber auch, wer bereits einen der modernen Downsizing-Benziner fährt, ist im Normalbetrieb nicht immer glücklich: Der Turboschwung setzt später und weniger harmonisch als beim vergleichbaren Diesel ein, und der Verbrauch kommt nur bei äußerst asketischen Gasfüßen in die Nähe der Prüfstand-Werte.
Das Prinzip "Gartenschlauch"
Der bessere Turbo-Kick liegt beim Diesel auch daran, dass dort meist ein Kranz variabel verstellbarer Klappen für die einströmende Luft dafür sorgt, dass sich die Turbinengeometrie anpassen lässt. Auch bei niedrigeren Drehzahlen kann der Lader dort schon harmonisch loslegen. Wer’s nicht verstanden hat: "Das Prinzip funktioniert etwa so wie bei einem Gartenschlauch, wenn der Wasserdruck schlapp ist", erklärt Kutsch. Dann verringert ein Druck auf den Schlauch den Durchmesser - und lässt einen schärferen Strahl aus dem Schlauch schießen.
Blöd nur, dass ein Turbolader nicht mit beschaulich fließendem Leitungswasser arbeitet. In die Höllenmaschine strömt beim Benziner mehr als 1.000 Grad heiße Luft, und die wird bei bis zu 300.000 Umdrehungen in der Minute verdichtet, abgekühlt und bei etwas über 150 Grad wieder in den Motor zurückgeführt.
Der Diesel dagegen arbeitet bei mindestens 100 Grad weniger Abgas-Temperatur aus dem Motor. Das ist der Grund, warum bisher nur dort die variablen Klappen mit so günstigen Materialien hergestellt werden konnten, dass es sich für die Großserie rechnet.
Ab 2018 auch kleine Turbo-Benziner
Auch darum haben sich Bosch und Mahle 2008 beim Turbo zusammengetan - und die variable Turbinengeometrie auch für den Benziner massentauglich gemacht. Ab 2018 wird es erste 1,0- bis 1,6-Liter-Benziner-Turbos nach dem BMTS-Patent geben, die zudem noch von einer schwimmenden Deckscheibe abgeschirmt werden. Durch diese FNT genannte Technik muss das Spiel der Einheit nicht so groß sein. Preiswert, robust und einfach soll der Lader schließlich sein.
Denn das war lange nicht selbstverständlich, weiß auch Kutsch. Der Turbo hatte früher einen ebenso unsoliden Ruf wie mancher Sportwagenfahrer: Hektischer Säufer mit kurzer Lebensdauer. Zumindest, wenn der Lader auch bei einem fünf Jahre alten Kleinwagen wegen kleinster Unwucht durchdrehen würde, käme das wohl einem Totalschaden gleich. Darum ist es eine BMTS-Kernanforderung an die neuen Turbos, dass sie mindestens 250.000 Kilometer halten. Bei City-Autos bedeutet das statistisch einige Jahrzehnte Autoleben.
Erfolg hängt von erhöhter Sparsamkeit ab
Hersteller wie VW und BMW haben die beiden deutschen Zulieferer auch deswegen zu einer Zusammenarbeit als Newcomer auf dem Turbomarkt gedrängt, weil sie nicht allein von US-Firmen oder japanischen Spezialisten abhängig sein wollen. Denn gerade bei den kleineren Fahrzeugen hängt ihr Erfolg bei den Kunden von erhöhter Sparsamkeit der Benziner ab. Und da haben die Deutschen strategische Partner gern vor der Tür.
Denn die Motoren müssen noch viel sauberer werden - das verlangen weltweit die Behörden. "Auch im Benziner wird darum wie beim Diesel der Partikelfilter zusätzlich zum Kat kommen", ist sich Kutsch sicher. Genau deshalb haben die Schwaben ihren FNT-Turbo entwickelt. Mit der Technik lässt es sich nämlich nicht nur bis zu 20 Prozent verbrauchsärmer fahren. Der neue Lader garantiert auch ein spritzigeres Anspringen schon bei niedrigen Drehzahlen.
Turbo-Kraft also schon kurz nach dem Anfahren - und das umwelt- und brieftaschenschonend: Da könnte sogar der glitzernde Kleinwagen-Aufkleber der Achtziger wieder in Mode kommen.