asp: Herr Lake, ZF hat unter dem Motto "Vision Zero" angekündigt, zukünftig null Emissionen und null Unfälle im Straßenverkehr anzustreben. Wie wollen Sie das erreichen?
P. Lake: Wir bieten eines der umfangreichsten Produktportfolios der gesamten Branche im Bereich Antriebs- und Fahrwerktechnik sowie der aktiven und passiven Sicherheit. Unsere Innovationen tragen dazu bei, Unfälle zu verhindern und Fahrzeuginsassen sowie andere Verkehrsteilnehmer zu schützen. ZF kann dabei auf spezifisches Know-how bei der Entwicklung intelligenter Sicherheitssysteme zurückgreifen - denn intelligentere Autos sind zugleich sicherere Autos. Mithilfe hochentwickelter Elektronikarchitekturen und innovativer Algorithmen können wir unseren Kunden integrierte Lösungen anbieten, die weit mehr sind als nur die Summe ihrer einzelnen Teile.
asp: Von welchen Technologien sprechen wir konkret?
P. Lake: Um das Ziel 'null Emissionen' zu erreichen, treiben wir vor allem die Hybridisierung und Elektrifizierung mit integrierten und flexiblen Lösungen voran. Mögliche nächste Schritte auf dem Weg dorthin haben wir im 'Vision Zero Vehicle' verwirklicht. Der Prototyp demonstriert Sicherheitsinnovationen als entscheidende Wegbereiter für die Übergangsphase vom assistierten zum autonomen Fahren. Die Funktionen basieren auf aktuell verfügbarer ZF-Technik. Wir haben uns dabei zwei entscheidende Unfallursachen, die Ablenkung des Fahrers und Falschfahrten, vorgenommen. Die Funktion 'Driver Distraction Assist' kann eine Ablenkung des Fahrers - die mittlerweile zweithäufigste Unfallursache nach überhöhter Geschwindigkeit - erkennen und bei Bedarf den Fahrer dabei unterstützen, das Fahrzeug so lange sicher zu steuern, bis keine größere Gefahr mehr besteht. 'Wrong-way Inhibit' schafft das Potenzial, Geisterfahrten und deren oft fatale Folgen aktiv zu verhindern. Das Vision Zero Vehicle ebnet dabei nicht nur den Weg zu null Unfällen, sondern auch zu null Emissionen. Dafür haben wir ein leistungsstarkes elektrisches Achsantriebssystem mit 150 Kilowatt direkt in die Hinterachse integriert.
asp: In welchem Zeitrahmen soll die Vision Zero umgesetzt werden?
P. Lake: Als einer der weltweit größten Automobilzulieferer unterstützt ZF die globalen Bemühungen zur Vision Zero, die von zahlreichen Unternehmen und Institutionen getragen werden. Unserer Ansicht nach kann dieses Ziel nur mit einer flächendeckenden Durchsetzung des autonomen und elektrischen Fahrens erreicht werden. Das autonome Fahren wird dabei nicht von heute auf morgen, sondern schrittweise kommen. Niemand kann genau vorhersagen, wann größere Anteile des Individualverkehrs autonom sein werden. Eines ist aber sicher: die Entwicklung nimmt immer mehr an Fahrt auf. Wir müssen daher schon jetzt gerüstet sein, um passende Lösungen anbieten zu können. Was die Elektromobilität angeht, erwarten wir in naher Zukunft markante Steigerungen des Marktanteils elektrischer Fahrzeuge, inklusive Hybrid.
asp: Sehen Sie Deutschland als Vorreiter, um die "Vision Zero" umzusetzen?
P. Lake: Wir bei ZF und auch andere innovative Unternehmen arbeiten sehr intensiv in diesem Bereich, so dass man Deutschland durchaus eine führende Rolle bei der Umsetzung der Vision Zero zusprechen kann.
asp: Was versteht ZF unter "See, Think, Act"?
P. Lake: ZF hat umfassende Kompetenzen, um Fahrzeuge sehen, denken und handeln zu lassen. Wir sind entlang dieser gesamten Wirkungskette aktiv - von Sensoren (Sehen) über zentrale Systemintelligenz in Form von elektronischen Steuerungen und Software (Denken) bis hin zu umfangreichen Aktuatoren im Fahrzeug (Handeln).
asp: Wie hilft die Kooperation mit Hella dabei, Ihre Ziele zu erreichen?
P. Lake: ZF arbeitet mit vielen Partnern zusammen, neben Hella auch Nvidia oder Faurecia, um neue Technologien für die Automobilindustrie zu entwickeln. Dabei bringen wir die verschiedenen Kompetenzbereiche aller Partner zusammen: höchste Innovationskraft, Geschwindigkeit, globale Automotive-Kompetenz sowie erstklassiges Vertriebs- und Service-Know-how. Diese vielfältigen Impulse verstärken unsere Position als einer der führenden Automobilzulieferer. Und sie helfen uns, der Vision Zero näher zu kommen, daher nennen wir dieses Netzwerk 'Vision Zero Ecosystem'.
asp: Elektroautos führen momentan noch ein Nischendasein in Deutschland. Wie möchte ZF dabei helfen, diese Technologie voranzutreiben? Gibt es noch weitere Alternativen, um Emissionen auf null zu reduzieren?
P. Lake: Aktuell sind Elektrofahrzeuge in Deutschland noch ein Nischengeschäft. Weltweit erwarten wir aber bis 2025 einen Marktanteil elektrischer Fahrzeuge von 25 Prozent, worin sowohl hybride als auch vollelektrische Fahrzeuge enthalten sind. Insgesamt ist dies eher eine Evolution, also ein schrittweiser Übergang, bei dem neben vollelektrischen Antrieben auch Hybridlösungen eine wesentliche Rolle spielen werden. Dieser schrittweise Übergang erfordert modulare Antriebslösungen, die flexibel in bestehende Systeme eingebaut werden können. Auf Basis der gleichen Modellplattform können dadurch konventionelle, hybride oder rein elektrische Antriebe ausgeführt werden.
asp: Automatisierte Fahrzeugfunktionen der Level-4-Kategorie, also Vollautomatisierung, sollen laut Aussage von ZF bereits 2020 in OEM-Teilen implementiert werden. Wann rechnen Sie damit, dass Autos komplett fahrerlos autonom unterwegs sein werden?
P. Lake: Dieses Ziel erreichen wir nicht von heute auf morgen. Es hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, was eine verlässliche Prognose sehr schwierig macht. Technischer Reifegrad, Marktakzeptanz und vorhandene Infrastruktur sind nur drei dieser Faktoren. In überschaubaren und abgeschlossenen Bereichen, wie zum Beispiel in Parkhäusern, werden wir schon bald autonome Funktionen in Serie sehen. Bis wir fahrerlose, also tatsächlich autonome Fahrzeuge im Straßenverkehr in allen Verkehrssituationen sehen, wird es aber noch dauern.
asp: Was sind die Herausforderungen, die für autonom fahrende Autos noch erfüllt werden müssen?
P. Lake: Momentan sind wir in der Lage, Level 1 und 2 des automatisierten Fahrens in Serienfahrzeugen umzusetzen. Der Weg ist beschritten. Das heißt, der Reifegrad der Systeme wird rasant zunehmen, diese werden schrittweise in bestimmten Situationen das Fahren übernehmen. Damit werden der Funktionsumfang, die Verfügbarkeit und dadurch die Marktdurchdringung schnell wachsen. Für den nächsten Schritt müssen wir auch die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Infrastruktur in den verschiedenen Ländern im Blick haben. Mit unserem Vision Zero Vehicle haben wir gezeigt, wie weit unsere Technologie ist. Aber die Technologie ist eben nicht der einzige Aspekt, der für das autonome Fahren bereit sein muss.
asp: Wird das klassische ZF-Geschäft wie Getriebe durch Elektromobilität und automatisiertes Fahren zukünftig an Bedeutung verlieren?
P. Lake: Unser traditionelles Geschäft wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, da für die Mobilität von morgen intelligente mechanische Systeme benötigt werden. Beispielsweise brauchen autonome Fahrzeuge auch in Zukunft Antriebs- und Fahrwerksysteme, sie müssen beschleunigen, lenken und bremsen. Mechanische Systeme werden also auch weiterhin eine wesentliche Kernkompetenz von ZF bleiben, aber intelligent vernetzt für die Mobilität der Zukunft.
asp: Wie stellen Sie sicher, dass ZF auch in Zukunft gut aufgestellt ist?
P. Lake: Im Rahmen unserer Strategie 2025 haben wir wesentliche strategische Ziele definiert, die unser langfristiges Wachstum sichern sollen. Mit dem Ziel der Marktdurchdringung, unterstützt durch den richtigen globalen Footprint und die richtige Lokalisierungsstrategie, verbessert ZF seine Position auf dem Weltmarkt. Wir streben Technologie- und Kostenführerschaft an, werden auch in Zukunft etablierte Technologien weiterentwickeln und zugleich unsere Kompetenz im Bereich neuer Technologien und Digitalisierung ausbauen. Des Weiteren integriert ZF neue, innovative Technologien und bleibt dabei finanziell unabhängig. Im Mittelpunkt werden auch nach wie vor unsere Mitarbeiter stehen, wir wollen die besten Talente für ZF gewinnen. Wir sind dank unserer Partner in unserem 'Vision Zero Ecosystem' sowie unserer Kooperationen in der Lage, verschiedenste Kompetenzen zu kombinieren und dadurch noch schneller im Bereich Forschung und Entwicklung zu arbeiten. Neben diesen Partnerschaften investieren wir auch in andere Unternehmen, um unser Produktportfolio zu erweitern, wie wir es beispielsweise bei der Übernahme von TRW getan haben.
Interview: Alexander Junk
Kurzfassung
Der Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen möchte in Zukunft null Emissionen und null Unfälle im Verkehr erreichen. Dafür setzt das Unternehmen auf Elektromobilität, autonomes Fahren und strategische Partnerschaften.
- Ausgabe 09/2017 Seite 26 (148.8 KB, PDF)