Kurzfassung
Die Umrüstung eines Zweimassenschwungrades auf ein Einmassenschwungrad ist eine zeitwertgerechte Reparatur für ältere Autos. Ob der Austausch technisch empfehlenswert ist, darüber streiten die Experten.
Bei Verbrennungsmotoren führt das Auf und Ab der Kolbenbewegung in Zusammenspiel mit Ansaugen, Verdichten, Zünden und Ausstoßen zu ungleicher Drehbewegung der Kurbelwelle und des angeflanschten Schwungrades. Das Trägheitsmoment der rotierenden Wellen im Getriebe und des Antriebsstrangs führen zu sogenannten Drehschwingungen. Diese können dann in der Fahrgastzelle als Geräuschkulisse wahrgenommen werden. Um den Antriebsstrang samt Getriebe und Kupplung vom Motor drehschwingungstechnisch zu entkoppeln, wurde bereits in der Mitte der 1980er-Jahre von LuK das Zweimassenschwungrad (ZMS) entwickelt.
Während das übliche Einmassenschwungrad (EMS) sich aus der Kupplung, dem Schwungrad (meist Starterkranz) und den Kurbelwannengewichten zu einer Einheit zusammenfügt, besteht das Zweimassenschwungrad aus der motorseitigen und getriebeseitigen Schwungmasse. Beide Teile werden auch als primäre und sekundäre Schwungmasse bezeichnet und sind torsionsweich über ein Drehgleitlager miteinander verbunden. Die dabei auftretenden Schwingungen der primären Schwungmasse werden durch in Fett gelagerte lange Bogenfedern gegenüber der sekundären Schwungmasse gedämpft. Die zwei Bogenfedern moderner Zweimassenschwungräder sind rund 170 Grad zueinander versetzt. Sie bestehen aus jeweils einer oder zwei ineinandergesteckten Federn, die gegenläufig gewickelt sind. Im Gegensatz zu den sehr kurzen und kleinen Kupplungsdämpferfedern der Einmassenschwungräder können sie deutlich besser Motor-Drehschwingungen vom Antriebsstrang entkoppeln.
Günstige Alternative
Da ein Zweimassenschwungrad als Ersatzteil zwischen 250 und 600 Euro je nach Motorleistung und Fahrzeugmodell kosten kann, kommt gerade bei Besitzern älterer Fahrzeuge oft die Frage auf, ob es kostengünstigere Reparatur-Alternativen gibt. Hier bieten Werkstätten gerne mal günstigere Einmassenschwungräder an. Diese werden von der Bilstein Group als sogenannte Smartfit-Lösung angeboten. Die Umrüstung von ZMS auf EMS sieht man dort als unproblematisch und verweist auf zehn Jahre Erfahrung in diesem Segment. Auch seien die Umrüstlösungen von Bilstein in zahlreichen Praxistests ausgiebig untersucht worden. Vermeintliche Nachteile, unter anderem ein erhöhter Verbrauch und Schadstoffausstoß sowie Komforteinbußen, konnten in keinem einzigen Fall festgestellt werden.
Rein technisch betrachtet, ist laut der Bilstein Group eine Umrüstung bei älteren Fahrzeugen außerhalb der Herstellergarantie und mit geringem Restwert durchaus sinnvoll. Für manche Anwendungen ist die Performance eines EMS nicht ausreichend für einen optimalen Fahrzeugbetrieb. In diesem Fall bietet die Bilstein Group keine EMS-Kits an, sondern führt ZMS-Lösungen in ihrem Sortiment.
Umrüstung nicht empfohlen
Schaeffler Automotive Aftermarket und ZF sehen das anders. Schaeffler weist darauf hin, dass sowohl EMS als auch ZMS jeweils vom Fahrzeughersteller als Teile des gesamten Antriebsstrangs für ihren Einsatzzweck konzipiert sind und so für einen ruhigen, gleichmäßigen und vibrationsarmen sowie sicheren Antrieb sorgen. Werden sie nicht eins zu eins durch ein Originalteil ersetzt, kann das Fahrzeug schlechter fahrbar sein, der Antrieb nervös werden und Vibrationen können das Fahrerlebnis schmälern.
"Rüstet man ein Fahrzeug bei einer Kupplungsreparatur von einem ZMS auf ein EMS um, nehmen nicht nur Fahrkomfort und Laufruhe des Fahrzeugs ab, es kann im schlimmsten Fall sogar zu einem Getriebeschaden kommen", erklärt Philipp Janczewski, Service-Ingenieur bei ZF Aftermarket. "Fahrzeuge, die serienmäßig mit einem ZMS ausgestattet sind, haben hohe Drehmomente und Zünddrücke sowie generell eine höhere Leistung. Das ZMS schützt das Getriebe vor den daraus folgenden starken Drehschwingungen und verhindert somit die Reibung und Abnutzung der Getriebeteile. Dies können Torsionsdämpfer in herkömmlichen Kupplungsscheiben nicht leisten."
Eine weitere mögliche Auswirkung einer Umrüstung auf ein EMS ist die Veränderung der Emissionswerte. Ein ZMS ermöglicht problemloses Fahren im untertourigen Drehzahlbereich, was zur Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs und somit zur Einhaltung der Abgasvorschriften beiträgt. Dies kann nach der Umrüstung auf ein Einmassenschwungrad nicht mehr garantiert werden.
Schwungrad nicht immer Ursache
Treten plötzlich ungewöhnliche Geräusche im Antriebsstrang auf, richtet sich der Verdacht schnell auf das Zweimassenschwungrad - und nicht selten wird es dann kurzerhand ausgetauscht. Ein Austausch, so die Erfahrung der ZF-Aftermarket-Experten, ist jedoch manchmal gar nicht notwendig.
Denn die Ursachen für die unliebsamen Geräusche können auch ganz anders gelagert sein, beispielsweise bei einem Fehler im Einspritzsystem. Weitere Ursachen könnte die mangelhafte Performance des Anlassers oder eine zu geringe Batteriespannung durch die Oxidation oder Korrosion der elektrischen Kontaktflächen sein. Aus diesem Grund empfehlen Kfz-Profis vor dem Ausbau eine intensive Fehlerdiagnose, um die richtige Ursache zu identifizieren und Folgeschäden am ZMS zu vermeiden.
- Ausgabe 03/2022 S.16 (166.2 KB, PDF)