Offenbar haben die Fahrzeughersteller die Blockade von Hardware-Nachrüstungen bei Euro-5-Fahrzeugen nun doch aufgegeben und wollen kooperieren. Daimler hat unter anderem die wichtigsten Nachrüster und den ADAC für Ende November zu einem "Techniktag Hardware-Nachrüstung" eingeladen. Der Konzern will den spezialisierten Betrieben Zugang zu notwendigen Hardware-Komponenten ermöglichen.
Wir haben selbst mit den wichtigsten Nachrüstern gesprochen und nach dem aktuellen Stand der Nachrüsttechnik für Transporter und Pkw gefragt. Das Ergebnis: Die Abgasspezialisten Baumot, HJS, Dr. Pley und Mangold Oberland konzentrieren sich zunächst auf den lukrativen Markt für Transporter, deren Hardware-Nachrüstung vom Bund großzügig finanziell gefördert wird. Für die Nachrüstung von Pkw haben die Firmen ebenfalls schon Lösungen in der Schublade. Es fehlen jedoch die technischen Spezifikationen. Die Nachrüstung von Transportern ist im Vergleich zu Pkw außerdem wesentlich einfacher.
Lösung für Transporter
Der Nachrüster HJS hatte bereits nach Bekanntwerden der Förderungen im Busbereich eine entsprechende Technik vorgestellt und fokussiert sich neben der Nachrüstung von Bussen und Kommunalfahrzeugen zunächst auf den Bereich Transporter : "Sobald die genauen technischen Spezifikationen in der Förderrichtlinie auf dem Tisch liegen, werden wir für unsere Lösung die Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) beim KBA beantragen", erklärt Stefan Lefarth, Bereichsleiter Strategie & Produktinnovationen bei HJS. In Menden geht man davon aus, dass man im ersten Quartal nächsten Jahres erste Nachrüstsätze in den Markt bringen werde - vorausgesetzt, der Bund schafft entsprechend zeitnah die rechtlichen Grundlagen.
Das Nachrüstsystem für Transporter kommt als modularer Bausatz auf den Markt. Damit lasse sich die im Verhältnis zum Pkw einigermaßen überschaubare Variantenvielfalt im Markt abdecken, erklärt Lefarth. Technisch unterscheiden sich die Fahrzeuge nicht so stark wie im Pkw-Bereich und auch das Platzangebot sei im Unterflurbereich groß genug, um keine Probleme zu bekommen. Man komme mit relativ wenigen Hardwareanpassungen aus. HJS greift dabei so weit wie möglich auf Serienbauteile der Fahrzeughersteller zurück. "Viele Systemkomponenten liegen im Regal", so Lefarth.
Technisch setzt das System von HJS auf aktives Thermomanagement. Durch Beheizen des Systems kann die flüssige Harnstofflösung AdBlue bereits bei relativ niedrigen Betriebstemperaturen des Motors in den Abgasstrom eingesprüht werden, auch wenn der Abgasstrom noch weit unterhalb der optimalen Arbeitstemperatur von 200 bis 220 Grad liegt. Damit werden Stickoxide auch im Stadtverkehr um mehr als 85 Prozent entfernt. Ohne zusätzliche Heizung würde das SCR-System bei niedrigen Temperaturen je nach Fabrikat unter Umständen erst gar nicht anspringen. Das Nachrüstsystem arbeitet autark vom Motor und greift auch nicht in die Motorsteuerung ein. "Wir haben ein eigenes Steuergerät für die Abgasreinigung, das mithilfe der abgegriffenen Daten aus der Motorsteuerung und Sensordaten die Einspritzmenge des AdBlue steuert", erklärt Lefarth. Die Stickoxidkonzentrationen werden von zusätzlich verbauten Sensoren jeweils vor und nach dem SCR-Kat gemessen, außerdem werden Abgastemperatur und der Druck permanent gemessen. Probleme durch Gegendruck im Abgassystem und Rückwirkung auf den Motor gebe es nicht, versichert Lefarth. Die Kraftstoff-Mehrverbräuche durch den nachträglichen Einbau des SCR-Katalysators seien deutlich geringer als seinerzeit beim Einbau der vom Bund geförderten Dieselpartikelfilter.
Demo bei der Probefahrt
Tatsächlich zeigt das System bei einer Probefahrt in einem nachgerüsteten Mercedes Sprinter, was es leistet. Bereits nach wenigen Minuten bei geringen Geschwindigkeiten in der Stadt heizt das System zusätzlich und veranlasst die Einspritzung von AdBlue. Die Nadel in der Anzeige der NOx-Emissionen am Auspuff steigt sofort auf über 80 Prozent Reduzierung. Auf der Autobahn, nach Erreichen der Betriebstemperatur, setzt die SCR-Reinigung "ab Werk" ein und drückt die Stickoxide auf 200 bis 300 mg proKilometer. Ein zusätzliches Beheizen ist dann nicht mehr notwendig.
Ob die Hardware-Nachrüstung für Pkw noch rechtzeitig für die betroffenen Autofahrer kommt, ist derzeit ungewiss. Alles hängt davon ab, wie schnell die Regierung die entsprechende Nachrüstrichtlinie auf den Weg bringt und wie schnell das KBA entsprechende Betriebserlaubnisse für die Systeme erteilt. Die Zusage der Automobilhersteller Mercedes und VW, die Kosten für die Nachrüstung von bis zu 3.000 Euro in den von Fahrverboten bedrohten Intensivstädten zu übernehmen, sei ein "richtiges und längst überfälliges Signal", lobte der Zentralverband Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK). Allerdings greife sie zu kurz und komme zu spät, kritisierte der Verband. Die Zusage gelte erst für die Zeit nach 2020, schreibt der ZDK. Ausrüster sind optimistischer: Martin Pley, Inhaber des Bamberger Nachrüstunternehmens Dr. Pley, rechnet auch für Pkw mit einer zügigen Umsetzung vor Inkrafttreten der ersten Fahrverbote: "Wir haben mit Kunden diskutiert, dass wir ab Juni 2019 die ersten Systeme an die Händler ausliefern. Das würde voraussetzen, dass wir noch in diesem Jahr vom KBA die ABE erhalten." Schon seit Anfang des Jahres wird laut Martin Pley die Nachrüstung unterschiedlicher Fahrzeugtypen geprüft.
"Seit Mai haben wir den Hof immer voller Autos stehen, die wir mit dem System ausstatten und testen." Wöchentlich kämen neue Flottenfahrzeuge hinzu, die mit dem SCR-System ausgestattet und anschließend von technischen Prüfstellen überprüft werden. Für die ersten drei Modelle liegen die Anträge seit mehreren Wochen beim KBA. Für welche Typen genau, wollte der Nachrüster nicht kommunizieren. Nur so viel: Es handelt sich um ein Volumenmodell mit drei verschiedenen Motorvarianten. Zusätzlich baut Dr. Pley ein Fahrzeug von VW auf eigene Rechnung um. Auch HJS ist optimistisch: "Wenn ein Autohersteller mit im Boot sitzt, könnten entsprechende Nachrüstlösungen für Pkw in einem Jahr marktreif sein, glaubt Lefarth." Aber: Eine serienreife Lösung für den Pkw-Bereich liege bis heute nicht auf dem Tisch. "Im Pkw haben wir es mit einer deutlich größeren Variantenvielfalt zu tun, außerdem sind die räumlichen Gegebenheiten viel beengter", sagt Lefarth. Für HJS komme daher ein Engagement in der Nachrüstung von Pkw nur im engen Schulterschluss mit den Automobilherstellern in Frage. Anders lasse sich eine zulassungsfähige Lösung zu Kosten von unter 3000 Euro nicht in annehmbarer Zeit realisieren. An Fragen der Gewährleistung und Produkthaftung soll die Nachrüstung jedenfalls nicht scheitern. "Selbstverständlich übernehmen wir die Gewährleistung und auch die Produkthaftung für die von uns verbauten Systeme. Das war auch schon bei der Partikelfilternachrüstung so, dort sind weit über 600.000 Systeme von HJS in den Markt gebracht worden. Wir rechnen aber nicht damit, dass es irgendwelche Probleme gibt", sagt Stefan Lefarth.
Kurzfassung
Die auf Nachrüstung spezialisierten mittelständischen Zulieferer stehen in den Startlöchern. Ihre Nachrüstsysteme haben die Wirksamkeit bewiesen und könnten geliefert werden, sobald die Regierung die technischen Anforderungen spezifiziert.
Nachrüstsysteme im Überblick
Twin Tec Baumot
Die wässrige Harnstofflösung (AdBlue) aus dem AdBlue-Tank wird über ein frei im Handel verfügbares Dosiersystem in den BNOx-Generator (vorne klein) eingesprüht. Für die thermische Umsetzung des Harnstoffs wird Abgas und zusätzlich bei tiefen Temperaturen elektrische Energie zugeführt. Das so erzeugte Gas wird dem Abgasstrom zugeführt und bewirkt im SCR-Katalysator die Stickoxidminderung. Ein zusätzliches Steuergerät regelt die Einspritzmengen von AdBlue. Außerdem kommen Temperatur-, Druck- und NOx-Sensoren zum Einsatz. Das System funktioniert ab einer Abgastemperatur von 150° C und ermöglicht eine NOx-Reduktionsrate von 95 Prozent.
HJS
Das HJS-System arbeitet nach dem Prinzip des aktiven Thermomanagements. Das flüssige AdBlue wird direkt in den Abgasstrom eingespritzt und über eine aktive Beheizung in gasförmiges Ammoniak umgewandelt. Auf diese Weise kann auch bei niedrigen Abgastemperaturen die Reduktion von NOx erfolgen - das ist vor allem im Stadtverkehr und bei Kurzstrecke wichtig, da der Dieselmotor die optimale Betriebstemperatur gar nicht erst erreicht. Ein zusätzliches Steuergerät regelt die Einspritzmenge des Ammoniaks. Außerdem kommen Temperatur-, Druck- und NOx-Sensoren zum Einsatz, um die richtige Menge AdBlue zuzugeben.
Dr. Pley
Wie beim System von Baumot wird auch bei Dr. Pley AdBlue in einem Hydrolysereaktor in gasförmiges Ammoniak (NH3) umgewandelt. Das so erzeugte Gas wird anschließend dem Abgasstrom zugeführt und bewirkt im SCR-Katalysator die chemische Stickoxidreduktion. Die mittlere NOx-Reduzierung liegt laut Anbieter bei 85 Prozent, der Abgasgegendruck wird mit 70 mbar angegeben und ist im Hinblick auf Wechselwirkungen mit dem Motor unkritisch. Ein zusätzliches Steuergerät regelt die Einspritzmengen des Reduktionsmittels. Außerdem kommen für das Monitoring zusätzliche Temperatur-, Druck- und NOx-Sensoren zum Einsatz.
Oberland Mangold
Im Thermolyse-Generator Neo-Blue wird das Reduktionsmittel AdBlue außerhalb des Abgasrohrs in einer separaten Heizkammer in Ammoniak (NH3) verwandelt. Der Vorteil: in der Heizkammer herrschen immer gleiche Temperaturbedingungen, weit über 200° C. Das System arbeitet vollständig autark und verfügt über eine eigene Steuerung, die Regelsignale aus dem CAN-Bus verarbeitet. Im Nachrüstsystem Neo-Blue von Oberland Mangold werden laut Anbieter viele Serienkomponenten des jeweiligen Fahrzeugherstellers verwendet. Dazu zählen beispielsweise der Tank für das Reduktionsmittel, das Einspritzventil für AdBlue und weitere wichtige Bauteile.Quelle: eigene Recherche, Hersteller
- Ausgabe 11/2018 Seite 10 (2.6 MB, PDF)