Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Noch ist Mittagspause, die Roboter sind in Ruhestellung und auf den Gängen herrscht gähnende Leere. Doch in paar Minuten geht es hier wieder zu wie Bienenstock. Über 1 500 Mitarbeiter stehen an ihren Stationen, die Pressen stampfen, die Schweißfunken sprühen, die Schlagschrauber knattern und alle 55 Sekunden rollt ein neues Fahrzeug vom Band – 24 Stunden am Tag, sechs Tage die Woche und über 300 Tage im Jahr: Willkommen in Mioveni, willkommen im Stammwerk der Renault-Tochter Dacia.
Was vor über 50 Jahren als sozialistisches Projekt der nationalen Ehre mit einem Nachbau des Renault R8 in beschaulichem Tempo begonnen hat, ist im Jahr 24 nach der Übernahme durch den Renault-Konzern ein gut geölter Motor des Erfolgs, der seine Drehzahl seit Jahren erhöht: Keine Marke ist – zumindest im Privatkundengeschäft – in Europa so schnell gewachsen wie Dacia, und kaum eine ist dabei so erfolgreich: Seit vor 19 Jahren der erste Logan präsentiert wurde, sind Absatz und Marktanteil Jahr für Jahr gewachsen und allein im ersten Quartal dieses Jahres liegt das Plus bei über 30 Prozent: 574.000 Autos hat Dacia im letzten Jahr gebaut– und gut die Hälfte davon kamen aus Mioveni.
Dacia Automobile Historie
BildergalerieDamit ist Renault offenbar gelungen, was VW mit Skoda bis heute Probleme bereitet: Der saubere und vor allem erfolgreiche Aufbau einer Billigmarke. Während sich die Niedersachsen und die Tschechen in den letzten Jahren im gegenseitigen Kräftemessen immer wieder ausgebremst haben und sich bis heute oft um die gleichen Kunden streiten, sind die Claims bei den Franzosen und den Rumänen klar abgesteckt – selbst wenn sich auch Dacia gerade von der reinen Billig- zu einer sogenannten Budgetmarke wandelt und ein bisschen mehr Bling-Bling bietet als früher. „Aber schließlich bewegt sich Renault gerade sehr viel stärker nach oben und macht darunter Platz für uns,“ erläutert Markenchef Denis Le Vot die Hierarchie in der Familie
Fragt man ihn nach dem Rezept für den Erfolg, dann nennt er vor allem drei Grundzutaten. Neben dem effizienten Vertrieb mit schlanken Modellstrukturen und stabilen Preisen ohne Rabatte seien das vor allem die preiswerte Produktion hier im Stammwerk Mioveni und in Marokko sowie die konsequente Kostenoptimierung der Produkte: "Design to Cost" nennt er als oberstes Entwicklungsziel und illustriert das am Beispiel von Clio und Sandero: "3.000 Ingenieure haben zwei Jahre daran gearbeitet, aus dem Renault einen Dacia zu machen." Obwohl beide Modelle die gleiche Plattform nutzen, liegen nun rund 10.000 Euro dazwischen: Während es den Clio bei uns ab 23.700 Euro gibt, steht der Sandero ab 13.950 Euro beim Händler – kein Wunder, dass er sich in Europa mit etwa 60.000 Zulassungen in ersten Quartal um 25 Prozent besser verkauft hat als sein teurer Cousin.
Nach dem gleichen Konzept bringt Le Vot zum Ende des Jahres einen neuen Duster und will danach den Aufstieg ins C-Segment proben. Bigster heißt das große SUV, auf dem die großen Hoffnungen ruhen. Und weil sie so einen guten Job gemacht haben bei Dacia in den letzten Jahren, darf er gleich noch zwei weitere Derivate in der Kompaktklasse auflegen und seine Modellpalette bis zur Mitte der Dekade fast verdoppeln. Und die Zulassungszahlen am besten gleich mit: "Wenn wir im C-Segment nur halb so erfolgreich sind wie in der Klasse darunter, sind eine Million Autos keine Illusion."
Dacia Spring Extreme 65
BildergalerieAktuell spielt ihm dabei ganz sicher die Preisentwicklung der Konkurrenten in die Karten. Denn je mehr Fahrt die Antriebswende aufnimmt und je mehr E-Modelle in den Handel kommen, desto teurer werden die anderen und desto attraktiver wird Dacia. Denn die Rumänen überlassen Renault das CO2-Sparen und machen an der Klimafront nur gerade so viel, wie sie eben müssen. Ja, es gibt den Dacia Spring, der an den europäischen Verkäufen einen Anteil von zwölf Prozent hat und damit den Marktanteil der E-Autos auf dem Kontinent spiegelt. Und seit ein paar Wochen verkauft Le Vot den Jogger erstmals auch als Hybrid. Doch während sich andere gerade bei den Terminen für den Verbrenner-Ausstieg unterbieten, will Dacia der alten Welt so lange wie möglich die Treue halten. "Wir werden bei den letzten sein, die noch Benziner und Diesel anbieten", sagt Le Vot und denkt dabei nicht nur an Afrika, Asien und Südamerika, wo viele Dacia auch mit Renault-Logo verkauft werden.
Dabei könnte Europa zu einem schweren Prüfstein für die Strategie des Preisbrechers werden. Denn schon Euro 7 wird Dacia die Kosten verhageln und die Elektromobilität ist zumindest bislang mit der Idee vom Billigauto nur schwerlich zu vereinbaren. Le Vot hat deshalb zu den aktuellen E-Modellen im Konzern und bei der Konkurrenz auch eine sehr dezidierte Meinung: "500 Kilometer Reichweite und Ladezeiten von weniger als 30 Minuten für Preise um die 40.000 Euro selbst in der Kompaktklasse? Das können wir bei Dacia nicht bringen," stellt er klar und spricht von einer gesellschaftlichen Verantwortung: Solche Preise wollen und oft genug können auch seine Kunden schlicht nicht zahlen.
Deshalb muss sich der Dacia-Kunde wohl mit weniger Reichweite begnügen und mit längeren Stopps vorliebnehmen, stellt er in Aussicht: "Wir wollen ganz sicher nicht das beste Elektroauto, sondern eher das billigste." Wie er den Preis über die Akku-Kapazität hinaus drücken will, hat Le Vot noch nicht entschieden. Ob es wirklich die teuren Lithium-Ionen-Zellen sein müssen, ob nicht vielleicht Lithium-Eisen-Phosphat reicht oder gar schon Natrium-Ionen-Batterien verfügbar wären – außer, dass er sich natürlich im gut gefüllten Renault-Regal bedienen werde, hat der Dacia-Chef auf diese Fragen noch keine Antworten.
Dacia Manifesto Concept
Bildergalerie"Aber wir haben ja noch ein wenig Zeit." Denn erst mit dem nächsten Sandero in vier, fünf Jahren will er auch den nächsten Schritt machen, bevor dann mit dem übernächsten Duster Anfang der 2030er Jahre die gesamte Palette elektrifiziert wird.
In Mioveni sehen sie die Entwicklung der Marke und die weiteren Wachstumspläne mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Natürlich sind ist man dort stolz auf das, was man geschafft hat und froh darüber, dass der Renault-Konzern ihnen fast doppelt so viel zahlt wie den rumänischen Mindestlohn, selbst wenn die Kollegen in Frankreich oder Spanien über ein Salär von durchschnittlich 1.100 bis 1.200 Euro nur lachen würden.
Doch sie wissen auch, dass die meisten der Autos, der ihr oberster Chef zusätzlich verkaufen will, irgendwie aus ihrem Werk kommen müssen. Dabei ist doch schon jetzt die Produktion der limitierende Faktor für die Dacia-Zulassungen und nicht die Nachfrage. Und auch wenn Le Vot über kurz oder lang um einen weiteren Standort nicht herumkommen wird, müssen sie erst mal noch ein bisschen mehr Produktivität aus dem Stammwerk quetschen. Nicht, dass sie dafür wirklich an die Mittagspause gehen werden. Doch wenn alles kommt, wie es Monsieur Le Volt hofft, stehen die Zeichen auf deutlich weniger Ruhe und dafür noch mehr Sturm.