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Mercedes S-Klasse (W116): Kultfahrzeug für Kanzler und Konzernbosse

05.08.2022 12:00 Uhr | Lesezeit: 4 min
Der 300 SD war die weltweit erste Oberklassenlimousine mit Turbodieselmotor.
© Foto: Mercedes-Benz

Die Baureihe brillierte mit mächtigen V8 - und avancierte so zum favorisierten Fahrzeug von Konzernchefs & Co. Eine Telefonanlage konnte für rund 18.000 Mark geordert werden.

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Palastrevolte in der Prestigeklasse: Vor 50 Jahren debütierte die erstmals offiziell S-Klasse genannte Mercedes-Benz-Baureihe W116 und die Medien feierten den Premieren-Stern am Premiumhimmel prompt als "bestes Auto der Welt mit modernster Technik und feinsten Materialien in perfekter Verarbeitungsqualität".


Mercedes-Benz S-Klasse (W116)

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So viele Vorschusslorbeeren wurden bis dahin nicht einmal den majestätischen Pomp-and-Circumstance-Kreuzern Rolls-Royce Silver Shadow und Mercedes 600 Pullman zu teil. Vielleicht lag es daran, dass die erste S-Klasse mit einem bis dahin beispiellos breiten Modellprogramm vorfuhr, vom gerade noch bezahlbaren Sechszylinder-Vergaser-Typ 280 S bis zum ultraluxuriösen 450 SEL 6.9 mit mehr Leistung als der Mercedes 600 – und sogar ein sonst eher für Taxis typischer, frugaler Diesel stand im 300 SD bereit.

Damit passte die Baureihe W116 perfekt zum politischen Claim von Bundeskanzler Willy Brandt für die 1970er. "Mehr Demokratie wagen", das demonstrierte die S-Klasse als gutbürgerliche Alternative zu BMW E3 und Opel Diplomat und damit als Zugfahrzeug von Wohnwagen, in Langversion aber als favorisiertes Fahrzeug von Konzernchefs, Kanzlern und Majestäten.

Ob Kanzler Helmut Schmidt, der Papst, Königshäuser aus der ganzen Welt und die von linken Terroristen verfolgten Vertreter des wirtschaftlichen Establishments wie Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, oder Ölbarone in TV-Serien wie Dallas: Die S-Klasse W116 war für Entscheider die automobile Machtzentrale des Jahrzehnts – und mit 473.000 verkauften Einheiten erfolgreichster Luxusliner ihrer Epoche.

Schon im Fond der bis 1972 gebauten Mercedes 280 S bis 300 SEL 6.3 (W108/W109) wurde regiert, repräsentiert oder von Show-Größen komponiert, zum Tempel futuristischer Technik in wahrlich feudalen Abmessungen avancierte aber erst die nachfolgende Baureihe W116. 2,87 Meter Radstand und damit zwölf Zentimeter mehr als sein Vorgänger und sogar 18 Zentimeter mehr als ein BMW 3.0 S bot bereits der neue Basistyp 280 S, dagegen übertrafen die um 11 Zentimeter auf 5,06 Meter Außenlänge gestreckten XL-Lounges 280 SEL bis 450 SEL alle Limousinen unterhalb von Rolls-Royce und Mercedes 600 (W100).

Aber sogar diese in Handarbeit gefertigten Giganten fanden im nobelsten Vertreter des W116 ihren Meister: Als 450 SEL 6.9 betörte die S-Klasse mit dem monumentalen Motor des Mercedes 600, dies aber mit kräftigem Leistungsplus dank auf fast 6,9 Liter vergrößerten Hubraums und einer im Motorsport erprobten Trockensumpfschmierung.


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Wegen der Ölkrise von 1973/74 wurde die Einführung des "Sechsneuner" auf September 1975 verschoben, und doch wurde der Mut der Mercedes-Strategen belohnt. Obwohl der voluminöse V8 fast 70.000 Mark kostete und damit etwa die Hälfte mehr als ein Jaguar V12, fanden 7.380 Einheiten dieses über 230 km/h schnellen und 210 kW/286 PS starken viertürigen Sportwagens begeisterte Fans. Flüsterton bei Vmax und fast schwebender Fahrkomfort dank hydropneumatischer Federung inklusive Niveauregulierung, dazu optional elektrisch verstellbare Fondsitze, das war damals einzigartig, aber diese Qualitäten durften nicht allzu offensichtlich erkennbar sein in den von Sozialneid erfüllten 1970ern.

Meistgeorderte Option war deshalb die Sonderausstattung 261: Wegfall der Chromziffern 6.9 auf dem Kofferraumdeckel. Trotzdem verzögerte Mercedes den amerikanischen Verkaufsstart des bis dahin hubraumgrößten deutschen Nachkriegsmodells bis 1977. Zu autokritisch schien hier die politische Stimmung.

Dann zeigten die Stuttgarter Zivilcourage, wie Zeitungen kommentierten, und der als „colossus“ gefeierte V8 eroberte umgehend die Reviere der High Society von New York bis Hollywood. Dazu durchbrach der Autobahnjet nach nur sechs Sekunden die damalige Highway-Schallmauer von legalen 55 Meilen (88 km/h) und dieser Wert qualifizierte den Benz bereits als Herausforderer von Ferrari in US-Spezifikation.

Teuerstes und dennoch populäres elektronisches Einzelextra im 450 SEL 6.9 war übrigens die Telefonanlage für rund 18.000 Mark – dafür gab es alternativ bereits einen Mercedes 280 (Stricht-Acht). Das Beste für den Boss, nach diesem Credo fuhr das V8-Topmodell 1978 auch mit der ersten serienmäßigen europäischen ABS-Bremsanlage voran und ein früher Tempomat durfte ebenfalls nicht fehlen.


Entstehung des Mercedes-Sterns

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Für Mercedes-Kunden revolutionär war aber auch Features, mit denen bereits die Sechszylinder 280 S und 280 SE aufwarteten. So hatte in der ganzen Baureihe W116 die altertümliche hintere Eingelenk-Pendelachse zugunsten einer Einzelradaufhängung ausgedient, und vorne kam eine im Wankel-Supersportwagen C111 erprobte Radaufhängung zum Einsatz. Eine neue, optionale Viergang-Automatik machte zudem schon im 280 S und SE das Anfahren im zweiten Gang zum Standard, ideal für den Anhängebetrieb mit Wohnwagen und Boot, nur bei Kickdown kam der erste Gang noch zum Einsatz.

Ausreichend Leistung bot bereits das Vergasermodell 280 S, dessen 118 kW / 160 PS starker 2,8-Liter-Vergaser-Sechszylinder in zeitgenössischen Tests Spitzengeschwindigkeiten von fast 200 km/h erreichte, damals die entscheidende Markierung auf der Tempomesslatte. Benzin sparen und dennoch schneller fahren ließ sich dagegen mit dem 280 SE, der dank Direkteinspritzung 136 kW / 185 PS entwickelte und als bis heute meistverkaufter S-Klasse-Typ Geschichte schrieb.

Ganz anders der Achtzylinder im 350 SE, der kaum temperamentvoller war, dafür eine turbinenartige Laufkultur entfaltete, die an den C111 erinnerte. Nachteilig waren jedoch Testverbrauchswerte von bis zu 24 Litern. Trotzdem mit dem europäischen Medienpreis "Auto des Jahres 1973" und in den USA mit der Trophy "Best Sedan" ausgezeichnet wurde der 450 SE mit 165 kW / 225 PS kräftigem V8, der – Ironie der Geschichte – passgenau zur ersten Ölkrise seinen Marktstart feierte.


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Und noch ein Motor sorgte im schwäbischen Spitzenmodell für Furore: 1978 debütierte der 300 SD als weltweit erste Oberklasselimousine mit Fünfzylinder-Selbstzünder. Mit dieser, ausschließlich in Nordamerika verkauften Dieselversion, gelang es Mercedes, die von der US-Regierung eingeführten Grenzwerte des sogenannten Flottenverbrauchs leicht zu erfüllen, denn der Fünfzylinder begnügte sich mit 12 Litern Diesel auf 100 Kilometer.

Vor allem aber war es ein damals einzigartiger Mix aus innovativer Technik, klassischen Karosseriekonturen und Solidität, der die Sternenträger bis 1980 unwiderstehlich machte. So konterte Mercedes das Debüt des ersten BMW 7er selbstsicher mit dem Slogan: "Auch 1977 war es nicht möglich, ein noch besseres Automobil zu bauen."

Ernste Qualitätsmängel kannte die schwäbische Sonderklasse nicht, stabil wie eine Burg schien der Mercedes den Stürmen der Zeit zu trotzen, so dass auch noch Helmut Kohl ab 1982 auf diese Kanzlerlimousine vertraute. Da war der Nachfolger W126 schon drei Jahre im Dienst, aber am Thron des W116 ließ sich anfangs kaum rütteln, zumal der Chrompanzer auch nach Laufleistungen von über einer halben Million Kilometer meist keine Altersmüdigkeit zeigte.

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