Von Benjamin Bessinger/SP-X
Wenn in diesen Tagen Oldtimerfans aus aller Welt ihre PS-Pretiosen polieren und sich mit großen Hoffnungen auf den Weg zum Concours d’Elegance nach Pebble Beach machen, dann mag zwar das Blech glänzen wie am ersten Tag. Doch über das sonst so freundliche Gesicht von Gundula Tutt legt sich dann bisweilen ein düsterer Schleier. Denn die vielleicht berühmteste, auf jeden Fall aber ungewöhnlichste Oldtimer-Restauratorin im Land hält nicht viel vom ungetrübten Glanz der Concours-Schönheiten, sondern gibt mehr auf Patina als auf Politur. Und mittlerweile ist die Frau, die ihre unprätentiöse Werkstatt im badischen hat, durchaus in der Lage, sich diese Meinung auch zu erlauben.
Dass ausgerechnet eine Frau Hand anlegt an millionenschwere Klassiker von oft schon mehr als hundert Jahren, ist in der von Männern dominierten Welt der Auto-Afficionados bereits ungewöhnlich genug. Erst recht, wenn sie auch noch einräumt, dass Fahren für sie nur Fortbewegung ist und sie von der Mechanik nichts wissen will. Doch dass die Mittvierzigerin dann auch noch beinahe allergisch auf den Glanz reagiert, der viele Oldtimer heller strahlen lässt als die meisten Neuwagen ihrer Zeit, das macht Gundula Tutt zu einem ziemlich speziellen Phänomen. Aber wichtiger als Glanz und Gloria sind ihr die Echtheit und die Authentizität, selbst wenn ein Lack dann auch mal stumpf oder blass aussieht. "Diese Patina ist es, die aus einem in größeren Stückzahlen hergestellten Automobil ein individuelles Einzelstück und damit erst ein Original macht", beschreibt Tutt ihre Philosophie.
Ihr etwas eigener Blickwinkel liegt aber vor allem an ihrem Werdegang. Denn die in Stuttgart geborene Frau ist studierte Kunstrestauratorin und hat ihr Handwerk in den Kellern von Museen und Kirchen gelernt. Dort hat sich oft wochenlang Farbschicht um Farbschicht von alten Meisterwerken abgetragen, um sich buchstäblich dem Original anzunähern. Bis sie kurz nach der Jahrtausendwende bei Arbeiten am Freiburger Münster einen Kollegen kennen lernte, dessen alter Bugatti einen gravierenden Lackschaden hatte. "Nach damaligem Wissensstand war der Wagen nicht zu reparieren und hätte neu lackiert werden müssen", erinnert sich Tutt.
Geglücktes Experiment
Doch der Sammler wollte nicht nur den originalen Farbton, sondern den echten Lack retten und hat Tutt bei der Ehre gepackt: "Wenn wir im Studium nach 800 Jahre alten Rezepten die Goldfarben herstellen konnten, mit denen Mönche damals ihre Bibeln ausgemalt hatten, dann sollte das doch auch mit 80 Jahren alten Auto-Lacken gelingen", hat Tutt sich gesagt, sich im Studierzimmer eingeschlossen, alte Bücher gewälzt und so lange experimentiert, bis sie den geeigneten Lack nachgemischt hatte. Selbst von der damals frisch eingeführten Lösemittelverordnung hat sich nicht einbremsen lassen, sondern gemeinsam mit ein paar Kollegen so lange mit den Behörden gestritten, bis es für Oldtimer die gleiche Ausnahmeregelung gab wie für Bilder und andere Kunstwerke. Weil der Freund begeistert war und sich die Geschichte in der Szene schnell herumgesprochen hatte, kam eines zum anderen, Tutt hatte immer öfter Bleche statt Bilder in der Werkstatt und ruck zuck war ihre Firme Omnia – benannt nach dem ganzheitlichen Konzept ihrer Arbeit und einem frühen Importeur für französische Luxuswagen gegründet.
Und weil Blech ja nicht das einzige ist, was einen Oldtimer zusammenhält, hat sie ihr Wissen längst auch auf alle anderen Oberflächen im Fahrzeug übertragen: Zierkonsolen, Armaturen und vor allem die Leder der Polster sind bei ihr deshalb ebenfalls in besten Händen. Und selbst die Kabel der ganz frühen Fahrzeugelektrik ummantelt sie mit den gleichen Stoffen, wie sie schon von 100 Jahren zum Isolieren eingesetzt wurden. Nur von der Mechanik und vom Motor lässt sie auch weiterhin die Finger.
Zwar haben Gemälde für sie nur ästhetischen Wert, während Autos natürlich auch Gebrauchsgegenstände sind. Doch bezogen auf ihre Arbeit betrachtet sie beides als Kunstwerk und geht entsprechend sorgsam und liebevoll damit um. Öfter als mit der Schleifscheibe und der Sprühpistole sieht man sie deshalb mit Pinzette und Pipette und vor allem mit der Lupe am Lack, sagt die Frau mit der markanten Brille und dem Totenkopfring an den rauen Händen und beugt sich wie ein Spurensicherer am Tatort über einen Kotflügel.
Erast studieren, dann reparieren
Aber so abwegig ist dieser Vergleich gar nicht. Denn vor dem Reparieren steht das Studieren und Tutt muss erst einmal mühsam ergründen, welchen Lack das Original getragen hat, wie er beschaffen war und wie er hergestellt wurde. Nach über zehn Jahren am rostigen Objekt hat sie mittlerweile über 600 Reagenzgläser mit Materialproben in ihren Regalen und tut sich entsprechend leichter. Doch zu Beginn der Arbeit hing sie oft tagelang über dem Mikroskop, bis sie einen Farbcode dechiffriert hatte, erinnert sich die Restauratorin.
"Und nur weil man weiß, welcher Lack damals verwendet wurde, hat man ja noch lange keinen Nachschub", sagt die Expertin. Also wird ihre Werkstatt immer mal wieder zur Alchimistenküche und sie rührt mit selbst entwickelten Maschinen die Lacke jener Zeit an, die sie erst am Garagentor auf Verwitterung testet und dann haarfein und millimetergenau aufs teure Blech aufträgt.
Erst eine komplette Anamnese des Fahrzeugs samt Gutachten und Restaurierungskonzept, dann wochenlange Lackanlaysen, immer neue Materialproben und Verwitterungstests und am Ende die penible Restauration unter der Lupe: "Natürlich ist es billiger, einen Oldtimer einfach neu zu lackieren", sagt Tutt und schätzt, dass die Arbeit bei ihr mindestens ein Drittel teurer ist als bei Kollegen mit etwas konventionelleren Ansichten. Doch seitdem sich der Klassiker-Markt verändert und die Originalität wieder wichtiger werde als der schöne Schein, sei dieses Geld gut angelegt, rechtfertigt sie den Aufwand: "In der Regel schlägt sich der Mehrpreis bei der Restaurierung doppelt und dreifach in der Wertentwicklung des Autos nieder". Kein Wunder, dass Omnia mittlerweile gut zu tun hat, Firmenchefin Tutt mit ihren Werkzeugkoffern und Materiaproben regelmäßig zu Sammlern in aller Welt fliegt oder bei ihr immer mal wieder Übersee-Container mit Oldtimern ankommen.
Panda statt Porsche
Sie fährt zwar Panda statt Porsche, hat ruinierte Fingernägel und sitzt in einer kleinen Werkstatt zwischen Schwarzwald und Vogesen. Aber sie hat es geschafft: "Es hat zwar ein bisschen gedauert, bis eine junge Frau in der von Männern dominierten Welt der Klassiker anerkannt und akzeptiert worden ist. Erst recht, mit solchen unkonventionellen Ansichten und Methoden“, erinnert sich Tutt an die Jahre des Aufbaus. Doch mittlerweile wird nicht nur ihre Arbeit so sehr geschätzt, dass sie sich die Kunden aussuchen kann und lange Wartefristen hat. Vor allem hat sie ihre Methoden so weit perfektioniert, dass selbst Experten die restaurierten Lackflächen kaum mehr von den Originalen unterscheiden können. Deshalb erlaubt sie sich bei aller Liebe zur Authentizität mittlerweile sogar ganz bewusst einen Patzer und mischt neumodische chemische Bestandteile in ihre historischen Lacke: Für das Auge unsichtbar aber mit Messgeräten sofort nachzuweisen, sollen diese Marker verhindern, dass zwielichtige Sammler Tutts Restaurationen verschweigen und als Original ausgeben.
So perfekt die Autos bei aller Patina am Ende aussehen, kann Tutt ihren Kunden einen Wunsch aber nicht erfüllen: "Sie bekommen den Zustand, der tatsächlich original vom Band gerollt ist, natürlich nicht wieder," muss die Experten die Sammler enttäuschen, "denn eine Zeitmaschine habe ich auch nicht."