asp: Wir sehen immer mehr Sicherheits- und Assistenzsysteme. Ist die Hauptuntersuchung (HU) darauf vorbereitet?
J. Wolz: Aktuell können wir im Rahmen der periodischen Überprüfung alle sicherheitsrelevanten Mängel aufdecken. Mit dem HU-Adapter sind wir gut aufgestellt. Wenn wir nach vorne schauen, werden die Abhängigkeit von Daten, die Möglichkeit von Software-Updates durch den Hersteller und mögliche Datenmanipulationen allerdings deutlich zunehmen. Dafür benötigen die Prüforganisationen den Zugang zu den Daten. Das ist die Hauptvoraussetzung dafür, dass wir den technologischen Wandel konstruktiv begleiten können.
asp: Wie hat sich der HU-Adapter in der Praxis bislang bewährt?
J. Wolz: Der HU-Adapter hat sich sehr gut bewährt, läuft stabil und ist bei den Prüfingenieuren anerkannt. Die Funktionalitäten werden permanent erweitert, aktuell um das Thema E-Call. Hierfür wird ein Prüfszenario entwickelt, um die Funktionalität im Rahmen der HU abzuprüfen. In der weiteren Perspektive sehen wir die Möglichkeiten, über ein Trust Center HU-relevante Daten zu erhalten, um die sicherheitsrelevanten Assistenzfunktionen sowie deren Software im Fahrzeug intensiver und umfänglicher als heute prüfen zu können.
asp: Welche Idee steckt hinter dem Aufbau eines Trust Center?
J. Wolz: Die Idee des Trust Center wurde von TÜV SÜD zusammen mit den anderen Prüforganisationen entwickelt. Es ist ein großer Erfolg, dass die Prüforganisationen kürzlich in einem gemeinsamen Papier eine klare Position bezogen und klare Forderungen gestellt haben, was den Zugang zu Fahrzeugdaten betrifft. Es ist klar, dass wir für künftige Fahrzeuggenerationen den uneingeschränkten Zugang zu den für die Sicherheit relevanten Daten über eine sichere Plattform benötigen. Mit der Sealed-Cloud-Technologie des von uns 2017 übernommenen Cloud-Spezialisten Uniscon können wir dafür eine verschlüsselte Datenbank zur Verfügung stellen. Wir sind derzeit die Einzigen im Markt, die das anbieten können.
asp: Welche Rolle spielen Software-Updates der Hersteller über die Luftschnittstelle?
J. Wolz: Immer mehr Hersteller spielen neue Software-Releases Over-the-Air auf das Fahrzeug. Es muss daher eine Möglichkeit geben, dass ein unabhängiger Prüfer erkennen kann, ob die aufgespielte Software auch tatsächlich dem entspricht, was übertragen werden sollte. Die Selbstprüfung der Systeme ist unseres Erachtens nicht ausreichend. Dass dies technisch möglich ist, haben wir erstmals bei der flächendeckenden Überprüfung des Softwarestands in manipulierten Fahrzeugen der Volkswagengruppe demonstriert. Hier waren die Prüforganisationen damit beauftragt, im Rahmen der HU zu überprüfen, ob die verpflichtenden Updates in der Werkstatt tatsächlich aufgespielt wurden.
asp: Warum sperren sich die Hersteller so dagegen, die Daten freizugeben?
J. Wolz: Die Bedeutung von Daten wird zunehmen. Heute unterscheiden sich die Hersteller durch besondere Leistungsmerkmale von Motor, Antrieb und Fahrverhalten. Künftig wird der Anteil der zusätzlichen Services rund ums Fahrzeug größere Bedeutung gewinnen. Das Display im Fahrzeug wird die wichtigste Kommunikationsschnittstelle für datenbezogene Dienste. Der freie Reparaturmarkt sowie viele neue Dienstleister rund um Mobilitäts- und Telematik-Dienste fordern daher zurecht diskriminierungsfreien Zugang, um selbst Geschäftsmodelle aufzubauen. Im Sinne des Wettbewerbs wird es Regelungen geben müssen, die diesen Zugang diskriminierungsfrei ermöglichen. Die EU-Kommission hat diese Forderung bereits formuliert.
asp: Wird die OBD-Schnittstelle zu Diagnosezwecken erhalten bleiben?
J. Wolz: Die Hersteller verweisen auf die Sicherheit. Um Manipulationen zu verhindern, wollen die Hersteller die OBD- Schnittstelle am liebsten schließen. Einige Hersteller lassen den Zugriff auf die OBD-Schnittstelle daher nur noch über Sicherheitszertifikate zu. Tatsächlich bietet die OBD-Schnittstelle das größte Einfallstor für Manipulationen. Jeder kann mit einem Stecker ran und mit krimineller Energie wäre es möglich, nicht nur Daten auszulesen, sondern bidirektional auch Daten zu verändern.
asp: Welche Änderungen stehen bei der Abgasuntersuchung im Rahmen der HU an?
J. Wolz: Die große Mehrheit der Abgasuntersuchungen in Prüfstützpunkten wird als beigestellte Messung durch die Werkstatt gemacht. Der Prüfingenieur übernimmt die Messergebnisse in den HU-Bericht. Allerdings müssen spätestens ab 1.1.2021 alle beigestellten Messungen mit kalibrierten Geräten erfolgen, die Messung muss also dem Akkreditiv der Prüforganisation entsprechen. Aktuell führt das bei eichpflichtigen Geräten wie dem AU-Gerät zu aus unserer Sicht unnötigen Doppelprüfungen. Immerhin arbeitet beispielsweise Bayern daran, dass die Eichämter zusammen mit der Eichung auch die Kalibrierung durchführen dürfen - damit wird ein Doppelaufwand für Werkstätten vermieden. Eine weitere Entwicklung ist die mögliche Messung von Stickoxiden im Rahmen der AU. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hat bereits einen entsprechenden Forschungsauftrag vom Bund erhalten, wie die NOX -Messung in die AU integriert werden kann. Wir begleiten das Forschungsvorhaben.
asp: Dann kämen neue Investitionen auf die Werkstätten zu?
J. Wolz: Wahrscheinlich ja. Ideal wäre es, wenn die vorhandenen Geräte modulartig erweitert werden könnten. Die Herausforderung besteht darin, dass die NOX-Emission aktuell unter Last gemessen werden muss. Das geht nur auf einem dafür ausgelegten Prüfstand, der einen Widerstand aufbaut, oder durch eine kurze Prüfungsfahrt, die wir ja bei der HU auch jetzt schon durchführen.
asp: Prüfer werden mit einem neuen Prüfkoffer ausgestattet, was ist die Idee dahinter?
J. Wolz: Der neue Koffer ist nur halb so schwer wie der Vorgänger und wurde komplett neu konzipiert. Herzstück ist ein stoßfestes Tablet, das vor Ort im Prüfstützpunkt entnommen werden kann. Der Umstieg auf Thermodrucker bringt enorme Gewichtserleichterung und kommt mit viel weniger Platz aus. Zudem ist der HU-Adapter immer mit an Bord. Ebenfalls integriert: LAN-Kabel, USB-Steckplätze und ein Modul für die drahtlose Kommunikation über die ASA-Schnittstelle. Beim Rollout Anfang März wurden innerhalb weniger Wochen 2.300 Koffer verteilt. Bis Herbst soll die Lösung auch bei TÜV Hanse und TÜV SÜD Auto Partner ausgerollt werden.
asp: Kann man den volkswirtschaftlichen Nutzen der HU beziffern?
J. Wolz: Für die Fahrzeug- und Verkehrssicherheit ist die HU unbezahlbar. Das zeigen auch die Erfahrungen in anderen Ländern, beispielsweise in der Türkei, wo sich die Anzahl der Verkehrsunfälle und Verkehrstoten seit Einführung der periodischen Fahrzeugprüfung deutlich verringert hat. Die Selbstzertifizierung und -prüfung der Hersteller ist immer nur so gut, wie das System programmiert ist. Eine Prüfung durch unabhängige Dritte ist daher auch künftig unverzichtbar. Bei Konzepten für die Shared Mobility ist es denkbar, dass nicht nur nach festen Zeiträumen geprüft wird, sondern nach gefahrenen Kilometern oder Gefahrenübergängen. Für Prüfer wird die Arbeit abwechslungsreicher, aber auch komplexer, die Bandbreite vom Oldtimer zum teilautonom fahrenden Fahrzeug wird größer.
Interview: Dietmar Winkler
Kurzfassung
Die Anforderungen an die periodische Überprüfung der Fahrzeuge werden immer höher. Das spüren auch Werkstätten, in denen die HU durchgeführt wird. Im Rahmen der AU sollen künftig auch Stickoxide gemessen werden.
- Ausgabe 06/2019 Seite 52 (299.5 KB, PDF)