Von Online-Redakteur Armin Wutzer
Deutsche Autohändler befinden sich seit Anfang des Jahres in einem Dilemma. Grund dafür ist ein Widerspruch von nationalem Recht und EU-Recht bei den Vorschriften zur Verbrauchs- und CO2-Emissionskennzeichnung von Neuwagen. So legt die aktuell gültige deutsche Pkw-Energieverbrauchs-Kennzeichnungsverordnung (Pkw-EnVKV) fest, dass Händler Verbrauchs- und Emissionswerte von Neuwagen gegenüber ihren Kunden nach dem veralteten NEFZ-Verfahren ausweisen müssen. Gleichzeitig ist zum erstem Januar 2021 eine EU-Richtlinie in Kraft getreten, welche die Mitgliedsstaaten verpflichtet, sicherzustellen, dass Neuwagen nur noch mit Verbrauchs- und Emissionsangaben nach dem neuen Prüfzyklus WLTP beworben werden. Hinzu kommt: Für eine ganze Reihe von Neuwagen gibt es seit 2021 keine NEFZ-Werte mehr.
Eigentlich hätte das Bundeswirtschaftsministerium diese offensichtlichen Widersprüche bis zum Jahreswechsel mit einer neuen EnVKV verhindern sollen. Genug Zeit dafür wäre jedenfalls gewesen: Neuwagen müssen bereits seit September 2018 nach WLTP zertifiziert werden. Die Arbeiten an der neuen Verordnung haben nach Informationen von AUTOHAUS zudem bereits vor einigen Jahren begonnen. Dennoch wird nach Angaben des Ministeriums nach wie vor an der neuen Verordnung gearbeitet. Warum sich die Novellierung der Verordnung so lange hinzieht ist unklar.
Im Bundeswirtschaftsministerium hat man es nicht eilig
Anscheinend gibt es aber Unstimmigkeiten zwischen dem Wirtschaftsministerium und anderen, an der Sache beteiligten Ministerien. Auf Nachfrage von AUTOHAUS teilte das Bundeswirtschaftsministerium zu den Gründen für die Verzögerung nur lapidar mit, dass die Ressortabstimmungen weiter andauern würden und abschließende Entscheidungen noch nicht gefallen seien. Einen Zeitplan für die Verabschiedung der neuen Verordnung könne man ebenfalls nicht mitteilen. Eine Ministeriumssprecherin wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es auf EU-Ebene keine verbindliche Umsetzungsfrist bei der Umstellung der Verbrauchskennzeichnung auf WLTP-Werte gebe. Das deutet nicht unbedingt darauf hin, dass man es mit der neuen Verordnung sonderlich eilig hat.
Bis die neue EnVKV da ist, rät das Bundeswirtschaftsministerium dem Handel, neben dem herkömmlichen Energieverbrauchslabel nach Pkw-EnVKV zusätzlich eine Verbrauchs- und CO2-Kennzeichnung nach WLTP anzubringen. Dazu empfiehlt das Ministerium so wörtlich, "ein einheitliches und neutrales Format zu benutzen, das ab Anfang Januar 2021 neben dem Fahrzeug oder in dessen unmittelbarer Nähe so angebracht werden soll, damit es nicht zur Verwirrung mit dem weiter geltenden Pkw-Label führen kann". Darüber hinaus sollen die Händler die Informationen auch als Aushang im Showroom sowie bei sämtlichen analogen und digitalen Werbematerialien angeben. (Hinweis: Die vom Bundeswirtschaftsministerium erstellte Vorlage für diese zusätzliche Verbrauchs- und CO2-Emissionskennzeichnung finden Sie unten zum Download.)
Unverständnis im Handel
Diese Empfehlung sorgt in der Branche für Kopfschütteln. "Das ist ein unfassbarer Aufwand", sagt Ulrich Dilchert, Geschäftsführer Recht, Steuern und Tarife beim ZDK. Der Grund: Die Händler müssten jedes der Zusatzlabels manuell erstellen und mit den passenden Angaben versehen – angesichts unzähliger Fahrzeugvarianten und zahlloser Ausstattungsoptionen eine Sisyphosarbeit. Denn ein Tool zur automatischen Erstellung, wie es die Hersteller für die regulären Kennzeichnungen nach EnVKV bereitstellen, gibt es für dieses Zusatzlabel derzeit noch nicht. Daneben stört Dilchert aber auch ganz grundsätzlich, dass die Verabschiedung der neuen Verordnung so lange dauert. Der Handel müsse weiter mit den veralteten Werten nach NEFZ werben, obwohl etwa für die Kfz-Steuer längst die neuen WLTP-Werte entscheidend sind. Das sorge hin und wieder für verärgerte Kunden, wenn im Kfz-Steuerbescheid plötzlich ein anderer CO2-Wert steht als vom Händler nach Pkw-EnVKV ausgezeichnet. "Dass wir angesichts dessen endlich mit den WLTP-Werten raus müssen, dürfte auf der Hand liegen", findet der ZDK-Geschäftsführer.
Beim Bundesverband der freien Kfz-Händler (BVfK) sorgt die Empfehlung des Bundeswirtschaftsministeriums aber noch aus einem weiteren Grund für Unmut: Der Verband befürchtet, dass die Doppelkennzeichnung auf die Verbraucher verwirrend wirken und in der Folge zu Abmahnungen wegen irreführender Werbung führen könnte. "Möglicherweise dürfte der entstehende finanzielle Schaden durch Abmahnungen, Vertragsstrafen und Gerichtsverfahren sogar größer sein, als wenn man die Empfehlungen zur Übergangsregelung ignoriert und man sich weiter an der bestehenden Verordnung orientieren würde", so der BVfK.
BVfK rät dazu, die Empfehlung zu ignorieren
Der Verband legt seinen Mitgliedern darum nahe, die Empfehlung des Bundeswirtschaftsministeriums zu außer Acht zu lassen und stattdessen die Pflichtinformationen nach gültiger Pkw-EnVKV um einen Zusatz zu ergänzen. Als Beispiel nennt der BVfK folgende Formulierung:
"Die vorstehenden Angaben zu Kraftstoffverbrauch und Emissionen wurden wegen der in Deutschland noch nicht umgesetzten EU-Regelungen nicht nach dem aktuellen und wirklichkeitsnäheren WLTP-, sondern nach dem veralteten NEFZ-Verfahren ermittelt. Die so dargestellten Werte weichen i.d.R. bei Anwendung des WLTP-Verfahrens bei den Angaben zur Schadstoffemission und zum Kraftstoffverbrauch noch oben und zur Reichweite nach unten ab."
Bei seiner Empfehlung stützt sich der BVfK auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 18. November 2020 (Az.: VIII ZR 78/20). Dabei ging es um die Frage, ob die Verjährungsfrist für Sachmängelansprüche bei gebrauchten Sachen auf ein Jahr verkürzt werden darf. Damals entschied der BGH, dass die EU-rechtswidrige deutsche Regelung auf nationaler Ebene so lange Gültigkeit habe, bis die EU-Vorgaben vom Gesetzgeber entsprechend umgesetzt seien. Vom Bundeswirtschaftsministerium gab es auf Nachfrage, wie es zu diesen Abmahn-Befürchtungen stehe, übrigens keine neue Aussage. Die Ministeriumssprecherin wiederholte lediglich die oben bereits zitierte Empfehlung.
ZDK sieht wenig Abmahnrisiken und empfiehlt, individuell abzuwägen
Der ZDK hingegen teilt die Einschätzung des BVfK zum Abmahnrisiko durch die Doppelkennzeichnung eher nicht. ZDK-Rechtsexperte Ulrich Dilchert ist der Ansicht, dass man grundsätzlich auf der sicheren Seite sei, wenn man die Vorlage des Bundeswirtschaftsministeriums zur Kennzeichnung der WLTP-Werte nutze. Man müsse nur sehr deutlich machen, dass es sich beim Zusatzlabel um Werte nach WLTP und beim Label nach EnVKV um Werte nach NEFZ handelt. Eine eindeutige Empfehlung, dem Vorschlag des Wirtschaftsministeriums zu folgen, will der ZDK aber auch nicht aussprechen. "Wir sind angesichts des Aufwands hin- und hergerissen", bekennt Dilchert. Wenn es für ein Autohaus halbwegs praktikabel sei, die Doppelkennzeichnung vorzunehmen, sei es sinnvoll das zu tun. Falls nicht könne man sich wie gehabt nur an die bekannten Regeln nach Pkw-EnVKV halten.