Fahrzeug-Komplettverklebung mit Folie
Was heute im Regelfall noch von Werbetechnikern erledigt wird, ist eigentlich ein Fall für Profis in Werkstätten und Autohäusern: Fahrzeug-Komplettverklebung ist kein Hexenwerk, sondern trainierbar. asp hat selbst Hand angelegt.
Die erste Klebefolie datiert auf das Jahr 1952. Als Werbeaussage war damals nur eine einfache Schrift möglich, die Farbgebung beschränkte sich auf Schwarz und Weiß. Bereits 1964 standen der Werbebranche farbige Vinylfolien zur Verfügung, ab 1972 sogar mit druck-aktiver Kleberbeschichtung. Zu Beginn der 1990er Jahre ein Meilenstein: Konnten mit dem zuvor genutzten Siebdruckverfahren lediglich Großserien wirtschaftlich gefertigt werden, ermöglichte der Digitaldruck nun auch Kleinauflagen bis hin zu Einzelstücken. Dass komplett verklebte Fahrzeuge heute häufig anzutreffen sind, hat allerdings noch einen zweiten Grund. Seit Ende der 1990er Jahre stieg der Anteil der Leasing-Fahrzeuge an den Neuzulassun-gen rasant an, selbst Polizei-, Bundeswehr- und vergleichbare Fahrzeuge werden heute geleast – und mit Klebefolie an ihren Ver-wendungszweck angepasst. Das gilt auch für viele Taxen und Kommunalfahrzeuge – weder Hellelfenbein noch Signalorange sind sexy Farbtöne – sowie für Fahrzeugflotten von Unternehmen, die großen Wert auf Corporate Identity, kurz CI, legen. Sie alle haben gemeinsam, dass sie am Ende des Leasing-Zeitraums zurückgegeben werden müssen, und zwar in dem Zustand, in dem sie übernommen wurden. Hat man zuvor ein Neufahrzeug mit gängigem Farb-ton mit Folie überklebt, erhält man nun ein gebrauchtes Fahrzeug mit gängigem Farbton zurück, dessen Lackoberfläche zudem bestens erhalten ist; die Folie wirkt wie ein mechanischer Schutzschild. Dieser Effekt ist übrigens ebenso für hochwertige Klassiker nutzbar, denn solche Folien gibt es natürlich auch in transparenter Optik.
Für Werbezwecke vorgesehene Folien können gegossen oder gezogen sein. Beim Gießen wird das flüssige Grundmaterial noch in diesem Aggregatzustand an die gewünschte Breite angepasst, während beim Ziehen ein Granulat zunächst in eine zähe Masse verwandelt und diese im An-schluss ausgewalzt wird. Klebstoff und Schutzpapier lassen in beiden Fällen aus der Folie eine Klebefolie entstehen.
Für die Fahrzeug-Komplettverklebung eignen sich nur gegossene Folien aus Polyvinylchlorid (PVC). Sie sind zwar aufwendiger und somit teurer in der Herstellung, bieten aber Vorteile bei Gestaltung und Verarbeitung: gleichmäßig geringe Schichtdicke, kaum Spannung und somit nur minimales Schrumpfen. Letzteres ist eine wichtige Voraussetzung für die dreidimensionale Verklebung von Fahrzeugen.
Auch bei gegossenen PVC-Folien gibt es Qualitätsstufen, die aber gewollt sind und sich an der Nutzung orientieren:
Economy für eher kurze Nutzungszeiträume (zwei bis vier Jahre)
Quality für mittlere Nutzungszeiträume (fünf bis sieben Jahre) und
Premium für längere Nutzungszeiträume (sieben bis zwölf Jahre)
Spezielle Klebefolien-Varianten enthalten auf dem Kleber Glaskügelchen und/oder im Kleber Luftkanäle. Die Glaskügelchen dienen als Abstandshalter, ermöglichen das Verschieben der Folie auf der zu be-klebenden Fläche und drücken sich beim Fixieren in die Kleberschicht, während die Luftkanäle für ein Verkleben ganz ohne Lufteinschlüsse sorgen. Anbieter von für Fahrzeuge geeigneten Klebefolien sind 3M, Avery, Mactac und Orafol.
Sechs Grundsätze des Folienklebens
Bevor der Profi mit dem Verkleben oder der Anfänger mit dem Üben beginnt, sind diese sechs Grundsätze zu beachten:
vor dem Verkleben ist das gesamte Fahrzeug gründlich zu reinigen, am besten mit dem vom Folienhersteller empfohlenen Reinigungsmittel
bei Umgebungstemperaturen unterhalb von zehn Grad Celsius ist kein Ver-kleben möglich (einzige Ausnahme: so genannte Premium-Folien können ab vier Grad Celsius verklebt werden)
leicht demontierbare Fahrzeugteile wie Scheinwerfer, Heckleuchten, Kotflügelantennen und Radhausverkleidungen sollten zuvor entfernt werden; deshalb ist die Fahrzeug-Komplettverklebung ein Fall für Werkstattprofis
Klebefolie möglichst nicht direkt am Fahrzeug, sondern in ausreichender Entfernung schneiden, um Beschädigungen des Lacks zu vermeiden
der Kleber wird durch Druck (Handrolle etc.) aktiviert und benötigt zwei Tage zum gänzlichen Abbinden; nach einer Stunde sind etwa 75, nach einem Tag etwa 90 Prozent der endgültigen Haftkraft des Klebers erreicht
der Zeitaufwand für eine Fahrzeug-Komplettverklebung hängt neben der Folienqualität von der Vorgehensweise ab (vgl. Angaben im Interview mit Uwe Wurster links und im Infokasten „Kom-plettverklebung“ auf Seite 13)
Hier trennen sich Spreu und Weizen
Hinzu kommen einige Tricks und Kniffe, um beispielsweise besonders anspruchsvolle Stellen an der Fahrzeugkarosserie dauerhaft verkleben zu können. „Besonders anspruchsvolle Stellen an der Pkw-Karosserie sind unter anderem der Kennzeichenausschnitt und die Türgriffe. Beim Kennzeichenausschnitt muss die Klebefolie zwar unten erwärmt, aber zuerst oben an der tiefsten Stelle fixiert werden, was Rückverformungen vermeidet“, erklärt Uwe Wurster, Inhaber Die Kleber-Connexion Verklebeservice GmbH. Der Experte weiter: „Türgriffe erfordern jeweils zwei Arbeitsgänge: Zunächst die Folie, mit der auch die Tür beklebt wurde, über den Griff ziehen und so beschneiden, dass der obere Rand der Griffmulde und die Griffmulde selbst vollständig beklebt sind. Dann mit einem grob passend geschnittenen Stück Folie den Türgriff bekleben. Vergleichbar ist die Vorgehensweise bei Schutzleisten“ (vgl. Bilder auf Seite 12 oben).
Hat die Klebefolie ihre Aufgabe erfüllt, beispielsweise am Ende des Leasing-Zeitraums, wird sie von der Karosserie ent-fernt. Das erfolgt am besten im auf etwa 70 Grad erwärmten Zustand, denn dann löst sich der Kleber leicht vom Lack.
Tipp: Tapetenlöser vom Baumarkt
Dieser Temperaturbereich lässt sich auf vier verschiedene Arten einstellen: in einer Lackierkabine, mit einem Infrarotstrahler, mit einer Heißluftpistole und mit einem Tapetenlöser einfachster Ausführung aus dem Baumarkt. Uwe Wurster: „Die besten Erfahrungen habe ich mit dem Tapetenlöser gesammelt. Der Wasserdampf er-wärmt die Folie genau dort, wo ich gerade arbeite. Die anderen Methoden sind auf-wendiger bezüglich Zeit und Energie.“
Das Ablösen der Klebefolie ist in nur wenigen Stunden erledigt. Falls Kleber-reste auf dem Lack zurückbleiben, lassen sie sich mit einer Radierscheibe unproblematisch entfernen. Mit einer abschließenden Lackaufbereitung kann der optische Eindruck eines neuen Fahrzeugs erzielt werden – das Optimum für die Vermarktung als hochwertiger Gebrauchtwagen. Peter Diehl
Weiterbildung
Kleben üben bei KTD
Das Verkleben von Folien auf Fahrzeugen ist eine diffizile Angelegenheit, die jede Menge Übung, aber auch viel Wissen um das Folienmaterial voraussetzt. Vorheriges Training ist somit unumgänglich. Zur Jahres- mitte 2009 erweitert der Calwer Trainingsdienstleister KTD sein An- gebot um Weiterbildungen im Bereich Fahrzeug-Komplettverklebung. Die Trainings von KTD werden in zwei Zielrichtungen unterteilt:
operativ für Mitarbeiter von Werkstätten und Autohäusern
informativ für Kfz-Sachverständige sowie Mitarbeiter von Prüforganisationen und Versicherungen
Kontakt: KTD GmbH, Tel. 0 70 51/96 94-0, Fax -70,
info@ktd-online.de, www.ktd-online.de
Farbänderung & Fahrzeugpapiere
Verzichtserklärung
Bereits seit Anfang 2008 können Zulassungsstellen bei Erstzulassung oder Umschreibung eines Kfz auf die Eintragung der Farbe in die Zu-lassungsbescheinigungen Teil I und II (vormals Kfz-Brief bzw. -Schein) verzichten. Die Basis hierfür bildet die Mitteilung des Bundesverkehrsministeriums Nr. 169 von Ende 2007, die eine Aktualisierung der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) ankündigt und in deren Vorgriff den Verzicht auf die Klartext-Eintragung der Farbe gestattet. Somit wird auch die Eintragung einer Farbänderung, z. B. durch Klebefolie, überflüssig.
Kurzinterview
Vier Fragen an ...
... Uwe Wurster, Inhaber Die Kleber-Connexion
Verklebeservice GmbH, Gomaringen (www.die-kleber.de)
Mit welchem zeitlichen Gesamtaufwand ist bei der Komplettverklebung eines Mittelklasse-Pkws zu rechnen?
Bei einem Pkw der Größe eines BMW 3er Touring kalkulieren wir drei Tage, wobei der dritte Tag möglichen Nacharbeiten vorbehalten ist. Abhängig von Lackierung und Folie, kann es durchaus vorkommen, dass sich die Folie partiell wieder ablöst bzw. an gedehnten Partien rückverformt. Erst nach Ausschluss oder Korrektur solcher Stellen ist unser Qualitätsanspruch erfüllt.
Gibt es Fahrzeuge und/oder Karosseriebauteile, die sich im Lauf Ihrer Berufspraxis als besonders kompliziert zu verkleben herausgestellt haben?
Ein erfahrener Verkleber „studiert“ die Karosserieform und erkennt bereits im Vorfeld Problemzonen. Das sind starke Erhöhungen, ebensolche Vertiefungen sowie Sicken, deren Breite weniger als ein Millimeter beträgt. Erfahrungsgemäß kann man jedoch mit vorheriger intensiver Reinigung und Nachtemperierung der Folie, das heißt Aktivierung des Klebers, vorbeugen.
Mit welchen Spezialwerkzeugen arbeitet man beim Verkleben von Folien?
Hauptsächliche Werkzeuge sind ein Kunststoffspachtel mit speziellem Härtegrad, eine Filzabdeckung zur Schonung der Folienoberfläche, einige Teflonrakeln und ein Spezialmesser, vergleichbar mit einem Skalpell. Hinzu kommen einige selbst gebaute Werkzeuge, um Abkantungen bearbeiten zu können.
Welchen zeitlichen Aufwand stellt das Abziehen der Folie dar?
Das Abziehen einer kompletten Folienverklebung – wir sprechen von Neutralisierung – nimmt etwa drei bis vier Stunden in Anspruch. Hinzu kommt der Zeitaufwand einer vollumfänglichen Lackaufbereitung.
Kalkulationsbeispiele
Komplettverklebung
„Für einen mittelgroßen Pkw, komplett verklebt durch zwei Mitarbeiter an einem Tag mit gegossener Folie, werden, ab-hängig von den Folien-Preisklassen und bezogen auf die Verklebezeit, zwischen 1.260 und 1.900 Euro kalkuliert.“
Tanja Dietzig, Anwendungstechnik Folien und Digitaldruck, H. Brunner GmbH, Achern (www.brunner-folien.de)
Folienart
unifarbene Folie
Digitaldruck-Folie
Folienqualität
Beispiel 1: Economy
Beispiel 2: Quality
Beispiel 3: Premium
Beispiel 4: Economy
Beispiel 5: Premium
Preis (EK) für 25 lfm
360 Euro
480 Euro
600 Euro
-
-
einschließlich Laminat
-
-
-
600 Euro
1.000 Euro
Arbeitslohn für18 Stunden á 50 Euro
900 Euro
900 Euro
900 Euro
900 Euro
900 Euro
Summe (+ Vorarbeit)
1.260 Euro
1.380 Euro
1.500 Euro
1.500 Euro
1.900 Euro
- Ausgabe 5/2009 Seite 10 (597.1 KB, PDF)