Ob Abstandswarner, Einparkassistent oder Müdigkeitserkennung - moderne Autos sind mit einer Fülle an Fahrerassistenzsystemen (FAS) ausgestattet, die den Lenker unterstützen und entlasten sollen. Auch Unfälle lassen sich mit Fahrerassistenzsystemen reduzieren: Rund 90 Prozent der Crashs sind laut Statistik auf menschliche Fehler zurückzuführen. Meistens erkennt der Fahrer Gefahren nicht schnell genug oder schätzt Situationen falsch ein. Fahrerassistenzsysteme können den Fahrer bei Bedarf warnen und sogar aktiv in das Geschehen eingreifen. Die EU-Kommission und der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) verfolgen mit der Strategie "Vision Zero" das Ziel, bis 2050 die Verkehrstoten auf Europas Straßen auf Null zu reduzieren. Die Experten sind sich einig, dass die Hälfte der Unfälle schon heute vermieden oder in ihrer Schwere reduziert werden könnte, wenn alle Fahrzeuge mit Fahrerassistenzsystemen ausgestattet wären. Auch durch autonomes Fahren wird die Bedeutung von Fahrerassistenzsystemen zunehmen.
Damit Fahrerassistenzsysteme funktionieren, sind sie auf unterschiedliche Sensoren im Fahrzeug angewiesen, die ihnen Daten liefern. Auf Grundlage dieser Daten kann die IT-Infrastrukur des Fahrzeugs die passenden Schlüsse ziehen und im Notfall in Sekundenbruchteilen reagieren.
Sensoren-Vielfalt
Das Spektrum der verbauten Sensoren ist groß und auch abhängig von der Fahrzeugklasse. Während Fahrzeuge der Oberklasse oft zahlreiche Sensoren haben, finden sich in der Kompaktklasse im Regelfall weniger - Tendenz steigend. Laut einer Statistik von Bosch ( siehe Seite 13) sind beispielsweise über die Hälfte der neu zugelassenen Pkw mit einem Parkassistenzsystem ausgestattet, einen Notbremsassistenten hat nur jeder vierte Neuwagen. Für die Einparkhilfe in der einfachsten Variante sind Ultraschallsensoren in den Stoßfängern verbaut, die Objekte in der Nähe erfassen können. Je nach Komplexität des Systems wird der Fahrer beim Einparken akustisch nur beim Rückwärtsfahren oder auch beim Vorwärtsfahren gewarnt, wenn er Hindernissen zu nahe kommt. Bei einigen Fahrzeugen sind die Sensoren auch seitlich installiert. Eine Stufe weiter gehen Systeme mit kombinierter Kamera, die den Fahrer zusätzlich optisch auf dem Display warnen. Kamerasysteme können sowohl im Inneren des Fahrzeugs in der Windschutzscheibe als auch in Stoßfängern oder in der Heckklappe installiert sein. Dort erfüllen sie unterschiedliche Aufgaben wie beispielsweise die Erkennung von Verkehrszeichen, können den Fahrer beim Verlassen der Spur oder bei Staus warnen oder das Fernlicht automatisch auf- und abblenden. Bei schlechten Lichtverhältnissen sind Infrarotkameras besonders hilfreich, wenn sich Personen auf der Fahrbahn befinden oder ein Reh vor das Auto läuft. Kurz vor einem Zusammenprall kann das Fahrzeug so eine Notbremsung vornehmen.
Bei vielen Fahrzeugen in den höheren Klassen sind auch Radarsensoren verbaut, meistens im Bereich des Stoßfängers. Diese senden Mikrowellen aus, die von sich nähernden Objekten reflektiert werden. Die adaptive Abstands- und Geschwindigkeitsregelung hält so den Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug ein und passt die vom Fahrer gesetzte Geschwindigkeit dem Verkehrsfluss an. Je nach Ausführung können Radarsensoren auch für Ausweichmanöver oder bei besonders hohen Geschwindigkeiten verwendet werden. Spurhalte-Assistenten oder aktive Parkassistenten setzen ebenfalls auf Radar - meist in Kombination mit einer Kamera. Im Heck installiert sind sie ebenfalls nützlich, da sie im Falle eines Auffahrunfalls beispielsweise die Gurtstraffer aktivieren oder bei Querverkehr warnen können.
Eine Alternative zum Radar sind so genannte LIDAR-Systeme (Light Detection and Ranging). Sie können Abstand und Relativgeschwindigkeit von Objekten per ultraviolettem oder Infrarot-Licht messen, das vom Objekt zurückgeworfen wird. Sie werden vor allem für die Distanz- und Geschwindigkeitsmessung eingesetzt und können beispielsweise dem Notbremsassistenten Daten liefern. LIDAR-Sensoren sollen zwar eine bessere Auflösung als Radarsensoren bieten, sind in ihrer Reichweite jedoch eingeschränkter. Da sie oftmals in Kombination mit einer Kamera in der Windschutzscheibe verbaut sind, haben sie jedoch kein Problem mit Verschmutzungen.
Einfach oder komplex - die schnelle Verbreitung der Systeme ist wünschenswert, zumal die Kosten dafür sinken. "Auch bei den Fahrerassistenzsystemen bestätigt sich die Erfahrung, dass eine Technik umso günstiger und robuster wird, je verbreiteter sie ist", erklärt Andreas Rigling, Projektleiter Fahrzeugsicherheit im ADAC Technik Zentrum. Das Gesetz gilt auch für Reparaturen, wie ADAC-Fachmann Rigling bestätigt: "Vor einigen Jahren war eine Beschädigung an einem Radarsensor noch eine sehr teure Angelegenheit. Mittlerweile bewegen sich die Ersatzteilpreise für einen neuen Radarsensor je nach Fahrzeugtyp bei wenigen hundert Euro."
Eine aktuelle Veröffentlichung vom Allianz Zentrum für Technik befasst sich mit den steigenden Kosten für Reparaturen aufgrund der verbauten Technik. Die Ersatzteilepreise für ein Long-Range-Radar variieren demnach von 425 Euro für einen VW Passat bis 3.386 Euro für einen Honda Civic. Ein defekter Short-Range-Radar-Sensor ist für die Mercedes C-Klasse für 323 Euro zu haben, für den Volvo XC 60 für 400 Euro. Kamerasysteme liegen in der Preisspanne zwischen 400 Euro (VW Touran) und knapp 800 Euro (Mercedes CLS). Exemplarisch ist darüber hinaus die Kostenbetrachtung für den Tausch der Windschutzscheibe beim Audi A4 dargestellt: Für die Windschutzscheibe ohne Kamera liegen die Materialkosten bei 287 Euro plus 150 Minuten Arbeitszeit. Für die mit Kameratechnik ausgestattete Variante werden 442 Euro Material und 222 Minuten Arbeitszeit veranschlagt, davon 72 Minuten allein für die Einstellung der Kamera.
Next Step Fußgängererkennung
Die wichtigste Weiterentwicklung der Notbremsassistenten sei die verlässliche Fußgängererkennung. Die meisten Bremsassistenten für den Innenstadtverkehr können derzeit Fußgänger nicht identifizieren. Hierzu ist eine viel aufwändigere Rechenleistung notwendig. Technisch ist das längst möglich und selbst schon in Kleinwagen verbaut. Das kamerabasierte System im neuen Suzuki Ignis beispielsweise erkennt nicht nur vorausfahrende Fahrzeuge, sondern auch Personen auf der Fahrbahn.
Durch wirksame Notbremsassistenten mit Fußgänger- und Radfahrer-Erkennung in der gesamten Flotte könnten Studien zufolge die Getöteten-Zahlen bei ungeschützten Verkehrsteilnehmern um bis zu 30 Prozent reduziert werden. Zudem würden 40 Prozent der Auffahrunfälle verhindert.
Thema kommt auf Werkstätten zu
Während der Umgang mit solchen Systemen in Markenwerkstätten und Glasfachbetrieben längst Standard ist, tut sich manch kleinere Kfz-Werkstatt mit dem Einstellen der Sensoren und Kameras noch schwer. "Das Thema Kalibrierung von Kameras und Radarsensoren kommt jetzt ganz massiv auf die freien Werkstätten zu, das wird in den Unternehmen auch erkannt", erklärt Thomas Kock, Leiter der Dokumentation bei Schulungsanbieter Trainmobil. In den Trainings von Trainmobil informieren sich vor allem freie Werkstätten, aber auch Mitarbeiter von Markenbetrieben und Glasfachwerkstätten, für die ein eigenes Schulungsmodul angeboten wird. Trainmobil hat zwei eintägige Trainingsmodule zu FAS im Angebot: In der Grundschulung erwerben die Teilnehmer Basiswissen zu Assistenzsystemen, deren Verbreitung und deren Einstellung. Im Aufbautraining geht es tiefer in konkrete Problemstellungen rund um Fahrerassistenzsysteme, um die Diagnose und Fehlersuche sowie konkrete Fehlerbehebung. Außerdem bietet Trainmobil ein auf die Bedürfnisse von Glasfachbetrieben zugeschnittenes Training an. Thomas Kock: "Die Technik ändert sich sehr dynamisch, die Trainer müssen die Neuerungen der Automobilhersteller stets im Blick haben. Auch in den Werkstätten tauchen immer wieder neue Problemfälle auf, für die es gilt, passende Lösungen in den Trainings anzubieten."
Grundsätzlich sei es kein Problem, FAS in der Werkstatt zu kalibrieren, sagt Neofitos Arathymos, Geschäftsführer Technik, Sicherheit und Umwelt beim ZDK: "Wir haben alle Informationen von den Herstellern." Betriebe, die sich mit modernen Fahrzeugen auseinandersetzen, ganz gleich ob markengebundene oder freie Werkstatt, haben das notwendige Equipment und verfügen über das nötige Know-how, vor allem Betriebe mit Karosserie- und Lackwerkstatt sowie Glasfachbetriebe. "Bei vielen kleineren freien Werkstätten kommt das Thema FAS-Kalibrierung aber jetzt erst an, weil die ersten Fahrzeuge mit Assistenzsystemen auftauchen." Die Betriebe stünden vor der Entscheidung in das notwendige Equipment zu investieren, bestehend aus Diagnosegerät und ergänzende Kalibriersysteme. "Grundsätzlich muss man sagen, dass Werkstätten immer häufiger in die Situation kommen, Steuergeräte programmieren zu müssen - so auch beim Thema Fahrerassistenzsysteme."
Kurzfassung
Fahrerassistenzsysteme (FAS) erobern immer mehr Autos. Neben der Entlastung des Fahrers steht dabei auch die Vermeidung von Unfällen im Vordergrund. Damit die Technik funktioniert, müssen die Sensoren am Fahrzeug kalibriert sein.
Lohnt sich die Kalibrierung?
Investition in CSC-Tool
Bei Hella Gutmann Solutions ist man überzeugt, dass sich die Anschaffung eines Systems zur Kalibrierung von Fahrerassistenzsystemen langfristig betrachtet für alle Werkstätten lohnt. "Vor 15 Jahren hat man sich gefragt, ob eine freie Werkstatt ein eigenes Diagnosegerät braucht. Heute stellt sich diese Frage nicht mehr. Ähnlich wird sich dies mit Werkzeugen für Kamera-Kalibrierungen verhalten", so das Unternehmen auf Nachfrage.Das CSC-Tool kostet mit Frontkamera-Kalibriertafeln für die VW-Gruppe und Mercedes 6.790 Euro. Je nach Verrechnungssatz und Durchsatz amortisiert sich die Anschaffung des CSC-Tools für die Werkstatt entsprechend schnell. Aktuell liegen die Verrechnungssätze für eine Kalibrierung der Frontkamera laut Hella Gutmann Solutions bei 150 bis 300 Euro. vg
- Ausgabe 05/2017 Seite 10 (358.4 KB, PDF)