Peter Rawlinson meint es ernst. Nach seinem Abgang bei Tesla, man munkelt, er hätte sich mit Big Elon überworfen, lautet sein ehrgeiziges Ziel: das beste E-Auto der Welt bauen zu wollen. Dafür heuerte er 2013 bei Lucid Motors an, einem Unternehmen, dass 2007 gegründet wurde. Damals unter dem Namen Atieva – mit dem Ziel, Akkus und Antriebsstränge für E-Autos zu produzieren.
Ab 2014 träumte man größer und begann, an einem eigenen E-Auto für die Oberklasse zu arbeiten. 2016 folgte die Umbenennung in Lucid Motors. Im selben Jahr wurde das Erstlingswerk vorgestellt. Der Lucid Air. Eckdaten: Viertürige Luxus-Limousine, knapp fünf Meter lang, bis zu 1.251 PS stark, pfeift in zwei Sekunden von Null auf Hundert und kommt auf einen sehr geringen Cw-Wert von 0,197. Reichweite: Je nach Ausführung von 648 bis 839 Kilometer. Preis? Ab 71.430 Euro (netto).
Lucid Air Touring
BildergalerieObacht Mercedes EQE, hier kommt der Lucid Air
Vor uns steht der Air Touring – mit 628 PS, Allradantrieb, 20 Zöllern, 660 Kilometer kombinierte Reichweite nach WLTP. Topspeed: 225 km/h. Im zu unterzeichnenden Kaufvertrag: mindestens 83.000 Euro. Klingt interessant – drehen wir eine Runde.
Was sofort auffällt: Der Air streckt sich auf 4,98 Meter, was ungefähr Mercedes EQE-Format bedeutet. Sein Innenraum kann es jedoch locker mit dem EQS aufnehmen. Vorn sitzt es sich bequem und luftig, die Übersicht passt. Hinten erinnert die Beinfreiheit eher an Limousinen-Langversion. Wie das? Nun: Lucid baut fast alle Komponenten des Antriebs selbst – und bestimmt damit nicht nur Leistung und Gewicht, sondern auch die Kompaktheit der Bauteile. Um es greifbarer zu machen: Die komplette Antriebseinheit des Lucid Air (Permanentmagnet-Synchronmotor, Inverter, Einganggetriebe und Differenzial) passt in einen Handgepäckskoffer und wiegt 74 Kilogramm. Damit können sie den Raum natürlich optimal ausnutzen. Erwähnt sei noch, dass es nicht nur einen großen Kofferraum (627 Liter) gibt, sondern auch einen XL-Frunk mit 283 Litern – der Mercedes EQE bietet lächerliche 430 Liter, der EQS hinten ähnlich viel, vorne nichts bei 25 Zentimetern Längenplus.
Der Lucid Air ist gut fahrbar und „bedienbar“
Das Cockpit dominieren Leder, Holz und – wie sollte es anders sein – zwei große Displays. Erfreulich: Klima und Co lassen sich noch über Tasten bedienen. Der zentral angeordnete Berührungsbildschirm spuckt zügig mehrere Routenvorschläge mit passenden Ladestopps aus. Leise rollen wir los, der Air liegt ruhig und satt, kein Knistern. Obwohl sein Name etwas anderes erwarten lässt, ist keine Luftfederung an Bord, sondern adaptive Dämpfer. Und die machen einen erstaunlich guten Job: In „Smooth“, dem weichsten der drei Fahrmodi, gleitet die Limousine sanft über die oft miserablen amerikanischen Straßen. Nur ein leichtes Querfugen-Holpern kann er sich mit den 20 Zöllern nicht verkneifen. Die Lenkung übersetzt knackig, bleibt lange neutral – und der niedrige Schwerpunkt kaschiert fahrdynamisch ganz wunder- bar das Gewicht von fast 2,3 Tonnen. Allerdings ist das Batteriepack 92 kWh groß, daher schneidet der Air im direkten Vergleich sogar richtig gut ab. Ein Mercedes EQS wiegt mindestens 300 Kilogramm mehr.
Wird in der Mittelkonsole der Sprint-Modus aktiviert, geht’s rasant vorwärts. Dann drückt der Air Touring mit 629 PS nach vorn. Wuuuuschhhhh. Der Punch wirkt brutal. Als würde die Limousine wie ein Pfeil nach vorn sausen. Kein Wunder, die beiden Permanentmagnet-Synchronmotoren drücken zusammen ja auch mit 1.200 Newtonmeter Drehmoment auf die Achsen. Die Dämpfer stellen sich dabei straff, wodurch der Fünf-Meter-Stromer agil, stabil und wankarm durch die milden Kurven Richtung LA huscht. Beeindruckend, aber auch kostspielig: Der Sprint hat uns rund 35 Meilen Reichweite gekostet.
Die Effizienzmaßnahmen beim Lucid Air Touring
Die Route führt über den Highway 101 nördlich am Herzen von Los Angeles vorbei, eine der Hauptadern der Metropole, die gewaltig pulsiert. Auf vier Spuren herrscht Gewusel. Dabei wird die E-Mobilität sichtbar. Vor allem in Form von Tesla. Lucid tut also gut daran, das Portfolio bunter werden zu lassen. Vor allem, weil die Marke nicht nur Luxus, sondern auch Effizienz im Fokus hat. An den schweren Akkus kann man aktuell nichts ändern, an Fahrwiderständen dagegen schon. Lucid will sie maximal klein halten und setzt dafür einige Ideen um: Am glatten Unterboden finden sich mächtige Luftleitfinnen, es gibt Luftvorhänge (Air Curtains) und zwei Luftaustritte an der Fronthaube, um die Einbuchtung der Lichtleiste windmäßig vom Segel zum Gleiter zu machen.