Nicht nur bei wendigen Stadtautos galt der elektrische Radnabenmotor lange als Hoffnungsträger. Durch das Verlagern des Triebwerks vom Motorraum in die Felgen sollten das Platzangebot im Innenraum und die Flexibilität der Antriebssteuerung wachsen. Anfang des Jahrtausends präsentierten sich gleich mehrere Konzeptfahrzeuge mit dieser Technik. Durchgesetzt hat sich der Radnabenmotor nun aber in anderer Form als zunächst erwartet.
"Der Radnabenmotor ist ideal für Kommunalfahrzeuge oder auch People Mover", weiß Sebastian Wielgos, der beim Zulieferer Schaeffler in den vergangenen Jahren maßgeblich an der Serienentwicklung des Radnabenmotors beteiligt war. Denn die Verlagerung des Antriebs aus einem wie auch immer gearteten "Motorraum" oder dem Unterboden in die Räder macht auf geringer Verkehrsfläche eine Niederflur-Konstruktion möglich: Perfekt für den bequemen Einstieg in einen Shuttle-Bus oder eben für die speziellen Bedürfnisse von Kommunalfahrzeugen.
Der Radnabenmotor von Schaeffler startet nun zunächst mit kleinen Kehr- und Reinigungsfahrzeugen. Weil der Antrieb keinen eigenen Raum zwischen den Rädern und Achsen beansprucht, ist im Boden Platz für die Schlauchführung, sowohl für Reinigungswasser als auch für einen Staubsauger. "Trotzdem bleibt das Fahrzeug klein und wendig", so Wielgos. Für den Einsatz in Kommunalfahrzeugen spricht auch deren überschaubarer Leistungsbedarf. Schaeffler setzt dort auf 48-Volt-Technik, verzichtet also auf teure Hochspannungskomponenten und die aufwändige Absicherung. Der Zulieferer kann aber auch eine 400-Volt-Variante liefern und arbeitet bereits an noch höheren Spannungen.
Auch bei den Leistungsstufen gibt es Auswahl – zwischen sieben kW und 26 kW nominal pro Rad sind verfügbar, kurzzeitig sind auch 60 kW möglich. Zum Einsatz kommen immer mindestens zwei Motoren, bei Allradmodellen auch vier. Die Permanent-Synchronmotoren wiegen 45 bis 50 Kilogramm und passen inklusive Wasserkühlung in eine 14-Zoll-Felge. Draußen bleiben muss lediglich der Inverter, der den Gleichstrom der Batterie in Wechselstrom für den Antrieb verwandelt.
Was den Radnabenmotor abseits seiner Platz- und Packaging-Vorteile lange Zeit so begehrt gemacht hat, ist auch seine fahrdynamische Variabilität. Weil sich jeder Motor einzeln ansteuern lässt, ist eine sehr feinfühlige Regelung möglich. Wo beim Verbrenner komplizierte Kupplungen, Differenziale und passende Sperren nötig sind, reicht beim Radnabenmotor eine clevere Elektronik. Torque Vectoring nennen es Fachleute, wenn sich ein Fahrzeug durch Abbremsen und Antreiben einzelner Räder beispielsweise leichter in die Kurve dreht. „Prinzipiell kann man Fahrzeuge so auch auf der Stelle drehen lassen – wie bei einem Kettenantrieb “, sagt Wielgos. Da das aber die Reifen auf Dauer in Mitleidenschaft zieht, verzichten zumindest die Kommunalfahrzeuge darauf. Mit klassischem Knicklenker und geringer Länge sind sie sowieso wendig genug auf für die engste Gasse.
Doch gerade die fahrdynamischen Versprechen haben den Radnabenmotor in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder für Autohersteller attraktiv gemacht. Auch Schaeffler hat die Technik schon früh im Pkw getestet, etwa 2010 an Bord eines Opel Corsa und 2014 bei einem Ford Fiesta. Der sogenannte „E-Wheel Drive“ sollte damals bis 2018 für Kleinwagen zur Serienreife entwickelt werden. Und auch andere Branchenvertreter setzten zumindest in Prototypen und Studie auf die Technik: Honda im FCX Concept von 2005, VW 2011 beim Kastenwagen eT!. Im großen Stil im Pkw auf die Straße gekommen ist der Antrieb jedoch nie. Dabei hätte er Potenzial gehabt: „Der gerne angeführte Nachteil des geringeren Fahrkomforts durch erhöhte ungefederte Massen spielt im Kleinwagensegment keine Rolle“, sagt Wielgos. Bei Fahrversuchen hätten sich keine Nachteile ergeben.
Trotzdem sieht Wielgos im Pkw-Segment keine große Zukunft für den Radnabenmotor. "Der Pkw hebt die großen Vorteile des Konzepts meist nicht", erläutert der Ingenieur. Denn den zusätzlichen Platz in der Fläche benötigten die Kunden in den meisten Fällen kaum. Vorstellen kann er sich den Antrieb allenfalls bei Elektroleichtfahrzeugen der L6e- und L7e-Klasse. Dort hatte zuletzt auch der Nutzfahrzeughersteller Xbus mit der Technik geworben. Zwischenzeitlich scheint sich das Start-up aus der Nähe von Ingolstadt aber von dem Konzept verabschiedet zu haben – die neuesten Prototypen kommen nun mit Elektroachsen daher. Statt an jedem Rad einen E-Motor zu montieren, wird dabei gleich die komplette Achse angetrieben. Erfolgt das sowohl vorne als auch hinten, entsteht ein Allradantrieb. Baut man clevere Kupplungen oder Differenziale ein, ist auch eine Kraftverteilung zwischen den einzelnen Rädern möglich.
Die elektrische Achse dürfte dem Radnabenantrieb im Pkw so zumindest perspektivisch aufs Abstellgleis geschickt haben. Schaeffler muss das nicht stören – denn im wachsenden Segment der Spezialfahrzeuge dürfte er künftig eine wichtige Rolle spielen. Sowohl bei der Straßenreinigung als auch in Shuttle-Bussen für neue Mobilitätsdienste.