Akku, Fahrstil oder Aerodynamik, die Reichweite eines E-Autos hängt von vielen Faktoren ab. Auch Motor und Thermomanagement haben einen Einfluss auf die Distanz bis zum nächsten Ladestopp. Je effektiver und leichter der Antrieb, je weniger Energie aufgebracht werden muss, um Passagiere und Batterie auf Wohlfühltemperatur zu bringen, desto weiter kommt der Stromer.
Nun stellt ZF den Prototyp eines ultrakompakten 800-Volt-Antriebs vor, der KI-basiertes Energiemanagement mit einem neuen Thermomanagement kombiniert. Der modular aufgebaute Antrieb kombiniert Siliziumkarbid-Leistungselektronik, E-Motor und Reduziergetriebe. Der Motor kommt ohne seltene Erden aus, benötigt dank einer patentierten Wickeltechnik zehn Prozent weniger Kupfer und passt in fast alle Fahrzeuge.
In Sachen Leistungsentfaltung, Spitzenleistung und Reichweite soll der EVSys800 Maßstäbe setzen und die Nachfolge des aktuellen E-Antriebs antreten, der unter anderem bei Porsche im Taycan oder bei Audi im e-tron GT verwendet wird.
Dauerleistung ist entscheidend
Leistungsentfaltung und Spitzenleistung? Dass E-Aggregate schon die 1.000-PS-Marke knacken wie beispielsweise bei Tesla oder Lucid Air, dass sie ihr maximales Drehmoment quasi aus dem Nichts heraus bereitstellen und so selbst in einem normalen Mittelklassemodell sportwagentaugliche Beschleunigungen ermöglichen, ist doch nicht neu. "Der Unterschied liegt im Detail", erklärt Otmar Scharrer, der bei ZF die Entwicklung von E-Antriebssystemen verantwortet. "Kunden müssten unterscheiden zwischen Peak-Leistung, die ein Motor in der Regel nur ein paar Sekunden lang bereitstellt, und der Dauerleistung." Im schlechtesten Fall betrage die Dauerleistung nur ein Drittel des Wertes, mit dem die Hersteller werben, erklärt der Ingenieur.
Der neue ZF-Antrieb dagegen gibt dauerhaft 206 kW / 280 PS ab, das entspricht 75 Prozent der Spitzenleistung von 275 kW / 380 PS. Auf die kann der Fahrer fünf Sekunden lang setzen. Sind zwei Motoren eingebaut, sollte das reichen, um aus dem Stand weg auf 200 km/h zu beschleunigen. "Auch bei der Drehmomentdichte sind wir verglichen mit allen derzeit verfügbaren Motoren ganz vorne." Satte 5.200 Nm leitet das Aggregat an die Hinterräder des Porsche Taycan weiter, in dem der Prototyp montiert wurde.
Aber um die Daten des ab 2026 in Serie gehenden Antriebs einzuordnen, sollte man ihn mit dem aktuellen 800-Volt-System von ZF vergleichen. Wichtigster Unterschied: Der modular aufgebaute EVSys800 kommt mit weniger Bauteilen aus und vereinigt sämtliche Komponenten kompakt in einem Gehäuse. Das spart Platz, den man beispielsweise für die Batterie nutzen könnte, und Gewicht. Mit 74 Kilo wiegt er rund ein Drittel weniger als das aktuelle System.
Als wesentlicher Baustein wurde auch das Kühl- und Heizsystem im Antriebsstrang integriert. Kaum größer als ein dickes Taschenbuch kombiniert das zentrale Thermomanagementsystem eine Wärmepumpe mit einer kleinen Steuereinheit. Dass Heizung und Kühlung die Reichweite eines E-Autos eklatant verringern, merken Besitzer von E-Autos spätestens an eisigen Wintertagen. "Unser Ansatz ist, auch bei minus 10 Grad oder noch tieferen Temperaturen höhere Reichweiten darzustellen", sagt Scharrer. Im winterlichen Realbetrieb seien bis zu 30 Prozent mehr Kilometer drin.
Im Sommer, beim Schnellladen oder bei hoher Leistungsabgabe muss die Batterie dagegen schnell auf ihren Wohlfühlbereich zwischen 20 und 30 Grad gebracht werden. Ermöglicht wird dies durch ein neues Kühlkonzept sowie die Verwendung von Propangas anstatt dem üblichen giftigen Kältemittels R1234yf. Nur 200 ml statt 700 ml Kühlflüssigkeit braucht das zentrale Thermomanagement, das alle thermischen Vorgänge für Antrieb, Batterie und Fahrgastraum steuert. Außerdem führen jetzt Slots im E-Motor kühlendes Öl genau dorthin, wo die höchsten Temperaturen anfallen. "Die bessere Kühlperformance ist ein Grund für die hohe Dauerleistung des Motors", erklärt Scharrer.
E-Motor fix herunterkühlen geht nicht
Orchestriert werden sämtliche Antriebskomponenten über eine KI-gesteuerte Software, die das Auto mit der ZF-Cloud verbindet. Außerdem vernetzt sie die Fahrzeugsysteme miteinander und hält die Komponenten im thermisch optimalen Bereich. Bei geringer Geschwindigkeit und hohem Drehmomentbedarf beispielsweise muss der Motor stärker gekühlt werden als bei hoher Dauergeschwindigkeit, wenn er wenig Drehmoment an die Antriebsachse liefert. Nur: Den Motor ganz fix herunterkühlen geht nicht. Deshalb denkt das lernende System mit und berechnet anhand vom Fahrverhalten und GPS-Daten die optimale Temperatur vorausschauend. Beispielsweise, wenn der Fahrer an mehreren Tagen immer um die gleiche Zeit auf die gleiche kurze Strecke ins Büro gestartet ist. Bei der dritten, vierten Fahrt weiß die Software: aha, Kurzstrecke, also wenig Heizung nötig.
Auf der anderen Seite hilft die Software, Reichweiten exakter zu berechnen. Verknüpft mit dem Navigationssystem, lassen sich so lange Strecken samt Ladestopps genauer berechnen. Im Idealfall empfiehlt die Software dem Fahrer gleich die passende Geschwindigkeit, damit er ohne zwischenzuladen zum Wunschtermin am Ziel ankommt.