Von Thomas Strünkelnberg, dpa
Der Autogigant Volkswagen als Opfer eines einzigen Zulieferers? Das mutet wie eine verkehrte Welt an nach "Dieselgate", Abgastests mit Affen und Kartellvorwürfen. Aber im Streit mit der Prevent-Gruppe scheint so gut wie alles möglich – VW schlägt sich mit Boykotten und aufs Zehnfache erhöhten Preisforderungen herum.
Schon lange schwelt der Konflikt zwischen dem Wolfsburger Konzern und dem bosnischen Lieferanten. 2015 beginnt die Auseinandersetzung – in Brasilien. Ein Ende? Nicht absehbar, eine Schadenersatzklage gegen VW ist angedroht, und die wird laut Kreisen "umfangreich" und damit vermutlich milliardenschwer sein. Auch Daimler liegt mit der Zulieferergruppe der Unternehmerfamilie Hastor im Clinch.
Derzeit dreht sich der Streit mit VW vor allem um die Gießerei Neue Halberg Guss in Saarbrücken. Prevent hatte diese erst vor wenigen Monaten übernommen, und zwar über die zu Prevent gehörende Castanea Rubra Assets GmbH. Neues Unternehmen, altbekanntes Spiel?
Preis-Aufschläge bis zum Faktor zehn
Halberg Guss stellt Kurbelgehäuse, Zylinderköpfe und Kurbelwellen her – Teile, die Volkswagen offensichtlich so schnell nicht anderswo herbekommen kann. Das nutzt Prevent wie schon zuvor für hohe Preisforderungen – es geht um Aufschläge bis zum Faktor zehn auf das vereinbarte Niveau als "Auflaufpreise". Das geht aus einem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Brief von Volkswagen an Barbaros Arslan, Geschäftsführer der Neuen Halberg Guss, hervor. Demnach fordert das Unternehmen allein im zweiten Quartal 150 bis 180 Millionen Euro mehr. VW kommentiert den Brief nicht: "Wir äußern uns grundsätzlich nicht zu internen Unterlagen."
Zuvor hatte der Zulieferer dem Schreiben zufolge in Abrede gestellt, dass es überhaupt bindende Verträge mit Volkswagen gibt. Das weist der Autobauer entschieden zurück – es bestünden rechtsgültige, unbefristete und ungekündigte Lieferverträge, eine Befristung oder Kündigung gebe es nicht. VW bietet ein persönliches Gespräch an.
Nach Vermittlungen über das saarländische Wirtschaftsministerium kämen die Lieferungen "natürlich", sagt ein Prevent-Sprecher. Die Bandagen in dem Geschäft seien hart. Aber keine Prevent-Firma sei aufgefallen, weil Qualität oder Liefertreue nicht gestimmt hätten. Laut dem Brief beklagt VW aber auch einen Prevent-Eigentumsvorbehalt. Demnach liefert Halberg Guss zwar – unter Eigentumsvorbehalt stellt sich aber die Frage, ob VW die gelieferten Teile verarbeiten darf.
Aus Branchenkreisen verlautet, dass die Beziehungen von Prevent zu vielen anderen Herstellern wie General Motors, BMW oder der PSA-Gruppe funktionierten. Anders im Fall Volkswagen. Die Wolfsburger erklären dazu: "Volkswagen ist auf eine jederzeit planbare und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit seinen Lieferanten angewiesen." Daher würden bestehende Geschäftsbeziehungen regelmäßig überprüft.
Der Ärger beginnt in Brasilien
Was ist eigentlich passiert? Alles beginnt 2015 in Brasilien, als Prevent den Sitzbezug-Hersteller Keiper übernimmt. Es folgen Lieferstopp, Preiserhöhungen und schließlich die Kündigung durch VW. Der Ärger bringt Volkswagen 160 Tage Produktionsstopp, ein Minus von 140.000 Fahrzeugen und Zwangsurlaub für rund 18 .000 Beschäftigte ein.
2016 lässt ein Lieferstopp beim Prevent-Ableger ES Automobilguss und Car Trim wegen geplatzter Liefervereinbarungen Bänder in mehreren VW-Fabriken still stehen, so in der Golf-Produktion des Stammwerks Wolfsburg. Und das trotz einstweiliger Verfügung des Landgerichts Braunschweig, die zur Wiederaufnahme verpflichten sollte.
Für Volkswagen eine neue Erfahrung – bei rund 40.000 Lieferanten weltweit und einem Einkaufsvolumen von etwa 80 Milliarden Euro. Der Riesenkonzern spricht von einer Zusammenarbeit mit den Zulieferern "auf Augenhöhe". Der unfreiwillige Produktionsstopp in Deutschland soll das Unternehmen eine dreistellige Millionensumme gekostet haben.
Um den Schaden nicht noch zu vergrößern, unterschreibt VW zähneknirschend ein Eckpunkte-Papier zu neuen Lieferverträgen -– kündigt aber an, dieses anfechten zu wollen. Anfang April schließlich kündigt der Konzern fristlos die Lieferverträge mit ES Automobilguss, Car Trim und einer weiteren Prevent-Tochter. Prevent wiederum gibt in der Folge Kündigungen und Kurzarbeit bekannt – und droht mit Klage auf Schadenersatz. Um mit VW im Geschäft bleiben zu können, hat die Gruppe aber vorgesorgt. Nämlich mit dem Kauf der Neuen Halberg Guss.
Was treibt Prevent an? Es wäre Harakiri zu sagen, das Geschäftsmodell bestehe darin, verbrannte Erde zu hinterlassen, heißt es in der Branche. Es gibt Spekulationen, dass Prevent Grundstücke betroffener Firmen für Immobilien nutzen will. Aber auch das wird zurückgewiesen.
Jedoch: Ein klares Bekenntnis gebe es nicht, warnt Patrick Selzer von der IG Metall Saarbrücken. Die Beunruhigung in der Belegschaft der Neuen Halberg Guss sei groß. Und: Sollten VW und Daimler als Kunden wegbrechen, fehlten Produktionsmengen von 140.000 bis 150.000 Tonnen.
Insidern zufolge geht es Prevent darum, selbstbewusster gegenüber den großen Herstellern aufzutreten und das Spiel immer weiter gedrückter Preisspannen zugunsten günstiger Angebote für die Autobauer nicht mitzumachen – auch wenn dies dem Image und den Arbeitsplätzen schade.
Das ist aber inzwischen der Fall. Bei ES werden rund 160 Stellen gestrichen. Zwar verpflichtete das Landgericht Leipzig VW in einer einstweiligen Verfügung, 30 Prozent des früheren Umfangs der von der Prevent-Tochter gefertigten Bauteile abzunehmen – aber das ist eine Niederlage für den Zulieferer, denn dies entspricht weitgehend dem zuvor abgelehnten Vergleichsvorschlag von VW. Das Gericht bezeichnet einen Belieferungsanspruch des Zulieferers zudem als "zweifelhaft".
Viel Porzellan zerschlagen
Autoexperte Stefan Bratzel sagt: "Der Prevent-Gruppe bleibt nichts anderes übrig, als sich über Zukäufe ein Blockadepotenzial zu erarbeiten." Man habe aber viel Porzellan zerschlagen. Für seinen Kollegen Ferdinand Dudenhöffer ist Prevent in der Branche nach großen Fehlern und dem Versuch, mit den Herstellern zu zocken, "durch".