An verrückten Ideen mangelt es Mate Rimac nicht, das hat er mit vielen Menschen gemein. Doch während die allermeisten ihre Spinnereien irgendwann abschreiben, gehört der in Frankfurt aufgewachsene Kroate zu den wenigen, die sie auch umsetzen. So hat er mit dem Nevera den schnellsten elektrischen Sportwagen der Welt gebaut, hat sich als europäische Antwort auf Elon Musk zum elektrischen Entwicklungshelfer für Großkonzerne wie VW, Hyundai oder BMW aufgeschwungen und zuletzt die Spitze bei Bugatti übernommen und dort gerade den Veyron-Nachfolger Tourbillon eingeführt.
Doch wer glaubt, damit soll es dann mal genug sein, der kennt ihn nicht so gut wie seine Frau Katarina. Die hat ihm offenbar gleich angesehen, dass ihn und seine zwei Freunde Marko Pejković and Adriano Mudri noch eine weitere Idee umtreibt und es ganz sicher keine Ruhe gibt, bis das Trio nicht zumindest versucht hat, sie auch umzusetzen. Das war 2019 und jetzt wird es tatsächlich ernst.
Verne: Service-Plattform und Unternehmenskonzept
Fünf Jahre nach unzähligen Brainstormings, Studien und Testfahrten sowie mehrere 100 Investitions-Millionen später hat er jetzt in Zagreb das Tuch von Verne gezogen - einer Vision, die unser aller Mobilität von Grund auf verändern soll. Denn Verne ist nicht nur ein neues Auto, das autonom fährt. Sondern Verne ist eine Service-Plattform und ein Unternehmenskonzept, das die Vision vom Robotaxi endlich Wirklichkeit werden lassen soll.
Und anders als sein Idol und Namensgeber Jules Verne denkt Rimac dabei nicht in Jahrzehnten oder Jahrhunderten, sondern ausgesprochen kurzfristig: Schon 2026 soll die Robo-Flotte in Zagreb an den Start gehen, und kurz darauf in zehn anderen Städten, darunter vier in Deutschland, stellt Pejković in Aussicht, der die Verne-Geschäfte führt.
Rimac Verne
BildergalerieZentrales Element des Projekts ist ein Auto, das gegenwärtiger aussieht als gedacht: Ja, die Frontscheibe ist weit geneigt, es gibt Schiebetüren, die wegen der kurzen Überhänge nach vorne öffnen und im Dach ein kreisrundes Fenster, das an die Bullaugen von Jules Vernes U-Boot Nautilus erinnert. Aber weder ist der Verne eine Raumkapsel auf Rädern noch ein Toaster, wie Designer Mudri die autonomen Kleinbusse abschätzig nennt, die auf kleiner Fläche maximalen Raum für urbane Shuttle bieten wollen.
Vorbilder des visionären Trios waren eher Rolls Royce oder S-Klasse. Erstens, weil Verne-Kunden stilvoll ankommen sollen, selbst wenn sie nicht mehr zahlen müssen als für ein Taxi oder eine Fahrt mit einem Uber. Und zweitens, weil das Auto den gleichen Komfort und auf jeden Fall den gleichen Platz offerieren soll wie eine Luxuslimousine. Die zwei Sitze sind daher breit und bequem und lassen sich über den kleinen Touchscreen im Bedienfeld dazwischen auch in eine Liegeposition bringen.
Keine Pedale, kein Lenkrad
Dazu gibt es ein paar wenige Ablagen, einen pfiffigen, weil universellen Cupholder, eine Ambientebeleuchtung, Haltegriffe, die ihrem Namen endlich mal alle Ehre machen, und vor allem einen riesigen Bildschirm von 43 Zoll, der quer unter der mächtigen Frontscheibe montiert ist. Dazu noch eine Ablage fürs Gepäck vor der Nase, eine Reling für Taschen, Jacken oder als Beinauflage und hinter den Sitzen ein Separee fürs Gepäck.
Rimac Nevera
BildergalerieAber so üppig die Ausstattung ist, fehlt etwas ganz Entscheidendes: Der Verne hat weder Pedale noch ein Lenkrad - und fährt immer und ausschließlich autonom. Dafür schraubt Rimac ein halbes Dutzend Lidar-Sensoren und doppelt so viele Kameras an die Karosse und baut auf die Software von Mobileye, die ihn beim Autopiloten unterstützen. „Damit haben wir schon zigtausend Kilometer durch Zagreb abgespult und müssen immer seltener eingreifen“, freut sich CEO Pejković.
Den wahren Mehrwert schafft er aber mit einer App, die viel mehr macht als nur die Fahrten zu buchen, die Routen zu planen und den Trip abzurechnen. Denn mit voll umfassender Vernetzung macht sie jedes Verne-Vehikel zum ganz persönlichen Auto: „Wenn sich die Schiebetüren öffnen, läuft deine Musik im Auto, es herrscht dein bevorzugtes Klima, es riecht so, wie du es willst, und niemand quatscht dich blöd von der Seite an“, skizziert Pejković die Annehmlichkeiten der Fahrt. Außerdem ist natürlich das Smartphone schon automatisch gekoppelt, die persönlichen Accounts von Netflix, Spotify & Co integriert und wer nicht streamen will, sondern spielen, der kann sogar den Controller seiner Playstation mit ins Auto bringen.
Oder man wechselt auf dem Median als Zentralem Bedienelement in der Mittelkonsole – nach dem Anschnallen und dem Start-Kommando natürlich – in den Oasis-Modus, lässt den Sessel in eine Liegeposition surren und döst mit bis zu 130 Sachen seinem Ziel entgegen. Dafür bekommt jedes Auto einen E-Motor mit 155 kW/210 PS und einen kostengünstigen, aber langlebigen Lithium-Eisen-Phosphat-Akku, der mit 60 kWh für rund 240 Kilometer reichen soll.
"Mothership": Zenrale des Betriebs
Dritter Baustein der Verne Vision ist das "Mothership", die jeweilige Zentrale des Betriebs, die mal coole In-Location im Zentrum oder mal funktional in einem Industriegebiet am Stadtrand versteckt sein kann. Dort werden die Autos geladen und vor allem mindestens ein Mal am Tag gereinigt. Und weil der Innenraum modular aufgebaut ist, können bei jedem Umlauf, wenn nötig, in wenigen Minuten alle Konsolen oder Bezüge ausgetauscht werden, bevor sie abgegriffen sind.
Ein persönliches Umfeld in einem fremden Auto, absolute Privatsphäre für ungestörte Entspannung, Geschäfte oder Zweisamkeit und obendrein immer ein pieksauberes Fahrzeug - wer einmal in Zagreb Taxi gefahren ist, der zweifelt nicht mehr an Erfolg von Verne. Und auch wenn Ausnahmen die Regel bestätigen, wird es im Rest der Welt kaum anders sein. Ob Pejković, Mudri und Mastermind Rimac damit Geld verdienen werden, wenn die einzelnen Autos mal 600.000 Kilometer abgespult haben, ob sie bis zum Ende der Dekade tatsächlich schon die ersten 10.000 Verne-Vehikel in der neuen Fabrik bei Zagreb gebaut haben, ob die Städte davon profitieren, weil zumindest ein paar Zweit- oder Drittwagen stehen bleiben oder im besten Fall gar nicht gekauft werden, das alles muss sich erst noch zeigen.
Aber für die Kunden ist Verne bei der ersten Fahrt ein Gewinn, verspricht Pejković: "Wir wollen die Menschen nicht nur sicher und komfortabel von A nach B bringen, sondern wir wollen ihnen verlorene Zeit zurückgeben. Was bislang nutzlose Wegezeit war, wird dann wertvolle Zeit zum Ausruhen, Arbeiten oder Entspannen. Und zwar in einer ungestörten Privatsphäre."