Irgendwann Mitte 2018 hatte Felipe Weber-Sainz genug. Obwohl der ausgebildete Kfz-Mechatroniker Vollzeit in einem VW-Markenbetrieb im spanischen Barcelona arbeitete, reichte das trotz so mancher Überstunde kaum aus, um davon halbwegs komfortabel über die Runden zu kommen. "Ich war mit meinem Lohn und den Arbeitszeiten unzufrieden", sagt Weber-Sainz. Kein Wunder: Während die Lebenshaltungskosten in Metropolen wie Barcelona mit denen in deutschen Großstädten ohne Weiteres mithalten können, gibt es bei den Löhnen ein deutliches Gefälle. Laut OECD beträgt das durchschnittliche Netto-Haushaltseinkommen in Spanien pro Kopf jährlich rund 21.500 Euro, während es in Deutschland bei rund 30.800 Euro liegt. Auf der Suche nach besseren Verdienstmöglichkeiten begann Weber-Sainz, sich daher online umzusehen.
Zur gleichen Zeit hatte auch Daniel Kargl genug. Der Serviceleiter der Autohaus Weeber GmbH & Co. KG am Standort Leonberg bei Stuttgart hatte seit geraumer Zeit Probleme, seine zahlreichen offenen Stellen zu besetzen. Auch für die vorhandenen Ausbildungsplätze gab es regelmäßig nicht ausreichend Bewerber. Wenn er dann doch einmal neue Werkstattmitarbeiter gefunden hatte, blieben viele nicht lange, weil Hersteller wie Daimler und Porsche oder Zulieferer wie Bosch sie sofort abwerben. "Mit den Konditionen der Hersteller können wir im Handel kaum mithalten", sagt Kargl verdrossen.
Um dem Fachkräfte-Wettbewerb hierzulande zu entgehen, entschlossen sich Standortleiter Markus Reichert und Daniel Kargl deshalb 2018, eine auf den spanischen Arbeitsmarkt spezialisierte (deutsche) Agentur mit der Suche nach Personal zu beauftragen. Dort kreuzten sich schon bald die Wege mit Weber-Sainz, der auf eine Stellenanzeige der Agentur stieß, sich kurz entschlossen bewarb - und prompt eine Zusage aus Leonberg erhielt. Seit Anfang Januar ist er nun fest als Mechatroniker angestellt und arbeitet in vollem Umfang mit.
Kommunikation mit Google Translate
Der Weg dahin war allerdings nicht einfach: Weber-Sainz sprach kein Wort Deutsch und im Betrieb niemand Spanisch. "Anfangs konnte ich mir nicht vorstellen, dass das funktioniert", bekennt Werkstattleiter Sascha Gusbeth. In den ersten Wochen verständigten sich die neuen Kollegen zunächst auf Englisch und mithilfe von Tablets, auf denen die Google- Translate-App installiert war. Dank eines Deutschkurses, den das Autohaus bezahlt, sowie die tägliche Praxis hat sich das Sprach-Problem aber mittlerweile so gut wie erledigt. "Das wurde mit der Zeit besser. Ich lerne jeden Tag mindestens fünf neue Wörter", sagt Weber-Sainz. Das bestätigt auch Gusbeth: "Wir konnten sehr schnell auf Deutsch umsteigen." Dazu trug auch bei, dass es menschlich offenbar gut klappt: "Das Team hat Felipe toll integriert und von Beginn an auch nach Feierabend und am Wochenende mit ihm etwas unternommen", lobt Kargl.
Gemeinsame Sprache: VW
Ein wichtiger Faktor für die erfolgreiche Integration war daneben die Marke VW. Da nicht nur die Technik überall gleich ist, sondern auch Reparaturleitfäden, Wartungslisten und viele IT-Anwendungen konzernweit identisch sind, konnte das Autohaus diese Weber-Sainz an seinem Arbeits-Laptop auf Spanisch bereitstellen. Darüber hinaus laufen viele Prozesse standardisiert ab und mussten daher ebenfalls nicht umständlich erklärt werden. "VW ist unsere gemeinsame Sprache", sagt Standortleiter Reichert.
Neben der Rekrutierung von Weber-Sainz trägt die Zusammenarbeit mit der Personalvermittlungs-Agentur aber noch weitere Früchte. Weil das Autohaus Weeber mit ihrer Arbeit zufrieden war, schlug die Agentur vor, fortan regelmäßig spanische Azubis für ein Praktikum in Deutschland zu vermitteln. Möglich macht das die Struktur der spanischen Berufsausbildung. Diese ist anders als in Deutschland nicht abwechselnd in einen theoretischen Teil an der Berufsschule und einen praktischen Teil im Betrieb gegliedert. In Spanien lernen die Auszubildenden ihr Handwerk stattdessen zwei Jahre lang ausschließlich theoretisch und auf eigene Kosten. Erst dann folgt ein unbezahltes vier- bis sechsmonatiges Praktikum in einem Fachbetrieb und danach wiederum die Abschlussprüfung. Wo die Schüler das Praktikum absolvieren, steht ihnen dabei offen.
Vom Praktikanten zum Mitarbeiter
Für das Autohaus eine Win-win-Situation: "Wir haben dadurch nicht nur unentgeltlich fast fertige Fachkräfte im Haus, sondern lernen auch regelmäßig potenzielle neue Mitarbeiter kennen. Etwas Besseres kann uns fast nicht passieren", sagt Reichert. Betreut und angeleitet werden die Praktikanten dabei von Weber-Sainz. "Felipe kennt die Prozesse und kann sie in der Muttersprache erklären", erklärt Kargl. Obwohl die Praktikanten ihre Ausbildung fast abgeschlossen haben, können sie allerdings noch nicht voll im Betrieb mitarbeiten. "In der Theorie können sie zwar alles, aber in der Praxis nicht", sagt Kargl. Das sei der große Nachteil an der spanischen Berufsausbildung. In den ersten sechs Wochen beschränkt sich die Arbeit der Praktikanten daher auf einfache Arbeiten wie den Reifenservice oder den Tausch von Verschleißteilen. Erst danach kommen langsam komplexere Aufgaben hinzu.
Bei den Praktikanten kommen die Arbeit im Autohaus Weeber und die Aussicht auf einen Job in Deutschland gut an: Von den ersten vier Praktikanten, die bis Ende Oktober im Betrieb waren, konnten Reichert und Kargl zwei rekrutieren. Nachdem sie ihre Abschlussprüfung bestanden haben, werden sie zum Jahreswechsel ihre neue Stelle in Deutschland antreten. Ihr künftiger Kollege hat diese Entscheidung bislang nicht bereut. "Ich verdiene jetzt mehr als mein Chef in Spanien", sagt Weber-Sainz. Und der habe täglich zwölf Stunden gearbeitet. Rund 40 Prozent beträgt das Lohn-Plus im Vergleich zum alten Job. Einzig die Trennung von der Familie sei manchmal hart. Aber auch das wird nun ein wenig leichter: Seit Kurzem lebt auch Weber-Sainz' Lebensgefährtin in Deutschland.
Agentur: Kosten & Services
Die Kosten für die Anwerbung beliefen sich auf 1,5 Bruttomonatslöhne. Für die Vermittlung der Praktikanten entstehen dem Autohaus dagegen keine Kosten. Die Bezahlung erfolgt hier durch die Schule, die mit der Agentur für die Vermittlung der Auslandspraktika ihrer Schüler kooperiert. Neben der reinen Vermittlung hilft die Agentur Fachkräften und Praktikanten daneben bei der Wohnungssuche, bürokratischen Fragen und der sozialen Integration jenseits des Arbeitsplatzes. Die Kosten für den Sprachkurs und die Tablets mit Google Translate trägt das Autohaus.
- Ausgabe 03/2020 S.46 (299.4 KB, PDF)