Noch ist es ungewiss, wie das Wettrennen um die Fahrzeugdaten ausgeht. Sowohl Fahrzeughersteller als auch die Unternehmen des freien Servicemarktes haben ein fundamentales Interesse an den technischen Daten, die im Fahrzeug während der Fahrt permanent generiert werden. Die Sensorik im Fahrzeug sammelt eine Vielzahl von Daten über den Fahrzeugzustand, verzeichnet Fehlercodes und liefert Profile zum Fahrverhalten des Kunden. In neueren Serienfahrzeugen mit SIM-Karte werden diese Daten gesammelt und per Schnittstelle direkt an den Hersteller gesendet (Connected Car). Für ältere Fahrzeuge gibt es mittlerweile Nachrüstlösungen für die Datenanbindung - entweder vom Hersteller selbst oder von Drittanbietern. Sogar Versicherungsunternehmen bieten heute den Telematik-Dongle für die OBD-Schnittstelle, um Informationen über das Fahrverhalten zu bekommen. Im Tausch erhält der Kunde einen günstigeren Tarif.
Das Beispiel Versicherung zeigt: Im Fahrzeug erzeugte Daten sind ein wertvoller Rohstoff für neue Geschäftsmodelle, die weit über den Fahrzeugservice hinausgehen. Fahrzeug- und Fahrerdaten gelten in der Branche unbestritten als das "Gold der Zukunft".
Dass Fahrer bzw. Fahrzeugbesitzer durchaus Interesse an den Daten haben, ergab eine Umfrage unter 500 Fahrzeugnutzern (Privat- und Geschäftskunden) durch asp AUTO SERVICE PRAXIS und der Schwesterzeitschrift AUTOHAUS im Rahmen einer Studie gemeinsam mit dem IT-Beratungsunternehmen NTT Data.
Autofahrer wollen Daten nutzen
57 Prozent der befragten Autofahrer finden Telematikdaten interessant. Sie möchten Fahrzeugdaten nutzen, um selbstständig den Reparaturbedarf einzuschätzen oder um zu entscheiden, ob eine Beratungsleistung durch den Serviceberater aus ihrer Sicht überhaupt notwendig ist. 45 Prozent der befragten Kunden (gemittelt über Privat- und Geschäftskunden) würden gerne Fahrzeugdaten zu diesem Zweck nutzen. 35 Prozent sehen einen weiteren Vorteil darin, ihre Reparaturkosten bereits im Vorfeld abschätzen zu können. 26 Prozent der Kunden erhoffen sich durch Telematikdaten eine Verkürzung der Gespräche mit dem Serviceberater.
Besserer Kundenzugang
In jedem Fall ist der Zugang zum Kunden über eine App auf dessen persönlichem Smartphone ein starker Marketinghebel. Das haben auch die Fahrzeughersteller erkannt ( siehe Beitrag Seite 20). Mancher OEM bietet mittlerweile auch Nachrüstlösungen für ältere Fahrzeuge an. Mit einer Telematik-Nachrüstlösung für die OBD-2-Schnittstelle kann der Autofahrer beispielsweise aktuelle Betriebsdaten des Fahrzeugs einsehen, eine Fahrtenbuchfunktion aktivieren oder Wartungsinformationen an den Hersteller übermitteln, geparkte Fahrzeuge per GPS wiederfinden oder die Parkdauer überwachen, bei Unfall oder Panne einen Notruf absetzen, bei dem gleichzeitig relevante Fahrzeugdaten übermittelt werden, und natürlich einen Händler suchen und kontaktieren. Der weiß aufgrund der übermittelten Daten, noch bevor die Anzeige im Fahrzeug den Fahrer aufmerksam macht, wann der nächste Service ansteht, wie groß der Wartungsaufwand ist und welche Ersatzteile gebraucht werden. Termin- und Ersatzwagenvorschläge gehen dann direkt an den Kunden.
Auch auf dem freien Markt sind solche Adapterlösungen zur Nachrüstung erhältlich ( siehe Beitrag Seite 17). Service-Lösungen wie Drivelog Connect von Bosch, Texa CARe von Texa, PACE von Pace Telematics oder der Bluetooth-Dongle von Continental bieten ein ähnliches Spektrum wie die OEM-Lösungen. Die Auto-Diagnose von Drivelog Connect übersetzt beispielsweise Fehlercodes auf dem Smartphone in für Laien verständliche Sprache. Falls nötig, führt Drivelog gleich in die nächste Werkstatt.
OBD-Schnittstelle bleibt
Ende 2017 haben sich in Brüssel Ministerrat, EU-Kommission und Parlament über die Reform der Typgenehmigung für Kraftfahrzeuge geeinigt. Im Rahmen der Regelungen wird ab 2020 auch der Zugang zu Daten über die OBD-Schnittstelle im Fahrzeug geregelt. "Die OBD-Schnittstelle bildet unverändert eine wichtige Grundlage für Diagnose-, Wartungs- und Reparaturarbeiten. Und es ist erfreulich, dass in der Verordnung klargestellt wird, dass der Zugang über die OBD-Schnittstelle auch während der Fahrt gewährleistet werden muss", jubelt der Gesamtverband Autoteile-Handel (GVA) in einer Mitteilung. Eine "legislative Ohrfeige" für die Fahrzeughersteller sieht GVA-Präsident Hartmut Röhl in der Entscheidung.
Wichtige Botschaft: Der Zugang zu den OBD-Daten muss diskriminierungsfrei erfolgen. Freie Betriebe müssen die gleichen Daten auslesen können wie Herstellerbetriebe. Damit ist eine wesentliche Befürchtung des freien Reparaturmarktes ausgeräumt, dass die Fahrzeughersteller die OBD-2-Schnittstelle langfristig austrocknen könnten. Noch Anfang Dezember 2017 veröffentlichte der Bundesverband Fuhrparkmanagement (BVF) zusammen mit dem Fuhrparkverband Austria eine Pressemitteilung, in der eben vor einem solchen Szenario gewarnt wurde. Man bezog sich unter anderem auf Untersuchungen des Europäischen Verbands der Werkstattausrüster (EGEA), die zeigten, dass Fahrzeughersteller zum Teil bei neuen Baureihen die Kommunikation zwischen OBD-Stecker und Multimarkendiagnosegeräten nur noch eingeschränkt ermöglichten.
Nur ein Etappensieg
Der Europäische Verband EGEA begrüßte seinerseits die jüngste Einigung in Brüssel und fordert, dass die EU-Kommission nun darauf achten müsse, dass die neuen Regelungen auch im Zeitalter des "Connected Car" eingehalten werden müssten. "Die EU-Kommission muss nun sicherstellen, dass es auch einen Zugang zu den im Fahrzeug erzeugten Daten gibt, um das Marktpotenzial zu heben, das auf Basis der Digitalisierung möglich ist", heißt es in der Mitteilung. Im Klartext: Der Zugang zu den OBD-Daten ist ein Etappensieg. Entscheidend für den freien Markt ist künftig die Teilhabe an dem reichen Datenschatz, der im Auto erzeugt wird und den Fahrzeughersteller heute schon abrufen und verwerten.
Direkter Datenzugang gefordert
Der GVA plädiert seit Jahren für einen den Herstellern gleichgestellten Zugang zur Telematik- und Kundenschnittstelle im Fahrzeug. Das seitens der Fahrzeughersteller vorgeschlagene Modell des "Extended Vehicle", bei dem die Daten zunächst über die Server der Hersteller und dann erst an die unabhängigen Anbieter gelangen, lehnt der GVA ab: "Hier würden sich Unternehmen des freien Marktes in die Abhängigkeit der Fahrzeughersteller begeben", befürchtet Röhl. Stattdessen macht sich der Verband ebenso wie der europäische Mutterverband FIGIEFA für den direkten Datenzugang am Ort der Datenentstehung stark - direkt im Fahrzeug über gesicherte Schnittstellen.
Wie groß das Interesse an Datenlösungen grundsätzlich auch im Teilehandel ist, zeigen die Aktivitäten der großen Teilehandelskooperationen, die über ihre Werkstattkonzepte den direkten Draht zu den Kfz-Betrieben haben. Handelsriesen wie Carat, Coparts, ATR oder Wessels + Müller positionieren sich derzeit und arbeiten entweder selbst an Lösungen, die sie ihren Werkstatt-Kunden zur Verfügung stellen können, oder suchen geeignete Beteiligungsmöglichkeiten. Der Marktplatz Caruso ist hier eine der Optionen ( siehe Beitrag S. 17).
Kurzfassung
Die Wettbewerbsfähigkeit des freien Reparaturmarktes entscheidet sich an der Frage des gleichberechtigten Datenzugangs. Eine umfassende Regelung ist Brüssel noch schuldig. Immerhin wurde jetzt der Zugang zu OBD-Daten geregelt.
Nur 11 von 7.000 Datensätzen
Robert Stevens, Director of Garage Networks and Technology, Groupauto InternationalDie internationale Teilehandelsorganisation Groupauto International (GAUI), zu der auch die deutsche Handelskooperation Coparts gehört, hat den Start eines neuen Telematikangebots angekündigt. Der Stecker G-Connect erlaubt den Partnerwerkstätten den Einstieg in das zukunftsträchtige Geschäft mit Fahrzeugdaten. Die Applikation "Groupauto Network Management" (GNM) ermöglicht den Partner-Werkstätten den Zugriff auf Fahrzeugdaten, unter anderem Diagnose und Fehlermeldungen. Wir sprachen mit Robert Stevens, der das Projekt bei der GAUI betreut, über den Stand des Projekts und die Herausforderungen beim gleichberechtigten Datenzugriff für den freien Markt.
asp: Welche Idee steckt hinter GNM?
R. Stevens: Heute müssen Werkstätten viele unterschiedliche Quellen nutzen, um beispielsweise an technische Informationen zu kommen, um Teile zu identifizieren oder um den Werkstattalltag zu organisieren. Der Teilebezug läuft über den lokalen Händler, die Trainings über einen Schulungsanbieter, Marketingmaßnahmen über eine externe Agentur. Die Idee hinter unserer Plattform ist es, den Zugang zu Informationen und Services auf einer einzigen Plattform zu vereinen. Die verschiedenen Stakeholder der Kfz-Branche werden zudem über die Plattform vernetzt.
asp: Wie profitieren Werkstätten konkret?
R. Stevens: Nehmen Sie folgendes Beispiel. Wenn ein Fahrzeug zur Inspektion muss, sendet das Fahrzeug die Information über den G-Connect-Stecker an die Plattform. Die Werkstatt hat direkt Zugriff auf diese Information und kann auf Basis der vorliegenden Daten einen Termin vereinbaren und gleich die benötigten Teile mit dazu bestellen. Die Verfügbarkeit der Teile kann ebenso wie die Bestellung über GNM erfolgen. Viele Prozesse werden durch die Vernetzung deutlich effizienter.
asp: Wer kann teilnehmen?
R. Stevens: Das Angebot richtet sich an Werkstätten, an Teilehändler, Teilehersteller, Schulungsanbieter oder externe Serviceanbieter im Groupauto Servicenetzwerk. Eine wichtige Zielgruppe für GNM ist natürlich der Flottenmarkt, hier ist der Kundennutzen aufgrund der Bündelung von Leistungen besonders hoch.
asp: Wie profitieren Flotten im Service?
R. Stevens: Neben den Privatkunden werden die Flottenkunden für Werkstätten immer wichtiger. Diese Kundengruppe hat ganz andere Anforderungen an Servicebetriebe. Über die Plattform erhalten Flottenkunden Kontakt zu Werkstätten, welche genau die Leistungen erfüllen können, die gefordert sind. Wir bringen also die Anforderungen eines bestehenden Servicevertrages mit dem Angebot im Markt zusammen. Die Frage der Service-Standards ist auch bei der Internationalisierung von Serviceverträgen über Ländergrenzen hinweg für Flotten größerer Unternehmen wichtig.
asp: In welchen Ländern ist GNM bereits aktiv?
R. Stevens: Das System wurde zuerst mit Groupauto Spanien erprobt und weiterentwickelt und ist mittlerweile in acht Ländern aktiv. Es soll jetzt in allen Märkten der Groupauto International ausgerollt werden. Einige Länder übernehmen das komplette System GNM, das zahlreiche Komponenten wie ein komplettes ERP-System, einen Teilekatalog oder eine Terminverwaltung umfasst. Andere Länder, die bereits über sehr gute Backoffice-Systeme verfügen, haben auch die Möglichkeit, lediglich unser modulares Produkt GNM International zu übernehmen und die bestehenden Lösungen damit zu ergänzen.
asp: Welche Kosten sind für die Werkstätten damit verbunden?
R. Stevens: Das regeln die Regionen selbst. In der Regel ist das Bestandteil der Partnerverträge mit den Werkstätten. Die Implementierung dauert zwischen einem Monat und sechs Monaten - je nachdem, was bereits vorhanden ist. Es handelt sich um ein cloudbasiertes System.
asp: Was ist der Unterschied zwischen den billigen Bluetooth Devices und der G-Connect-Hardware?
R. Stevens: Es gibt zwei wichtige Unterschiede: Welche Informationen werden abgerufen und wie werden die Daten aus dem Fahrzeug heraus gesendet? Der OBD-Port liefert einen standardisierten Satz an Codes, die mit jedem Stecker ausgelesen werden können. Um tiefer gehende Daten zu erhalten, muss man etwas mehr Aufwand betreiben. Denn diese Daten liegen als proprietärer Code vor, den der OEM festlegt. Man benötigt also Zugriff auf eine Datenbank, um die Daten überhaupt verstehen zu können. Im Unterschied zu OBD-Daten, die auf denselben Pins mit der gleichen Spannung geliefert werden, ist zur Abfrage dieser Daten die Kenntnis über die herstellerspezifische Pinbelegung nötig. Unser Device ist entsprechend vorbereitet, d.h. wenn wir es in einen bestimmten Fahrzeugtyp stecken, wissen wir genau, um welche Version des Fahrzeuges es sich handelt. Unser Stecker kann sich also mit dem Fahrzeug in dessen Sprache unterhalten. Zudem konfigurieren wir die Pins in der passenden Weise. Auf einer dritten Ebene sind wir sogar in der Lage, Daten aus dem elektronischen System des Fahrzeugs abzufragen. Damit können wir einen weitaus größeren Datenpool erschließen, beispielsweise bestimmte Sensordaten. Das ist wichtig, um beispielsweise variable Wartungsintervalle zu erkennen.
asp: ... und wo ist der Unterschied beim Versenden der Daten?
R. Stevens: Der zweite wichtige Unterschied ist die Art und Weise, wie die Daten aus dem Fahrzeug gesendet werden. Die meisten Devices nutzen die Bluetooth-Schnittstelle, die das Smartphone des Fahrers bietet. Das Problem dabei: Wenn das Smartphone nicht im Fahrzeug ist, funktioniert das System nicht. Das zweite Problem: Wenn das Telefon kein Signal hat, gehen Daten verloren, denn es gibt keinen Zwischenspeicher. Unser Gerät verfügt dagegen über eine eigene SIM-Karte, die auch dann Daten sendet, wenn der Fahrer sein Smartphone nicht dabei hat.
asp: Wie steht es um die Sicherheit?
R. Stevens: Smartphone-Nutzer installieren alle möglichen Apps auf ihren Geräten und damit häufig auch Malware. Wenn ein solches infiziertes Smartphone mit dem Fahrzeug verbunden wird, könnte das theoretisch ein Einfallstor für Manipulationen sein. Das wollen wir ausschließen.
asp: Was ist von dem Modell "Extended Vehicle" zu halten, das die Fahrzeughersteller favorisieren?
R. Stevens: Wir haben analysiert, wie viele Daten aus dem Extended Vehicle System von BMW kommen - der einzige Hersteller, der uns bisher den Zugang erlaubt. Wir haben herausgefunden, dass aus einem ganz normalen BMW etwa 7000 Datensätze an den OEM gesendet werden. Über den Extended Vehicle-Server werden dagegen nur 77 Informationsbeschreibungen geliefert. Das heißt, es handelt sich um Text, eine Beschreibung von Daten, mit der man keine Kalkulationen anstellen kann. Und nur 11 Datensätze sind relevant für Reparatur und Maintenance. Hier ist jetzt ganz klar der Gesetzgeber in Brüssel gefragt, mit der jetzigen Praxis wird eine Monopolstellung der Fahrzeughersteller begünstigt und die Wahlfreiheit der Verbraucher erheblich eingeschränkt.
asp: Wie ist die Haltung der EU-Kommission?
R. Stevens: Eine aktuelle von der EU-Kommission finanzierte Studie kommt zu dem Schluss, dass ein direkter Datenzugang im Fahrzeug der einzige Weg ist, um einen gleichberechtigten Zugang für den IAM zu schaffen. Um die Bedeutung für den Markt zu betonen, empfehlen die Autoren, dass die von den OEM vorgeschobenen hohen Entwicklungskosten für die Etablierung dieses Zugangs keine Rolle spielen dürfen. Der Nutzen, den der gleichberechtigte Zugang für den Markt und die Verbraucher bringt, sei sehr viel größer als mögliche Kosten.
- Ausgabe 01/2018 Seite 14 (214.3 KB, PDF)