Von Holger Holzer/SP-X
Im Kampf um das letzte Gramm CO2-Einsparung hat Volkswagen bei den Verbrauchsgutachten zahlreicher Modelle betrogen. Dabei gewährt die NEFZ-Prüfnorm den Autohersteller auch so schon jede Menge Spielraum zur Optimierung der Emissionswerte. Und der wird zunehmend stärker ausgenutzt.
Dass Normverbrauch und Alltagsdurst eines Pkw wenig miteinander zu tun haben, weiß jeder Autofahrer. Doch die Kluft nimmt seit Jahren zu. Lag die Differenz zwischen Herstellerangaben und Realverbrauch 2001 in Deutschland noch bei rund sieben Prozent, sind es mittlerweile 31 Prozent, wie die europäische Umweltorganisation Transport & Environment (T&E) 2014 ermittelt hat. Die Basisdaten stammten dabei von der Internetseite spritsparmonitor.de, auf der Autofahrer die von ihren Pkw im Alltag erreichten Verbrauchswerte veröffentlichen können.
Komfort braucht Strom
Die wachsende Differenz zwischen Theorie und Praxis hat mehrere Ursachen. Zum einen die immer umfangreichere Ausstattung von Neuwagen. Optionale Komfort- und verbrauchen Strom und erhöhen das Gewicht, werden bei den offiziellen NEFZ-Fahrzyklus-Tests aber nicht berücksichtigt. Dort wird in der Regel das mager ausgerüstete Basismodell geprüft.
Ein weiterer Grund liegt in der realitätsfernen Ausgestaltung der Prüfstand-Tests, die zu einer falschen Gewichtung von Fahrzeug-Eigenschaften führt. So hat etwa das Start-Stopp-System einen überproportionalen Effekt, da das Auto rund 20 Prozent der Testdauer steht. Im Alltag ist das System in der Regel deutlich weniger im Einsatz. Wie vergleichsweise gering sein Spritspar-Effekt ist, kann jeder Besitzer eines Bordcomputers überprüfen: Im Leerlauf liegt der Verbrauch des Motors bei 0,5 bis 1,0 Liter – pro Stunde. Gleichzeitig spielen aerodynamische Aspekte für den Normverbrauchswert kaum eine Rolle. Diese geringe Berücksichtigung des Windwiderstands etwa auch den Boom der SUV befördert, indem diese auf dem Papier einen akzeptablen Verbrauch attestiert bekamen. Doch in der Realität benötigen die fahrenden Schrankwände vor allem im schnellen deutschen Autobahnverkehr zwangsläufig viel mehr Sprit als angegeben.
Besserung könnte in dieser Hinsicht der für 2017 vorgesehene neue WLTP-Prüfzyklus bringen, der sich stärker an dem realen Geschehen auf der Straße orientieren soll. Unter anderem wird länger und schneller gefahren, außerdem soll das Fahrzeuggewicht stärker berücksichtigt werden.
Kreative Tricks
Einen großen Anteil an den zunehmen unrealistischen Normwerten ist jedoch auch auf kreative Tricks der Autohersteller bei der Verbrauchsberechnung zurückzuführen. Sie ziehen unter dem Druck neue CO2- und Schadstoffgrenzwerte alle Register, um den Laborwert zu senken. Dabei gibt es zwei grundsätzliche Arten, zu tricksen. Zum einen bei der Realfahrt auf offener Strecke, zum anderen bei der anschließenden Laborprüfung durch ein nominell unabhängiges Institut. Die Fahrt im Freien dient vor allem dazu, Roll- und Luftwiderstand zu ermitteln. Diese werden später benötigt, um den Rollenprüfstand im Labor entsprechend zu programmieren.
Um möglichst niedrige Werte zu erreichen wählen die Tester einen Ort mit möglichst hohen Temperaturen und niedrigem Luftdruck. Gewitzte Tester kleben zudem sämtliche Karosseriefugen mit Klebeband ab, um die Aerodynamik zu verbessern. Auch Fahrwerk und Bremsen werden beim Testkandidaten für möglichst geringen Verbrauch optimiert – Fahrkomfort und Sicherheit spielen bei dem getesteten Vorserienmodell eine geringere Rolle als beim fertigen Auto, das anschließend in den Verkauf geht.
Raus mit überschüssigen Kilos
Vor Fahrtantritt wird jedes überflüssige Gramm Gewicht im Fahrzeug entfernt und die ebenfalls eigens montierten Leichtlaufreifen werden stärker als empfohlen aufgepumpt, um den Rollwiderstand zu verringern. Volkswagen hat letzteres nach Medienberichten offenbar im Übermaß gemacht und dabei die eh schon laxen Regeln bis zum Bruch gebeugt. So wurden die Pneus von gewöhnlichen Klein- und Kompaktwagen mit mehr als 3,5 bar befüllt – so viel braucht sonst nicht einmal eine vollbesetzte und mit schwerem Gepäck beladene Zwölfzylinder-Luxuslimousine.
Zweites Feld für Tricks ist der Labortest. Zu den beliebtesten Möglichkeiten zählt das Abkoppeln des spritfressenden Stromgenerators vom Motor. Im Alltag würde das zu einem Entladen der Batterie und irgendwann zum Triebwerksstopp führen. Für die kurze Fahrt auf dem Prüfstand reicht der Vorrat des Akkus aber aus. Auch ein Eingriff in die Motorsteuerung, um einen besonders sparsamen Betrieb zu erzwingen, ist in Grenzen legal. Genauso der Einsatz von nicht serienmäßigen Leichtlaufölen – Volkswagen hat hier offenbar sogar Diesel beigemischt und Motorschäden riskiert - oder das Manipulieren des Bremssattels. Zudem spielt auch hier die Umgebungstemperatur eine Rolle. Beim Test wird sie natürlich optimiert. Nicht zuletzt sind Messtoleranzen erlaubt, die sich kreativ nutzen lassen. Der Hersteller kann beispielsweise den gemessenen CO2-Wert pauschal um vier Prozent kürzen, bevor er ihn der Zulassungsbehörde meldet.
Alle diese Eingriffe haben für sich genommen nur geringen Einfluss. Dadurch, dass die Realfahrt-Ergebnisse in den Laborversuch einfließen und dessen Daten mit einem komplizierten Algorithmus auf den Normverbrauch hochgerechnet werden, können aber auch kleine Spareffekte das Endergebnis stark beeinflussen. Insgesamt führen die Tricks laut T&E zu einem um 19 bis 28 Prozent verbesserten Wert beim CO2-Ausstoß im Vergleich zum identischen Test ohne kreative Optimierung.
Ein Leser