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Hi-Fi im Auto: Hören statt Fahren

22.07.2022 11:13 Uhr | Lesezeit: 6 min
Hi-Fi im Auto: Hören statt Fahren
Der Fahrer hört seine Navi-Ansage, der Beifahrer skypt - und jeder hört nur seinen Ton. Solche getrennten Audio-Kanäle sollen bald in den Autos verstärkt Einzug halten.
© Foto: Mercedes

Immer höhere Wattzahlen, immer fettere Subwoofer, immer mehr Lautsprecher? Die Zukunft des Klangs im Auto sieht anders aus als die bisherige Materialorgie. Zulieferer, Hersteller und Software-Schmieden arbeiten an ganz neuen Klangdimensionen – sie sind aber auch dazu gezwungen.

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Greg Sikora hasst Kleingeld. Bonbon-Papier geht ihm auf die Nerven. Oder auch Taschentücherpackungen. Klimpern, Knistern, Rascheln von irgendwo aus den Tiefen der Autoablagen: Die Geräusche solcher Cent-Artikel können seine Arbeit von vielen Wochen entwerten. Denn "sie zerstören für mich den makellosen Klang, an dem wir endlos getüftelt haben." Ein Albtraum für den Chef des Acoustic Systems Engineering Department des weltgrößten Auto-Hi-Fi-Herstellers Harman.

Sikora steht in den Hallen des Münchner Car Lab von Harman, zu dem Marken wie JBL, Infinity, Bowers & Wilkins, Bang & Olufsen oder Marck Levinson gehören. Und vor ihm steht gerade ein Prototyp eines neuen Aston Martin, in dem seine Techniker die ideale Position für die tiefen Bässe aus dem Subwoofer suchen. Kein einfaches Unterfangen in der Enge eines Sportwagens. Der ist schließlich ohnehin vollgepumpt mit Technik und Motorkraft – und am besten Platz unter den Sitzen ist der Raum in so einer rasenden Flunder zu knapp für den dicksten Lautsprecher mit seinem Bedarf an Resonanzraum. "Gott sei Dank kann der auch an anderen Stellen wie etwa dem Kofferraum montiert werden, weil das menschliche Ohr dessen Geräusch kaum lokalisieren kann", sagt Sikora.

Trend zu mehr Lautsprechern im Auto

Für die anderen Schallwellen gilt das allerdings ganz und gar nicht – hier hört der Mensch genau, woher der Klang kommt. Und darum geht der Trend zu immer mehr Lautsprechern im Auto. Schon Basisausstattungen bieten häufig ein halbes Dutzend Tonüberträger, selbst in Kleinwagen mit ein paar Hundert Euro extra ab Werk weiter aufrüstbar. Und BMW-, Lexus- oder Mercedes-Kunden lassen auch schon einmal mehrere Tausend Euro springen, um Hunderte Watt, Lautsprecher-Batterien überall und nicht zuletzt ruhmreiche Marken-Logos der audiophilen Tradition ins Auto zu bringen.

Im Aston, Bentley, Rolls oder Maybach geht es schon in die Dimensionen eines Kleinwagenpreises. Dafür donnert etwa aus einer Burmester-Anlage Hifidelity in Konzertsaal-Qualität und dreidimensionalem Surround-Sound wie im Hightech-Kino – über 21 Hochleistungslautsprecher inklusive Zusatz-Tönern aus zwei Dachinseln zwischen den hinteren Sitzen und mit 1.480 Watt.

Aus Kino und Konzertsaal kommen denn auch Techniken, auf die Sikora seine Anlagen im Auto trimmt: "Die Hörgewohnheiten sind eben inzwischen auch dank Heimkino-Anlagen so hoch entwickelt", sagt der Entwickler. Darum vermessen die Teams etwa die Schallentwicklung in den berühmtesten Konzertsälen der Welt wie dem Wiener Musikverein – und stellen das Klangerlebnis über die Edel-Anlagen im Auto nach. "Gerade in Zeiten des Social Distancing können so Live-Erlebnisse mit hohen Übertragungsraten sicher gestreamt werden", sagt Sikora. Mancher Autobesitzer wolle dann gar nicht mehr fahren, sondern nur auf dem Parkplatz große Oper aus der Arena di Verona erleben. Zusammen mit dem Tenor Andrea Bocelli und dessen Lieblings-Opernhaus in Pisa hat JBL etwa ein solches System für den Fiat 500 entwickelt.

Aber auch ursprünglich fürs Kino konzipierte Formate wie Dolby Atmos verändern das Hören an Bord. Die Dolby-Macher haben zusammen mit dem deutschen Multimedia-Spezialisten Cinemo ein System für Autos entwickelt, bei dem 21 Front-, Rear-, Seiten- und Höhen-Lautsprecher sowie acht Körperschallwandler in den Sitzen nicht nur das Musikgefühl frei im Raum schweben lassen, sondern auch die vor allem für den Menschen am Steuer relevanten Signale und Warnhinweise. Profi-Musiker Christopher von Deylen schwärmte bei der Vorstellung des Systems: "Gegen Dolby Atmos Music klingt Stereo wie Mono."

Sennheiser und Continental: Kampf um den Klang

Allerdings bringen die "Wünsch-dir-Watt"-Orgien zwei große Probleme mit sich: Top-Anlagen können schon einmal einen Zentner auf die Waage bringen und verbrauchen auch dementsprechend Energie. Bei der Arbeit an nachhaltiger Mobilität nicht gerade wegweisend. Entwickler Sikora setzt denn auch auf kleinere Lautsprecher, die sich auf das tatsächlich hörbare Spektrum für das menschliche Ohr konzentrieren.

Radikal anders gehen Sennheiser und Continental den Kampf um den Klang an: Sie wollen 3-D-Klang ganz ohne Lautsprecher erzeugen. Dazu hat Sennheiser seine Ambeo 3D Audiotechnologie in das Soundsystem Ac2ated von Continental eingepflegt. Dabei übernehmen Türverkleidungen oder Karosserieteile mit gezielten Schwingungen selbst die Klangerzeugung. Bauraum und Gewicht einer Soundanlage sollen so um bis zu 90 Prozent abspecken. In den nächsten Monaten wollen die Partner eine Serienversion entwickeln.

An das Ende des Lautsprechers glaubt Entwickler Sikora allerdings nicht so recht: "Die Idee gibt es schon länger. Aber erstens wollen die Autohersteller ja eher Schwingungen ihrer Karosserieteile vermeiden, zweitens weiß niemand, wie der Sound nach ein paar Jahren im Gebrauch klingt – und drittens braucht es gerade für die Anforderungen der Zukunft präzise Beschallung für die Ohren des einzelnen Passagiers." Der Trend gehe daher eher zum Sound aus der Kopfstütze.

Trend Richtung Hörinsel

Bose etwa verwendet solche Kopfhörer-ähnlichen Systeme schon bei Nissan, Hi-Fi-Konkurrent Meridian im Range Rover. Der Sound kann dadurch immer im idealen Verhältnis zum Kopf ausgespielt werden – wichtig, wenn etwa der Beifahrer seinen Sitz in Liegeposition bringt oder in einem autonom fahrenden Mobil den ganzen Sitz Richtung Reihe zwei dreht.

Zudem geht der Trend in Richtung Hörinsel. Schon jetzt mögen viele Fondpassagiere lieber einen Film oder ein Videospiel auf ihren Bildschirmen an den Vordersitzen genießen. Und mit dem Einzug von eigenen Bildschirmen für den Beifahrer wird auch der vielleicht gerade skypen wollen – und dabei nicht durch die Musik oder Navi-Ansagen des Menschen hinter dem Lenkrad abgelenkt werden. Das kann schließlich im Audio-Erlebnis der Zukunft fast so nervig sein wie Kleingeld im Handschuhfach.  

 

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