NEFZ war gestern. Um die Verbrauchs- und Abgaswerte von Autos festzulegen, werden Fahrzeuge künftig zweigleisig nach WLTP und RDE getestet. Unter anderem Mercedes steht deshalb dieser Tage vor einer Herkulesaufgabe, denn bis zum Stichtag 1. September 2018 müssen alle Fahrzeuge aus dem Portfolio des Stuttgarter Konzerns nach den neuen Vorgaben homologisiert werden. Andernfalls sind sie für die EU nicht mehr zulassungsfähig. Allein in Untertürkheim wird deshalb Tag und Nacht im Dreischichtsystem gemessen. Eigentlich heißen die für die Abgas- und Verbrauchszertifizierungen verantwortlichen Ingenieure dort die schon lange vor dem Dieselskandal beschlossenen neuen Messverfahren willkommen, doch haben sich die geänderten Vorgaben auch als sperriges Bürokratiemonster entpuppt, das vor allem in Richtung Stichtag viel Arbeit macht.
Deutlicher Mehraufwand
"Wir haben nichts gegen WLTP. Im Gegenteil", sagt der EU-Zertifizierungs-Verantwortliche Dr. Christoph Höhmann, um anschließend dennoch von einigen Problemen, Ausnahmeregelungen und dem deutlich gestiegenen Aufwand zu berichten. Hinter WLTP, das seit September 2017 die NEFZ-Messung ersetzt, steckt unter anderem die Idee einer globalen Harmonisierung der Messverfahren. Ein Messverfahren für alle Märkte, so der Ursprungsgedanke, der eigentlich vieles vereinfachen soll. Entsprechend auch der Name Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedure. Doch global ist die Messmethode sperrig geworden, da es mittlerweile zahlreiche regionale Ausnahmen gibt. So verzichtet Japan bei der Prüfstandmessungen auf den High-Cycle, weil dort keiner 131 km/h fahren darf. Auch China will zwar WLTP, jedoch nicht den für Europa geltenden Fahrzyklus WLTC. WLTP ist kein abgeschlossenes Projekt, sondern wird immer wieder verändert und angepasst. Mittlerweile ist der Regulationskatalog 700 Seiten stark. Der Vorlauf bis zur Einführung des Gesetzes zum September 2017 war aus Sicht der Zertifizierungs-Verantwortlichen bei Mercedes jedenfalls extrem kurz.
Darüber hinaus hat sich grundlegend der zeitliche Aufwand für das für Europa definierte Messprozedere im Vergleich zur NEFZ-Methode mal eben verdoppelt. Das gilt nicht nur für die Hersteller, sondern auch für TÜV und KBA. Im Mercedes-Powertrain-Testcenter in Untertürkheim berichtet Abteilungsleiter Harald Behrendt, wie hier im Dreischicht-System Testzyklen gefahren werden. Ein WL-Testzyklus auf dem Prüfstand dauert etwa eine Stunde. Allein Untertürkheim, einer von mehreren Entwicklungsstandorten im Daimler-Konzern, meistert pro Jahr 20.000 dieser Tests.
Trotz eines komplizierteren Verfahrens und insgesamt komplexerer Rahmenbedingungen vertritt man bei Mercedes die Ansicht, dass sich das WLTP-Verfahren für Kunden lohnen wird, unter anderem, weil die neue Messmethode einen realistischeren Vergleichsmaßstab für Verbrauchs- und Emissionswerte bietet. Und das übrigens für jedes spezifische Modell bis hinunter zur individuellen Ausstattung. Wer Leder, große Räder oder ein Glasdach ordert, muss mit einem höheren Verbrauch als bei der Basisversion rechnen. Deshalb werden auch die Spannen der Verbrauchswerte pro Motorvariante künftig deutlich größere Spreizungen aufweisen. Statt wie bisher um wenige Zehntelliter werden sich die Von-bis-Angaben über mehrere Liter erstrecken. Die ausstattungsabhängigen Verbrauchsunterschiede werden künftig von den Herstellern ermittelt. Dafür muss zum Glück nicht jede denkbare Ausstattungsvariante auf den Prüfstand, aber sie muss berechenbar sein. Im Online-Fahrzeugkonfigurator sollen diese individuellen Verbrauchsberechnungen angezeigt werden. Spätestens zum 1. September 2018 wird diese Umstellung eingeführt. Allein die Webseiten darauf vorzubereiten, verlangt einen enormen Aufwand. Dafür soll der Kunde künftig genau sehen können, welche Ausstattung sich wie auf den Verbrauch auswirkt. Da es auch Ausstattungsoptionen geben wird, die für einen Minderverbrauch sorgen, kann der Kunde im Prinzip damit spielen.
Mercedes-Benz RDE und WLTP
BildergalerieIm Vergleich zum NEFZ-Verfahren werden die Verbrauchsangaben WLTP-Messungen im Schnitt um gut 20 Prozent höher liegen. Das wird sich ab Herbst übrigens auch auf die Autokosten neu zugelassener Fahrzeuge auswirken, da in Deutschland die Steuer unter anderem nach dem CO2-Ausstoß bemessen wird. Vor allem für Kleinwagenmodelle werden im Vergleich zur NEFZ-Messung die Verbrauchswerte steigen und damit auch für einen moderaten Anstieg der Kfz-Steuer sorgen. Bestandsfahrzeuge sind von den Änderungen bei der Besteuerung nicht betroffen. Dank WLTP werden sich die Verbrauchsangaben von Autos den realen Verbräuchen der Nutzer zudem annähern, allerdings können diese weiterhin auch stark vom neuen Prüfstandmesswert abweichen, denn jeder Fahrer verhält sich anders. Bislang war es allerdings extrem schwer, in der Wirklichkeit den NEFZ-Messwert zu unterbieten. Bei WLTP-Wert sind die Chancen dafür deutlich gestiegen. Auch wenn der neue Zyklus im Vergleich zum NEFZ eine dynamischere Fahrweise simuliert, werden Bleifuß-Fahrer weiterhin mit höheren Verbrauchswerten als unter WLTP-Bedingungen ermittelt rechnen müssen.
Prüfstandsmessung reicht künftig nicht aus
Um Fahrzeuge in Deutschland neu zulassen zu dürfen, reicht die Prüfstandmessung aber künftig nicht mehr aus. Erschwerend kommt hinzu, dass zusätzlich ein RDE-Test (Real Drive Emission) gefordert ist, also ein Messen des Abgasverhaltens im realen Straßeneinsatz. Die Messtechnik, die Montage der Messgeräte am Heck und auch der Fahrzyklus selbst bindet ebenfalls enorme Kapazitäten. Im Gegenzug dürfte diese Methode die Schummelpraxis der Vergangenheit deutlich erschweren. Wenn ein Hersteller für ein Auto eine Zulassung will, wird er diese nur bekommen, wenn das Fahrzeug im tatsächlichen Straßenverkehr strenge Grenzwerte nicht überschreitet. Auch RDE wird nicht in allen Punkten der Praxis der Nutzer gerecht werden, doch wird er dafür sorgen, dass die strenger werdenden Grenzwerte eingehalten werden. Dies setzt die Hersteller unter Druck und verlangt nach neuen technischen Lösungen, um Motoren vor allem in Hinblick auf die Stickoxidemissionen sauberer zu machen. Das ist machbar, sind sich die Verantwortlichen in der Motorenentwicklung von Mercedes sicher. Statt praktisch, wie in etlichen Fällen unter anderem vom KBA gemessen, ein Vielfaches der vorgeschriebenen Werte zu emittieren, werden künftig dadurch neue Autos in den allermeisten Verkehrs- und Fahrsituationen deutlich unter den Grenzwerten bleiben müssen.
Damit könnte der RDE-Test in einigen Jahren dazu beitragen, dass die Luft in unseren Städten allmählich sauberer wird. Vor allem, wenn ab 2020/21 für den RDE-Test nochmals schärfere Grenzwerte gelten. Vorläufig ist für die Zulassung neuer Fahrzeugtypen die Euro-6d-Temp-Abgasnorm bindend, die zum Beispiel bei Dieselfahrzeugen einen NOx-Grenzwert von 80 g/km vorsieht, der bei der RDE-Messung vorläufig allerdings um das 2,1-fache überschritten werden darf. Damit dürfen Diesel in dem realitätsnahen RDE-Test in keiner Fahrsituation mehr als 168 g/km NOx emittieren. Ab 2020 sinkt dieser auf 120 g/km. Bis vor kurzem haben Dieselneuwagen oftmals ein Vielfaches dieser Werte im realen Einsatz in die Luft gepustet.