Festsitzende Schrauben zu öffnen, ist keine Sache von Kraft oder roher Gewalt", sagt Wolfgang Schelbert, Geschäftsführer und Inhaber der freien Motorradwerkstatt "Wolfis Garage" in Seeshaupt. "Vielmehr braucht es Knowhow. Ziel ist es schließlich den Schaden möglichst kleinzuhalten, ohne die umgebenden Bauteile zu zerstören."
Viele Probleme beim Öffnen von Verschraubungen beginnen aber bereits beim Zusammenschrauben - vor allem, wenn nicht fachgerecht gearbeitet wurde. Besonders bei so genannten Sackloch-Verschraubungen ist es sehr wichtig, welche Materialpaarungen zusammenkommen.
Vor Korrosion schützen
Meist sind dies Stahl/Stahl, Edelstahl/ Edelstahl, Edelstahl/Stahl oder Stahl/ Aluminium. Bei Stahl/Stahl-Verschraubungen, speziell bei thermisch belasteten, verwendet Wolfgang Schelbert stets Kupferpaste, um das Gewinde vor Korrosion zu schützen. Bei Edelstahl/Edelstahl-Paarungen kommt Keramikpaste zum Einsatz. Auch Edelstahl/Stahl- und Aluminium/Stahl-Verschraubungen sollten immer mit Keramikpaste behandelt werden. "Sie verhindert einerseits Korrosion durch eindringendes Wasser, und anderseits, durch ihre Isolationswirkung, Oxidation", erklärt der Werkzeugexperte.
Verklebte Gewindegänge
Denn Aluminium bildet in Verbindung mit Stahl unter Einwirkung von (Salz-) Wasser Korrosionselemente, die sich wie eine kurzgeschlossene galvanische Zelle verhalten und zur Korrosion des unedleren Werkstoffs - also dem Aluminium - führen. In den Gewindegängen findet sich dann Aluminiumhydroxyd - ein weißes "Pulver". Es haftet der Oberfläche der Gewindegänge an und verklebt sie regelrecht. Den gleichen Effekt kann man bei der Paarung Edelstahl/Stahl beobachten. Hier entsteht hingegen schlicht Rost.
Beim Verschrauben ist daher auch auf penible Sauberkeit der Gewindegänge zu achten. "Ein Sandkorn genügt und die Verschraubung frisst sich ein", weiß Wolfgang Schelbert aus seiner Berufspraxis zu berichten.
Noch problematischer wird das Öffnen, wenn beim Zusammenschrauben bereits gebrauchte Schrauben und Muttern verwendet wurden. "Hier vergessen viele, die Gewindegänge auf Beschädigungen oder Schmutz zu prüfen", so Wolfgang Schelbert. Kleine Beschädigungen und Verschmutzungen lassen sich mit Gewindenachschneideisen leicht beseitigen.
Wichtig ist auch, das richtige Anzugsmoment der Verschraubung. Wer sich hieran nicht hält, überdehnt die Schraube oder reißt sie spätestens beim Öffnen ab. Werkstattinhaber Wolfgang Schelbert setzt zudem auf Montagepaste, die sowohl auf das Gewinde und auf die Schraubenkopfunterseite (Auflagefläche am Werkstück) dünn aufgetragen wird. "Die Paste minimiert die Reibung, so dass die Schraube mit der korrekten Vorspannkraft angezogen werden kann."
Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass sich Verschraubungen nicht öffnen lassen. "Dann benötigt man wirklich gutsitzende Gabel-, Ringschlüssel oder strengsitzende Sechskant-Nüsse", erklärt auch Matthias Kemmer, stellvertretender Obermeister der Kraftfahrzeuginnung Vorderpfalz. "Zwölfkant-Nüsse hingegen, sofern nicht die mit AS-Drive-Profil verwendet werden, können aufgrund der geringeren Kontaktfläche nicht genügend Kraft auf die Schraubverbindung übertragen, ohne diese zu beschädigen."
Zudem sollte immer Klarheit darüber bestehen, ob es sich um ein Rechts- oder Linksgewinde handelt. "Ich habe in meinem Berufsalltag so manchen 'Helden' erlebt, der verzweifelt versucht hat, standardmäßig links ein Linksgewinde zu öffnen", lacht Matthias Kemmer. "Speziell bei sich drehenden Wellen oder Achsen muss aber oft mit einem Linksgewinde gerechnet werden."
Wenn sich Schrauben trotzdem nicht öffnen lassen, kann Kriechöl helfen die Schraubverbindung zu lösen. "Hier wird aber oft der Fehler gemacht, dem Kriechöl zu wenig Zeit zum Wirken zu geben", weiß der Obermeister. "Nur nach mehreren Stunden Einwirkzeit hat man gute Chancen, die Schraubverbindung zu öffnen."
"Geht die Schraube immer noch nicht auf, kann man es mit Prellen versuchen", erklärt Wolfgang Schelbert. "Manch einer schlägt hier mit dem Hammer blank auf den Schraubenkopf. Dann verschwindet aber die Schlagkraft über die Auflagefläche des Schraubenkopfes im Bauteil." Zudem wird der Schraubenkopf beschädigt. Um Sechskantverschraubungen fachgerecht zu prellen, braucht man einen Messingdorn, oder, bei Schlitz-, Innensechskant- oder Kreuz-Schrauben, einen passenden Schraubendreher oder Inbusschlüssel. Der Messingbolzen wird auf das Herz der Schraube gesetzt, um anschließend mit dem Hammer kräftig ein oder zwei Mal darauf zu schlagen (als Herz wird die Mitte des Schraubenkopfes über dem Gewinde bezeichnet). Der Messingdorn darf lediglich den Durchmesser des Gewindes haben, damit beim Prellen die Schlagenergie auch im Gewinde voll ankommt.
Bis zum Propan-Brenner
Einfacher arbeitet es sich manchmal mit einem mechanischen oder elektrischen Schlagschrauber. Sie sind für Schrauben bis zur Größe M8 geeignet. Für größere Schrauben und Muttern kommen pneumatische Schlagschrauber mit entsprechend vergüteten Nüssen zum Einsatz.
Versagen alle bisher genannten Methoden und Werkzeuge, benötigt man einen Zugringschlüssel. An seinen kurzen Stumpf kann eine beliebig lange Verlängerung aufgesetzt werden. Deshalb ist es wichtig, dass der Schlüssel sehr gut passt und genügend Platz für die Verlängerung vorhanden ist. Er wird nur bei Schraubverbindungen ab M16 verwendet.
"Versagt der Zugringschlüssel hilft nur noch ein Autogen-, Propan-Brenner oder ein Induktionsgerät", verrät Werkstattinhaber Schelbert. Dabei muss die Flamme des Brenners oder die Spule des Induktionsgerätes direkt auf den Kopf der Schraube gehalten werden. "Das gezielte Erwärmen lässt das Gewinde im Bauteil ausdehnen", so Wolfgang Schelbert weiter. "Dabei wird Rost (Oxid) und Schmutz regelrecht zerquetscht." Bei Muttern wird hingegen der Mutterrand erhitzt, damit sich diese durch Ausdehnung vom Gewinde löst. Nach dem Abkühlen kann versucht werden, die Schraubverbindung zu lösen.
Auf keinen Fall darf die Schraubverbindung aber zu glühen beginnen, sonst verdreht sich der Kopf und reißt vom Gewinde ab. Kfz-Profis arbeiten daher oft mit einem Industrie-Heißluft-Föhn. Auch dürfen auf Rotglut und darüber hinaus erhitzte Schrauben nach dem Öffnen nicht mehr verwendet werden, da ihr Materialgefüge sich verändert hat. Die von ihnen verlangte Zugfestigkeit ist nicht mehr gegeben.
Mit den beschriebenen Methoden lassen sich sicherlich gut 90 Prozent der festsitzenden Schrauben beschädigungsfrei öffnen. Sind der Schraubenkopf oder die Mutter stark beschädigt, bedarf es Spezialwerkzeuge, wie etwa Linksausdreher oder Gewindebohrer. Hier beginnen aber die Methoden, die nicht mehr zerstörungsfrei sind.
Kurzfassung
Nichts hält mehr auf in der Kfz-Werkstatt als Schraubverbindungen, die sich nicht öffnen lassen. Um Arbeitszeit und damit Kosten einzusparen, muss man lediglich wissen, wie Schraubverbindungen fachgerecht hergestellt und wieder gelöst werden. Material-Experte Wolfgang Schelbert gibt Auskunft, auf was hier zu achten ist.
Checkliste
Zum Öffnen strengsitzende Sechskant-Schlüssel verwendenAbklären Rechts- oder Linksgewinde?Kriechöle benötigen mehrere Stunden Einwirkzeit!Zum Prellen Messingdorn verwendenBeim Prellen auf das "Herz" der Schraube zielenHammerschlag- oder elektrische Schlagschrauber nur bis Größe M8 einsetzenAb M10 pneumatische Schlagschrauber, ab M16 Zugringschlüssel einsetzenMit Gasbrennern nur arbeiten, wenn alle anderen Öffnungs-Methoden versagt habenVorzugsweise mit Industrie-Heißluft-Fön erhitzen, um Materialgefüge-Schäden zu vermeiden
- Ausgabe 05/2017 Seite 36 (160.0 KB, PDF)