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60 Jahre Alpine A110: Schneller Steinbutt à la française

28.11.2022 15:48 Uhr | Lesezeit: 6 min
Markant für den kleinen Flach-Flitzer war seine flache Front mit vier großen runden Leuchteinheiten.
© Foto: Renault

Frankreich von seiner schnellsten Seite, dafür steht seit 1962 die Alpine A110 des Racers und Autobauers Jean Rédélé. Leichter, flacher und flinker als viele Supercars feierte das Sportgerät legendäre Rallye-Siege. Zum Erfolgskonzept der Alpine zählt fast von Beginn eine Renault-Connection, die 2017 eine neue A110 hervorbrachte.

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Aus Dieppe, der kleinen Hafenstadt in der Normandie, kommen zwei Spezialitäten, die keinen französischen Gourmet unberührt lassen: Delikate Plattfischgerichte à la Turbot ("Steinbutt") und eine Fahrmaschine, die Gallien ab 1962 zu einer Grand Nation in der Equipe der Sportwagenhersteller aufsteigen ließ. Alpine A110 Berlinette "Tour de France" hieß der nur 1,12 Meter hohe Zweisitzer, der vor 60 Jahren direkt von der Rennstrecke auf den Catwalk des Pariser Automobilsalons gerast zu sein schien – und ob seiner fischartig flachen Linien von seinen Fans prompt liebevoll "Le Turbot" genannt wurde. Schließlich trug dieser 575 Kilo leichte Flitzer mit Kunststoffkarosserie die Racing-Erfolge seines bereits berühmten Produzenten, des Rallye-Piloten Jean Rédélé, in den Genen. Rédélé hatte mit Siegen bei Langstreckenrennen wie Mille Miglia oder Tour de France für Aufsehen gesorgt, zum Schlüsselmoment avancierte für Rédélé aber der Erfolg beim Coupe des Alpes. Ihm verdankte schon der 1955 eingeführte allererste französische Seriensportler mit Polyesterhaut und Renault-Motoren seinen Namen: Alpine A106. Aber erst mit der A110 gelang Rédélé ein Sportgerät, das für französische Vmax-Fans verkörpert, was Porsche hierzulande mit dem 911 gelang. Leichter, flacher und flinker als manche 911 avancierte die A110 zum Mythos, der bis 1977 gebaut wurde. Ein Mythos, den Renault heute mit der neuen A110 revitalisieren will.

Er war ein Car-Guy vom Schlag eines Enzo Ferrari, Carlo Abarth oder Ferry Porsche: Jean Rédélé machte es so wie manch anderer Rennfahrer und Sportwagen-Connaisseur der frühen Nachkriegsjahre, er konstruierte sich seinen eigenen Racer. Als Renault-Händler verstand Rédélé es geschickt, die robuste Antriebstechnik der Massenmodelle aus Billancourt mit technisch eigenständigen Entwicklungen zu kombinieren. Vor allem der Zentralrohrrahmen und eine aufregend gezeichnete ultraleichte Kunststoffkarosserie beflügelten Rédélés Konstruktionen zu legendären Siegen in Rallye- und Rundstreckenchampionaten und sicherten so speziell der filigran wirkenden, nur 3,85 Meter langen A110 Berlinette einen Platz in den Geschichtsbüchern. Knausrige 38 kW / 51 PS aus einem 1,0-Liter-Renault-8-Motor genügten dem kompromisslosen Sportgerät zu Beginn, um beim Messedebüt unter dem Eiffelturm sogar V12-Boliden die Schau zu stehlen. Aber auch auf dem Zenit ihrer langen Karriere benötigte die leichte A110 – zeitgeistig mit Heckmotor – nicht mehr als 127 kW / 172 PS (nun aus einem Renault 12-Gordini-Aggregat), um Rivalen zu düpieren. Flach und leicht, diese Zauberformel bewirkte damals nicht nur bei Colin Chapmans Lotus oder den wilden Abarth-Zwergen Wunder.


Alpine A110 60 Jahre

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"Gang rein und ab! Der Wagen beginnt, die Straße zu fressen. Beschleunigung: in knapp zehn Sekunden auf 100", jubelte die Werbung noch 1975 über die nun 70 kW / 95 PS starke Alpine A110 1600 SX. Tatsächlich verkaufte sich die A110 mit zunehmendem Alter immer besser, wozu der gesammelte Ruhm auf Renn- und Rallyepisten beitrug. Zehn Sekunden, das konnte Mitte der 1970er auch ein VW Golf GTI, aber Nimbus und Faszination der vorzugsweise blau lackierten A110 galten als unerreichbar: "Die Leute drehen sich um, wo immer Sie mit dem Renault Alpine auftauchen. Die Welt des Automobilsports wird lebendig: Große internationale Rallyes, Erfolge, Siege. Sie machen aus, was Sie hinter dem Lenkrad Ihres Alpine spüren und erleben." Emotionen, die auch die langjährigen Duelle mit Porsche beschworen, etwa bei der Rallye Monte Carlo 1968. Damals lag die von Gérard Larousse gesteuerte A110 klar vorn und konnte nur durch sensationshungrige Rallye-Zuschauer gestoppt werden. Am berüchtigten Col de Turini fegten sie in einer Kehre Schnee auf die Strecke, Larousse rutschte ins Abseits, und Vic Elford triumphierte mit seinem 911 T. Es war ein Duell der traktionsstarken Heckmotorkonzepte, deren dramatische Kurventanz-Wirbel mit dann nach vehement nach außen drängenden Hinterrädern, mehr Menschen als je zuvor an die Rallyepisten zog.

In den Folgejahren wiederholten die Stuttgarter Sechszylinder ihre Monte-Siegesfahrten, dann aber legte die Equipe bleu nach. Nichts konnte die furios schnellen und faszinierend soundstarken und heckgetriebenen A110 Berlinette 1600 S und 1800 ausbremsen und so sicherte sich Alpine 1971 und 1973 den Lorbeer von Monte Carlo, getoppt nur durch den Gewinn der internationalen Markenmeisterschaft 1971 sowie den Titel des Rallye-Weltmeisters 1973. Dazwischen lag noch der raketengleiche Start in die Turbo-Ära, gefeiert durch eine via Lader auf 147 kW/200 PS erstarkte 1600 S Berlinette. Gleich das Auftaktrennen, das "Critérium des Cevennes", gewann diese Alpine. Nicht Porsche, Saab oder BMW, sondern Alpine holte so den ersten Erfolg für ein turbogeladenes Fahrzeug im europäischen Motorsport.


Alpine E-ternité (2022)

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Zu diesem Zeitpunkt war Alpine bereits Bestandteil des Renault-Konzerns und die Modelle wurden als Renault-Alpine vermarktet. Denn eines war den genialen Diepper Konstrukteur und Renault-Händler Jean Rédélé nie nachhaltig gelungen: Profitabilität. Die Entwicklung der A110 hatte er durch den Coup einer Lizenzvergabe an die brasilianische Firma Willy finanziert, und auch in Mexiko (Dinalpin), Bulgarien (Bulgaralpine) sowie in Spanien bei Fasa wurden Rédélés Athleten montiert. Der europäische Vertrieb erfolgte seit 1965 in offizieller Kooperation mit Renault, was die Absatzzahlen des mit kontinuierlich aktualisierter alltagstauglicher Technik aus den Renault Großserienmodellen R8, R12 und R16 ausgerüsteten "Le Turbot" weiter beschleunigte. Hinzu kam der Image-Boost durch den Einsatz der A110 für die französische Gendarmerie. Ein Ereignis, das die Grande Nation mit Stolz erfüllte, wie Medien vermeldeten, die auch Vergleiche zu Porsche 911 im Polizeieinsatz zogen. Für sich genommen lukrative Kooperationen, die jedoch nicht verhinderten, dass das Alpine-Budget stets schmal blieb und die Marke nach dem Debüt der futuristisch designten Alpine A310 im Jahr 1972 ganz an Renault fiel. Die neue A310 sollte die A110 ersetzen, aber die längst ikonische "Le Turbot" fand noch bis 1977 insgesamt 7.500 Fans. Dann konzentrierte sich Renault-Alpine auf die kostspieligeren A310 bis A610, ehe die Sportwagenschmiede 1995 in einen Dornröschenschlaf fiel.

Seit 2017 ist es eine neue Alpine A110, die mit Leichtbau, leistungsstarken Vierzylindern und Retro-Design die Idee von "Le Turbot" erfolgreich mit neuem Leben erfüllt. Und in die elektrische Zukunft führen soll, wie Renault zum 60. Geburtstag des Originals gerade erst durch die Studie A110 E-ternité zeigte. Welche Anziehungskraft die klassische Alpine A110 heute hat, weiß Experte Christoph Pichura von der Oldtimer-Bewertungsorganisation Classic Analytics: "Die A110 hat in den letzten Jahren kräftig an Wert zugelegt, der Preis für die A110 1300 VC stieg seit 2012 von 46.000 Euro auf 80.000 Euro. Die "Werks-Alpine" A110 1300 S, 1600 S und 1800 mit Renngeschichte starten sogar erst bei weit über 200.000 Euro. Das ist schon aber eine ganz andere Liga."


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