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75 Jahre Abarth: Giftige Stachel und gesunde Äpfel

27.05.2024 06:00 Uhr | Lesezeit: 6 min
Damals wie heute gut für den sprichwörtlichen Ritt auf der Kanonenkugel - Fiat Abarth 595 (gebaut ab 1958) trifft neuen Abarth 695 als Sondermodell 75 Anniversario.
© Foto: Abarth_Stellantis

Mit gesundem Apfel-Doping zum Weltrekord fahren? Rennfahrer und PS-Zauberer Carlo Abarth zeigte, wie das ging. Vor 75 Jahren gründete Abarth seine legendäre Sportwagenmanufaktur im Zeichen des Skorpions – und seine Kraftzwerge auf Fiat-Basis kamen groß heraus. Furios sind die Abarth bis heute, jetzt auch als Stromer.

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Bissige und noch bezahlbare 140 kW/177 PS im kleinen Abarth 600e Scorpionissima zum 75. Geburtstag seiner Sportwagenschmiede – daran hätte Carlo Abarth seine Freude gehabt. Vielleicht hätte der gebürtige Österreicher und Wahl-Italiener dem schnellen Stromer sogar verziehen, dass die Akkus schwer wiegen und der Auspuffsound künstlich ist. Denn als leidenschaftlicher Racer, Leichtbauexperte und global erfolgreicher Produzent von Sportauspuffanlagen wusste Carlo Abarth, wie er den Puls seiner Fans auf 180 bringt: Mit kompakten, meist auf Fiat- oder Simca-Typen basierenden belle macchine, die bis 1971 mehr als 10.000 Rennsiege, über 130 internationale Rekorde und zehn Weltrekorde errangen.

Giftig und gefährlich wie ein Skorpion – Carlo Abarths Sternzeichen und Markenlogo – waren fast alle der Heckmotor-Sportler des Wahl-Italieners, die auf Rennstrecken vor allem in den Hubraumklassen bis 750 oder 1000 Kubik antraten. Ob Alpine, Cooper, Giannini oder Gordini: Vor Abarth hatten fast alle Rivalen Respekt. Sogar Enzo Ferrari wird die Stirn gerunzelt haben, als 1964 ein Abarth 2000 in Aspern bei Wien dem Maranello-Boliden 250 GTO die Endrohre zeigte. Als der PS-Zauberer Carlo Abarth 1979 starb, hatte Fiat seine Firma bereits übernommen und mit dem 131 Abarth Rally ein Fahrzeug realisiert, auf dem Walter Röhrl 1980 seine erste Rallye-Fahrer-Weltmeisterschaft gewann. Racing-Gene reloaded heißt es für Abarth seit 2008, zitieren doch Typen wie der Abarth 595 esseesse die Helden von früher.


Jubiläum: 75 Jahre Abarth

75 Jahre Abarth Bildergalerie

Erich Bitter wird Generalimporteur

Was verband den 1933 im westfälischen Schwelm geborenen deutschen Sportwagenbauer Erich Bitter mit dem 25 Jahre älteren Carlo Abarth? Beide, Bitter und Abarth, begannen ihre Karriere als erfolgreiche Rad- und Automobilrennfahrer – Abarth schob noch einige Jahre als von Sieg zu Sieg eilender Motorradrennfahrer dazwischen – ehe sie ins Fach des Tuningspezialisten wechselten. Autos leichter und schneller machen, das hatten sowohl Bitter als auch Abarth im Blut, und so war es nur noch ein kleiner Schritt, bis „Rallye-Bitter“ 1964 deutscher Generalimporteur wurde für die Straßensportler und Rennwagen mit dem Skorpion.

Aber da gab es noch mehr: Für den anfangs in Bologna, dann in Turin ansässigen PS-Zauberer Abarth verkaufte Bitter nicht nur Autos, sondern er fuhr sogar zeitweise in dessen Werksteam. Klar, dass es da auch mal knirschte, vor allem wenn Bitter glaubte, ein schlechteres Auto zu bekommen als Abarths italienische Fahrerasse. Letztlich aber blieben sowohl Abarth als auch Bitter formvollendet höflich, was auch die Kunden schätzten. Selbst banale Anfragen nach Preislisten beantworteten die Unternehmenschefs persönlich. Lohn der Mühe: Speziell in Italien und Deutschland florierte der Absatz der irre schnellen Brandstifter.

Nachdem sich Abarth seit 1949 mit Kleinstserienmodellen wie dem Abarth 205A, einem von Vignale eingekleideten vormaligen Cisitalia-Sportwagen, profiliert hatte, und profanen Volumenmodellen von Alfa, Lancia, Panhard oder Ford via Fächerkrümmer und Auspuffanlage zusätzliche PS entlockte, entdeckte er auf dem Genfer Salon 1955 den neuen Fiat 600. Der 3,29 Meter kurze Heckmotorwagen begnügte sich mit 16 kW/23 PS für bürgerliche Fahrleistungen – bis Carlo Abarth demonstrierte, was ein Magier kann: Noch 1970 ließ der auf dem Fiat 600 aufbauende Abarth 1000 Gr2 bei 8.200 Touren 74 kW/100 PS los, um Porsche 911 zu jagen.

75 Jahre Abarth
Zum 75-Jahre-Jubiläum soll der Abarth 600e Scorpionissima zeigen, dass auch Stromer Emotionen freisetzen.
© Foto: Abarth_Stellantis

Jagd auf Porsche 911, NSU Prinz TT und Ferrari

Auch das italienische Nationalmonument Fiat 500 (1957) und der Käfer-Konkurrent Fiat 850 (1964) wuchsen in Abarths Manufaktur zu wilden Wüstlingen mit einer Namensgebung, die nur Insider verstanden: Abarth 595, 695, 750, 1000, OT 1300 und OT 2000. Was sich dahinter verbarg? Der Fiat Cinquecento (500) zeigte als Abarth 595/695, wie der kleinste Giftstachel zur Gefahr wird für Renner á la Renault Gordini, Mini Cooper oder NSU Prinz TT. Der Abarth OT 2000 transformierte 1966 das harmlose, 35 kW/47 PS abgebende Fiat 850 Coupé zur 136-kW/185-PS-Bestie, die Jagd auf 240 km/h schnelle V12-Ferrari machte.

Solch infernalische Kraft kostete ab 29.500 Mark, wie Erich Bitters Preisliste auswies. Auf diesem elitären Preisniveau bewegten sich sonst Supercars wie Jaguar E-Type oder Iso-Rivolta 300. Noch teurer war damals nur das Abarth 1300 Coupé, für das der Importeur Rallye-Bitter sogar 35.000 Mark kalkulierte. Andererseits kostete der Einstieg in die Abarth-Welt „nur“ 5.450 Mark. Dafür gab es den flinken 2,97 Meter-Floh Abarth 595 mit 20 kW/27 PS. Im Vergleich zum Fiat 500 bedeutete dies 50 Prozent mehr Leistung und einen um 50 Prozent höheren Preis. Carlo Abarth wusste, was er verlangen konnte für seine rasanten Rabauken, die auf Sieg abonniert waren.

Rekorde am Fließband in Monza

Tatsächlich verdiente Abarth schon seit 1958 mit jedem Rennsieg bares Geld, denn Fiat bezahlte Prämien für alle ersten Plätze und für erfolgreiche Rekordfahrten. Hinzu kam der Werbewert von Weltrekorden. So startete die Squadra Abarth 1956 auf eine „Via del Successo“, über deren Meilensteine Reklamepostillen regelmäßig informierten. Als erster Rekordwagen stellte der Stromlinienmonoposto Abarth 750 Bertone 1957 in Monza zahlreiche Bestleistungen auf. Ein Jahr später gelang es dem von Pininfarina in Form gebrachten Abarth 500 Record Monoposto, mehr als ein halbes Dutzend Rekorde zu realisieren. Damit sich Carlo Abarth persönlich ins enge Cockpit seines Geschosses zwängen konnte, nahm er mittels einer gesunden Apfeldiät 30 Kilogramm ab. Schöner Nebeneffekt: Der auch als Modeschöpfer tätige Konstrukteur konnte nun wieder als Model auftreten für die selbst kreierte Alta Moda.

Die Designfindung für seine Racer überließ das Rennsportgenie dagegen bereitwillig berühmten Karossiers: Kaum eine große Carrozzeria von Allemano über Bertone und Pininfarina bis Zagato, die nicht mindestens einen der Boliden des Carlo Abarth einkleidete. Obwohl Fiat der vielleicht wichtigste Finanzier von Abarths Motorsportengagement war, ließ sich Commendatore Carlo nicht davon abbringen, auch den Simca 1000 für die 1300er-Klasse nachzuschärfen oder den Porsche 356 schneller zu machen. Bis zu 600 Triumphe erkämpfte die Abarth-Renner pro Jahr – dann kam es zur Zäsur. Anfang der 1970er Jahre verdrängten Frontmotor und Vorderradantrieb die Heckmotor-Konstruktionen. Abarth entschied sich deshalb zum Verkauf an Fiat, zumal er als Berater weiter gefragt blieb.

Carlo Abarth: "Echte Kerle wollen Leistung."

Der Massenhersteller baute nun die Renndivision Abarth Corse auf, überraschte schon 1972/73 mit dem 124 Sport Spider als Rallye-Werkswagen (von 2016 bis 2020 erinnerte ein neuer Abarth 124 Spider an den Vorgänger) und sammelte mit dem Fiat 131 Abarth drei Rallye-WM-Marken-Titel plus Fahrer-WM-Titel für Walter Röhrl. Auf der Straße konkurrierten der kleine Autobianchi/Lancia A112 und der kompakte Fiat Ritmo Abarth mit den schnellen Golf GTI oder Renault 5. Im Jahr 2007 erlangte die Marke neue Eigenständigkeit innerhalb der Fiat Group und schon kurz darauf revitalisierten Muskel-Minis wie der Abarth 595 den Ritt auf der Kanonenkugel – scharf und schnell wie einst. „Echte Kerle wollen Leistung“, meinte schon Carlo Abarth.

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