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90 Jahre Volvo: Safety first in Form gebracht

18.05.2017 07:00 Uhr
1974: Premiere der Modellreihen 240 und 260 mit mehrstufig absorbierender Lenksäule, energieabsorbierenden Stoßfängern und Sicherheits-Benzintank.
© Foto: Volvo

Schon der Urvater aller Volvo, der kuriose Jakob von 1927, gilt als Meilenstein der Sicherheitstechnik – und Misserfolg. Denn Sicherheit will verführerisch verpackt sein, wie die Volvo-Bestseller vom Buckel über Amazon bis zu aktuellen Schweden zeigen.

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Von Wolfram Nickel/SP-X

Im April vor 90 Jahren rollte bei Volvo der ÖV4, genannt Jakob, als erstes Serienfahrzeug aus den Fabrikhallen in Göteborg. Ein offener Tourenwagen, der zur Enttäuschung der Volvo-Gründer Assar Gabrielsson und Gustaf Larson kaum Käufer fand. Dabei hatten sich die beiden Unternehmer doch als erste Autobauer überhaupt zu einem Marken-Credo verpflichtet, das sie bereits bei der Konstruktion des Volvo Jakob umsetzten: "Unsere oberste Prämisse muss eines sein und bleiben: Sicherheit." Weshalb das Volvo-Logo Eisen bzw. Stahl und Stärke symbolisiert und der Volvo Jakob durch besonders widerstandsfähige Bauteile damals beachtlichen Unfallschutz bot.

Sicherheit allein verkauft sich allerdings nicht, zumal, wenn sie kostspielig und unattraktiv verpackt ist. Eine Erkenntnis, die bei Volvo zur Entwicklung von Modellen in modischen Formen führte. Waren es zunächst Stromlinientypen, folgte 1944 der Volvo PV 444 als erster schwedischer Volkswagen und dies im damals extravagantem Fastbackdesign. Darunter verborgen solide Sicherheitstechnik, die den hierzulande liebevoll „Buckel“ genannten Volvo zu einem Meilenstein der Automobilgeschichte machte. Noch erfolgreicher wurden die folgenden Volvo, ob Amazon oder kantige 240er und 850er Kombis, sie alle sind Legende – auch weil sie Sicherheitsgurte, Kindersitze oder Airbags popularisierten.

Heute ist es die "Vision 2020", mit der sich die Schweden eine gewagte Selbstverpflichtung auferlegen. Danach soll sich ab 2020 kein Mensch mehr in einem neuen Volvo ernsthaft verletzen oder gar sterben. So weit geht kein anderer Hersteller, allerdings betrifft dies auch die autonomen Fahrsysteme, auf deren fehlerfreie Funktion die Volvo vertraut. Dass es Volvo inzwischen versteht, alle notwendigen Sicherheitsfeatures fashionable zu verpacken, zeigt nicht nur der gerade zum 90. Unternehmensjubiläum vorgestellte Volvo XC60. Schließlich sollen die ambitionierten Absatzziele des chinesischen Volvo-Eigners Geely erfüllt werden. Jährlich über 800.000 Fahrzeugen weltweit und 60.000 Zulassungen in Deutschland sollen es ab 2020 sein – also eine Verdoppelung in nur gut fünf Jahren, auch das traut sich kein Volvo-Konkurrent zu. Die frühere Betulichkeit der Skandinavier ist einer verblüffenden Rasanz gewichen, so wie schon in einem Volvo-Marketingslogan für die 40er Serie: "Live fast. Die old."

Sicherheit in atraktiven Formen

Autos für ein schnelles und langes, weil sicheres Leben: Mit diesem Postulat erinnert Volvo an seine Anfangsjahre, als die buckligen "Family Sports Cars" PV 444/544 die Herzen amerikanischer Familienväter eroberten. Denn die Zweitürer – ab 1959 serienmäßig mit Dreipunktgurt – galten nicht nur als beispielhaft sicher, sondern laut Fachpresse zugleich als schnellste aller Compacts. Auch die folgenden Volvo Amazon verpackten das Thema Sicherheit – u.a. mit der ersten Sicherheitslenksäule und natürlich ebenfalls mit Sicherheitsgurten - in attraktive Formen, brillierten im Motorsport und avancierten so zu globalen Best- und Longsellern. Bis 1970 blieb der Amazon in Produktion, da war Volvo in Deutschland nach einem eher holprigen Start der Durchbruch gelungen. Dies ebenfalls mit Sicherheitstechnik, die auf spektakuläre Weise im 1961 lancierten Sportwagen Volvo P 1800 präsentiert wurde: Der damals populärste Stuntman Armin Dahl demonstrierte in Hamburg mit einem an Gurten aufgehängten 1800 Coupé die Belastbarkeit des Dreipunkt-Gurtes.

Zum Verkaufsschlager besonders bei Familien wurde dann die 1966 vorgestellte 140er Serie, die optisch klare Kante zeigte. Dies kombiniert mit "Sicherheit aus Schwedenstahl", wie der eingängige Werbeslogan in Deutschland lautete. Noch ein Novum: Mit dem Thema Sicherheit zielte Volvo erstmals auf Frauen als Käufer für die großen Familien- und Businessliner. In der Werbung spiegelte sich das durch Anzeigen, in der eine Frau feststellt: "Ich bin vernarrt in diesen Wagen, den viele gar nicht kennen, weil sie nicht darüber nachdenken, dass Sicherheit befreien kann." Oder durch das provozierende Bild einer Frau, auf deren entblößtem Oberkörper Druckstreifen des Sicherheitsgurtes zu sehen sind: "Ich liebe das Leben. In ein paar Tagen wird nicht einmal der Druckstreifen an den Unfall erinnern."

Das 1972 vorgestellte Safety-Concept-Car VESC zeigte viele Features, die schon zwei Jahre später mit dem Anlauf der Volvo 240/260 in Großserie gingen. Damit setzte Volvo damals einzigartige Standards beim Insassenschutz, wie die US-Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA bestätigte, die den Typ 240 im Jahr 1976 zur Referenzbaureihe ihrer Sicherheitsforschung ernannte. Über seine ganze fast 20-jährige Bauzeit blieb der Volvo 240 Benchmark beim Insassenschutz. Was das kantige Kultmodell jedoch nicht verhindern konnte, war die Langeweile, die das Volvo-Design irgendwann vermittelte. Zwar gelang es 1982 den größeren Typen 760/740 die kantigem Formen frisch aufzuladen und als Volvo-Erkennungszeichen zu bewahren, aber die Kunden verlangten doch nach neuen Ideen. Letzter konsequent eckiger Volvo war deshalb 1991 das Modell 850, das mit neuem Frontantriebslayout und als dynamischer Turbo schnelle BMW und Audi herausforderte.

Klamme Kassen

Dennoch kündeten dramatische Werbeslogans wie "Aus Leidenschaft für das Leben" oder die preisgekrönte Kampagne "Survivors" mit Fotos glücklicher Menschen, die Unfälle dank der Volvo-Sicherheitstechnik überlebten, weiterhin von der Kernkompetenz der Schweden. Zugleich hatte Volvo sein Modellprogramm aber auf die Kompaktklasse ausgedehnt und dazu 1975 den niederländischen Autobauer Daf übernommen. Tatsächlich erzielten die in den Niederlanden gebauten Volvo 300 und 400 Achtungserfolge, zumal Shooting-Brakes wie der 480 und Coupés und Cabriolets wie die Typen 780 und C70 einen Hauch Lifestyle-und Premiumimage vermittelten. Andererseits litt Volvo kontinuierlich unter klammen Kassen, weshalb der größte schwedische Autobauer seit 1999 von fremden Eigentümern geführt wird.

Neue Herren – bis 2010 war es Ford und seitdem ist es Geely – die den Geldfluss sicherten und die den Göteborgern weitgehend freie Hand ließen, um Volvo als Instanz in Sachen Sicherheit und als charakterstarke Kultmarke mit breitem Modellangebot fortzuentwickeln. Hatte Volvo den Trend zum Van vor der Jahrtausendwende noch mangels finanzieller Masse auslassen müssen, gelang es unter den neuen Konzerndächern eine Führungsrolle im Crossover- und SUV-Hype des 21. Jahrhunderts zu übernehmen. Wichtigster Absatzmarkt für Volvo ist inzwischen China, aber ihre nordische Identität haben sich die Wikinger bewahrt. Wie gut ihnen das gelingt, zeigen ausgerechnet ehemalige Saab-Fahrer. Saab und Volvo – diese Marken standen für einen Glaubenskrieg zwischen technischer Avantgarde und dem Sicherheitsgedanken des traditionellen schwedischen Volksheims. Was früher undenkbar war, ist nun bei unseren nordischen Nachbarn Alltag: Bisherige Saab-Käufer wechseln auf die Göteborger Safety Cars, die im Jahr des 90. Produktionsjubiläums in allen Aspekten Avantgarde sein wollen.


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