Attraktive, aufregende, ein bisschen anders auftretende Limousinen mit E-Antrieb gibt es durchaus. Allerdings bewegen sie sich wie Mercedes EQS und EQE oder die Sport-Viertürer von Porsche und Audi in schwindelerregenden Preisregionen. Die erschwingliche Mittelklasse ist bisher noch deutlich unterrepräsentiert. Das will Hyundai mit dem ab 43.900 Euro bestellbaren Ioniq 6 ändern. Der 1,50 Meter hohe und 4,86 Meter lange Neuzugang bringt neben der scharfen, vermutlich polarisierenden Optik reichlich Talente mit, die seiner Verbreitung zuträglich sein dürften.
Beim Design haben sich die Koreaner an den legendären Streamlinern der 1920er und 1930er Jahre orientiert. Und wer genau auf den kühnen Dachbogen und die ebenfalls gebogene Fronthaube schaut, erkennt vielleicht eine etwas näherliegende Reminiszenz, nämlich die an den ersten CLS von Mercedes. Krönender Abschluss ist das Heck mit gleich zwei beachtlichen Spoilern. Die einen finden's cool, die anderen übertrieben.
Autotest: Hyundai Ioniq 6
BildergalerieWie beim Crossover Ioniq 5 finden sich als spezielles Stilmittel auch am 6er reichlich Beispiele des "Parametric Pixel" -Designs: Mehr als 700 Pixel wurden montiert, etwa an den Scheinwerfern, unter dem Sensor an der Frontschürze und den Heckleuchten. Und sogar in der Lenkrad-Mitte wurden vier interaktive Pixel platziert.
Wo wir schon beim Innenraum sind: Mit Teppichen aus recycelten Fischernetzen oder wiederverwertetem PET-Gewebe für Sitze und Dachhimmel und Bio-Lack aus Pflanzenölen für die Türverkleidungen will die Hyundai-Submarke Ioniq ihre Nachhaltigkeit unterstreichen.
Dass auch die Innen-Designer und -Ergonomiker ihr Handwerk verstehen, zeigt sich bei der ersten Sitzprobe. Die zwei nebeneinanderliegenden 12,25-Zoll-Displays, die Programmtasten und die eigene Einheit für die Klimatisierung erleichtern die Bedienung und den Umgang mit dem Infotainment-System des Ioniq 6. Auch die Tasten und Kippschalter auf dem Lenkrad erfreuen Piloten, die von unpräzisen kleinen Touchpads anderer Hersteller genervt sind.
Rollende Alternative zum Home-Office
Das Platzangebot ist wegen des langen Radstands von knapp drei Metern angenehm luftig, nur im Fond kommen Großgewachsene wegen der Dachwölbung speziell bei den Varianten mit Glasschiebedach in Haar-Kontakt. Teils gegen Aufpreis und im Editionsmodell zum Start serienmäßig kann man sich im Ioniq 6 rundum verwöhnen lassen, beheizte und klimatisierte Ruhesessel, reichlich Ablagen und eine 230-Volt-Steckdose unter der Rücksitzbank verwandeln den Stromer auf Wunsch in eine rollende Alternative zum Home-Office.
Serienmäßig sind beispielsweise Voll-LED-Scheinwerfer und LED-Rückleuchten, 18-Zoll-Leichtmetallfelgen, eine Rückfahrkamera, beheizbare Vordersitze, zwei verschiedene Ladekabel und die elektrisch öffnende Heckklappe an Bord. Verwöhn-Faktor und Sicherheits-Level lassen sich durch die drei Pakete Dynamiq, Techniq und Uniq weiter steigern. Bis hin zum fernbedienbaren Parkassistenten, diversen weiteren Assistenzsystemen oder dem Matrix-Licht.
Der Kofferraum des Ioniq 6 ist wegen des Stromlinien-Designs nicht besonders üppig ausgefallen, Hyundai gibt ein Volumen von 401 Litern an. In den Frunk unter der Motorhaube passen bei Heckantriebsmodell nochmal 45 Liter, beim Allradler 15 Liter für Kleinkram wie Ladekabel und dergleichen.
Hyundai Ioniq 6 (2022)
BildergalerieAngetrieben wird der Ioniq 6 wahlweise von einem 111 kW / 151 PS oder 168 kW / 229 PS starken Heckmotor, ersterer wird mit einem Akku mit einer Kapazität von 53 kWh angeboten, das stärkere Aggregat mit dem auch im Spitzenmodell mit 239 kW / 325 PS und Allradantrieb installierten Stromtank mit 77,4 kWh. Und hier kommen natürlich der Stromverbrauch und die Reichweite ins Spiel: Dank des bisher für einen Hyundai besten cW-Werts von 0,21 (Mercedes EQS: 0,20) ist das laut Hersteller ein eher erfreuliches Thema.
Zwischen 13,9 und 16,9 kWh pro 100 Kilometer liegt der WLTP-Verbrauch, das sind jeweils um die 2,3 kWh weniger als beim Crossover-Bruder Ioniq 5. Die maximale Fahrtstrecke mit einer Akkufüllung geben die Koreaner mit 429 bis 614 Kilometern bei den Heckgetriebenen und mit 583 Kilometern beim Allradler an. Auch damit liegt der 6er deutlich vor dem 5er. Dank der natürlich auch im Ioniq 6 verwendeten 800-Volt-Architektur flutscht es beim Schnellladen nur so: In rund 18 Minuten soll die Akku-Füllung von zehn bis 80 Prozent über die Bühne gehen.
Und wie fährt sich der Ioniq 6?
Für die erste Testfahrt stand die 229-PS-Version zur Verfügung. Die sprintet laut Hyundai in 7,4 Sekunden von 0 auf 100 km/h und wird wie die anderen zwei Varianten bei 185 km/h abgeregelt. Seine Rolle als goldene Mitte spielt er ziemlich überzeugend: Mehr als nur ausreichend dynamisch, leise, sparsam. Nach der gemischten Testrunde mit ordentlich Autobahn- und Landstraßenanteil zeigte die Verbrauchsanzeige knapp 17 kWh an – auch etwas weniger wäre kein Problem gewesen. Die Karosserie spart wirklich kräftig Strom. Die Lenkung könnte ein bisschen definierter zu Werke gehen, sie wirkt auch im Sport-Modus einen Tick zu soft abgestimmt. Am Fahrwerk gibt es nichts auszusetzen, es ermöglicht problemlos auch ziemlich rasante Kurvenkombinationen, die Federung schluckt Unebenheiten brav weg.
Bei der Bedienung fallen die auf die Mittelkonsole gewanderten Fensterhebertasten negativ auf: Die gehören da einfach nicht hin. Und die Idee, den dicken Automatik-Wählhebel noch unter den Lenkstockhebel für die Scheibenwischer und zum rechten Rekuperations-Paddle zu packen, ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Noch ein Wort zu den Preisen: Das Basismodell startet bei 43.900 Euro – und diese Zahl ist eine Kampfansage an die Konkurrenz. Der gefahrene Version mit großem Akku und 229 PS kostet 54.000 Euro, für den Allradler muss man mindestens 61.100 Euro anlegen. Wird das Ausstattungspaket Uniq mitbestellt, fährt der Ioniq 6 mit einer annähernden Vollausstattung auf den Hof. Eines der wenigen zusätzlichen Extras ist in diesem Fall der digitale Außenspiegel mit Bildschirmen am Armaturenbrett, der noch einmal 1.300 Euro extra kostet.