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Fahrbericht Mercedes AMG E 63 S: Donnerkeil mit Businessgenen

02.12.2016 08:00 Uhr
Den neuen E63-S kennzeichnen ein neuer Kühlergrill mit Doppellamelle sowie gewaltige Lufteinlässe unter den Scheinwerfern und dem Kennzeichen.
© Foto: Daimler

Vernunft ist beim Autofahren nicht alles. Ein wenig Spaß darf auch dabei sein. Den kann man in Form einer Business-Limousine tarnen. Dieser sieht man die überbordende Kraft nicht direkt an.

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Von Peter Maahn/SP-X

Vergessen wir alles, was wir von der Business-Limousine E-Klasse bisher wussten. Mercedes macht aus dem braven Nutztier für Manager und Taxikunden ein Ungeheuer. Die AMG-Version hat 450 kW / 612 PS unter der Haube, die von einem Achtzylinder-Doppelturbo aus auf alle vier Räder verteilt werden. Bis zu 300 km/h sind möglich, den Spurt auf Tempo 100 erledigt der E 63 S in dreieinhalb Sekunden. Der Preis steht noch nicht fest, dürfte aber bei über 100.000 Euro beginnen.

Daimler-Chef Dieter Zetsche hatte gerade einen Gastauftritt bei den Grünen, fuhr in der S-Klasse mit Hybridantrieb zum Parteitag der Ökos vor. Nicht auszudenken, wenn der krawattenlose Vorstandsvorsitzende ein anderes Modell mit Mercedes-Stern den neuen E 63 gewählt hätte. Mit seinem dicken Vierliter-Achtzylinder hätte er die Hasskappe vieler Delegierter wohl auf ein bislang nie gekanntes Format anschwellen lassen.

Die stärkste E-Klasse aller Zeiten erfüllt alles, was Kritiker auf die Palme bringt. Viel zu viele Pferdestärken, viel zu hoher Verbrauch im Alltagsbetrieb, viel zu schnell für den Verkehr drumrum und dazu noch viel zu teuer für Normalverdiener. All das schwirrt durch den Kopf, bevor man sich für die erste Testfahrt in die Sportsitze des E 63 fallen lässt. Nüchtern betrachtet, erwartet man trotz der vernunftgesteuerten Vorbehalte zumindest ein technisches und optisches Meisterwerk, das neugierig macht. Denn Heerscharen von Ingenieuren hatten schließlich nichts Böses im Sinn, als sie sich aufmachten, ein an sich braves Auto vom Dr. Jekyll zum Mr. Hyde zu verwandeln.

Auffällig, aber nicht aufdringlich

Rein äußerlich ist die neue AMG-Version zwar auffällig, aber nicht aufdringlich. Die Frontpartie darf in dieser Form nur diese E-Klasse tragen. Neuer Kühlergrill mit Doppellamelle, gewaltige Lufteinlässe unter den Scheinwerfern und dem Kennzeichen. Dazu die breiteren Radhäuser, die wegen der um 1,7 Zentimeter gewachsenen Spur nötig wurden. Seitlich fallen die verkleideten Schweller auf, die den E 63 optisch etwas nach unten drücken. Am Heck dominiert der in die Kofferraumklappe integrierte Spoiler und die große Schürze, die zwei verchromten Doppel-Endrohre aufnimmt. So verdient sich die Arbeit der Designer mit Recht das Prädikat "elegante Sportlichkeit".

Wer mit der E-Klasse vertraut ist, findet sich im AMG-Innenraum schnell zurecht, muss sich allerdings mit einigen neuen Anzeigen auf den beiden breitgezogenen Monitoren vertraut machen, die vor allem bei Ausflügen auf die Rennstrecke mehr oder weniger spannende Informationen liefern. Natürlich wird der sicher stolze Eigner mit hochwertigen Materialien und exzellenten Sitzen verwöhnt, kann sich zudem aus der sicher reichhaltigen, aber noch nicht bekannten Preisliste je nach Kontostand bedienen. Soweit also alles Mercedes pur.

Nach dem Start zur ersten Erkundungstour gibt sich der E 63 zunächst unspektakulär. Die acht Zylinder schnurren überraschend sanft, dank der gewaltigen Durchzugskraft von 850 Newtonmetern reichen beim gemächlichen Mitschwimmen im Alltagsverkehr niedrige Drehzahlen aus. Unbemerkt vom Fahrer legt die Elektronik dabei immer wieder mal die Hälfte der Zylinder still. Das spart Sprit und hilft vor allem dabei, den Verbrauch nach derzeit geltender, heftig umstrittener Norm auf unter neun Liter zu drücken. All das gilt natürlich nur, wenn der Komfortmodus auf dem kleinen Drehschalter in der Mittelkonsole aktiviert ist.

Twist durch neun Gänge

Wer so viel Geld für eine Sportlimousine ausgibt, wird wohl oft zu diesem Schalter greifen, um die Sportstufen wählen. Dann twistet der Mercedes durch die neun Gänge der Automatik. Zudem wird diese E-Klasse entgegen ihrer ursprünglichen Bestimmung zum bollernden Radaubruder. Den Passanten oder just Überholten soll schließlich nicht verborgen bleiben, was da gerade vorbeischießt. Alles aber im erlaubten Gesetzesrahmen, versichert Mercedes. Bei der Kurvenhatz um die Serpentinen hinauf zu einer abgelegenen Rennstrecke bewährt sich dann ein weiteres technisches Highlight. Der völlig neue entwickelte Allradantrieb verteilt die Kraft so genial, dass selbst nach engen Kurven sofort wieder Power an die Räder kommt. An welche, entscheidet das Supergehirn in Bruchteilen von Sekunden. Ganz nebenbei bietet der AMG so neben der erwarteten Sportlichkeit ein großes Plus an Sicherheit, wenn denn dem couragierten Hobbyrennfahrer mal das Talent ausgeht.

Hinzu kommen ein neu entwickeltes Fahrwerk, natürlich extrem wirksame Bremsen, eine gewohnt exakte Lenkung und all die elektronischen Assistenzsysteme, die das prall gefüllte Mercedes-Regal hergibt. Letztere allerdings können auf der Rennstrecke in verschiedener Ausprägung deaktiviert werden. Die dann wildgewordene E-Klasse kann zum Driften animiert werden, bis die Pneus den Gummi zum Qualmen bringen. Den Reifenhändler wird’s freuen, den Tankwart ebenso. Denn der Hunger des Boliden entfernt sich meilenweit von erwähnter Norm. Klar doch, denn die bei dieser Gangart schuftenden acht Zylinder wollen gefüttert werden, um die beiden Turbos zu Höchstleistungen zu animieren. Die betuchten Eigner wird es kaum kümmern, wie hoch die goldene Kreditkarte belastet wird.

Dabei werden diese Zusatzkosten vornehmlich von amerikanischen Konten abgebucht. Denn in den USA werden wohl die meisten der beiden E 63-Versionen ihre Fans finden, die sich dann vor allem für die Power-Version entscheiden werden. Obwohl im Angebot ja auch noch ein AMG ohne "S" lockt, der mit 420 kW / 571 PS etwas Respektabstand zur 600-PS-Grenze hält. Für ihn gilt der vermutete Einstiegspreis von über 100.000 Euro.

Welcher AMG auch immer, dieser Neuling wird für heftige Diskussionen sorgen. Vor allem bei denen, die wohl nie Gelegenheit finden werden, ihn von innen heraus zu erleben. Die paar hundert Stück, die pro Jahr in Deutschland an den Mann gebracht werden, dürften die Welt nicht verändern. Vielleicht aber den Blick auf die ehrwürdige Stuttgarter Firma noch mehr in Richtung Sportlichkeit lenken. Auch wenn nicht in jedem Stern-Fahrer ein kleiner Nico Rosberg steckt.


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