Manch großes Projekt beginnt mit einer spontanen Idee. Die Marke Tesla beispielsweise wurde gegründet, weil sich ein Software-Entwickler nach der Scheidung von seiner Frau mit einem rassigen Elektro-Sportwagen trösten wollte, es aber noch keinen gab.
Ähnlich spontan entstand auch die Idee von Jim Ratcliffe, einen Hardcore-Offroader zu bauen. 2016 saß der britische Milliardär und Chef des weltweit viertgrößten Petro-Chemieunternehmen Ineos mit seinem Technik- und Ingenieurschef Dirk Heilmann im Londoner Pub Grenadier. Beide verbindet eine heiße Liebe zu Geländewagen im Allgemeinen und zum Land Rover Defender im Speziellen. Doch Anfang 2016 war der Landy nach altem Schlag bereits Geschichte. Und was die Briten als Nachfolgermodell vorstellten, wollte Ratcliffe so gar nicht gefallen. Ebenso wenig wie Mercedes G-Klasse oder Toyota Land Cruiser. Zu viel Elektronik, zu komplex. In Ratcliffes Vorstellung verzichtet der ideale Geländewagen auf technischen Schnickschnack, ist einfach zu reparieren und kompromisslos geländegängig.
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Mit den nötigen finanziellen Mitteln in der Hinterhand und einer gehörigen Portion Enthusiasmus ließ der Brite die Idee prüfen und gab 2017 grünes Licht für die Entwicklung des Ineos Grenadier – benannt nach dem Pub in London. Wie Mercedes bei der G-Klasse und viele andere Automarken setzte Ratcliffe auf die Offroad-Expertise von Magna Steyr. Die Österreicher stellten einen Geländewagen auf die Räder, der optisch stark an den letzten Defender erinnert und mit Komponenten aller namhaften Zulieferer ausgerüstet ist. BMW liefert die Sechszylindermotoren, ZF die Automatik, Recaro die Sitze und Carraro die Starrachsen.
Doch ohne ein weltweites Vertriebs- und Servicenetz, das war den Briten von Anfang an klar, wäre das Projekt zum Scheitern verurteilt. Kein Kunde soll mit seinem Grenadier im Dschungel Australiens oder der Wüste Afrikas liegen bleiben, weil womöglich ein Ersatzteil nicht greifbar ist. Ganz oben auf der Prioritätenliste aber stand Europa mit Großbritannien, Deutschland und der Schweiz als den Märkten, in denen die Briten die größten Absatzpotenziale für den Grenadier sehen.
Ineos Grenadier (Fahrbericht)
BildergalerieWährend in Graz die Computer der Entwickler heiß liefen, glühten die Drähte der Vertriebsabteilung. Mittlerweile steht das Händler- und Servicenetz in 16 europäischen und weltweit 50 Märkten. Zusätzlich entstand ein weltweites Netzwerk an Werkstätten, die den Service übernehmen, darunter viele Bosch-Dienste. So sei die Reparatur- und Teileversorgung auch in entferntesten Regionen sichergestellt, sagt der europäische Vertriebs- und Marketingleiter Klaus Hartmann. "Wenn's hart auf hart kommt, haben wir ein Team von Flying Doctors, die ganz schnell aufbrechen und helfen können."
Offroad-Erfahrene Markenhändler an Bord
Bestellen kann man den Grenadier nur online im Direktvertrieb. Manche Kunden überfordert das, sie scheitern bei der digitalen Signatur. Spätestens dann kommen die Händler doch ins Spiel. Denn ein komplexer Geländewagen mit drei Sperren, Untersetzung, Winden und jeder Menge Offroad-Zubehör sei schon erklärungsbedürftig, sagt Hartmann. Deshalb nahm er vor allem Autohausbetriebe mit Erfahrung im Offroadsektor unter Vertrag. Beispielsweise Mercedes-Händler, die ja auch die G-Klasse vertreiben, oder BMW-Betriebe, die den Antriebsstrang bereits kennen.
Parallel laufen im ehemaligen Smart-Werk im lothringischen Hambach, das Ineos von Daimler übernahm, die ersten Autos vom Band. Bis zu 35.000 Stück pro Jahr kann Ineos dort im Zweischicht-Betrieb bauen. Der Grenadier allein wird die Produktion aber nicht auslasten. Deshalb folgen Ende des Jahres Varianten mit längerem Radstand: ein Pick-up sowie ein reduziertes Modell für gewerbliche Kunden. Aber erst 2026, wenn in Hambach auch ein kleiner, vollelektrischer Offroader vom Band läuft, wird sich zeigen, ob Jim Ratcliffes spontane Eingebung ebenso gezündet hat wie der Start von Tesla.
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