Der Vorteil den Konzerne besitzen, ist glasklar: Man kann intern viele Dinge für viele Dinge nutzen und so das jeweilige eigene „Ding“ schneller in die Profitzone befördern. Das ist bei Elektronikgeräten so und natürlich auch bei Automobilen – Stellantis ist da vielleicht der Konzern, der es auf die Spitze treibt. Der Volkswagen-Konzern hat ebenfalls viele Marken unter einem Dach, die zusammen gut neun Millionen Fahrzeuge in 2023 in die Welt setzten. Der VW Tiguan ist der meistverkaufte Pkw des Unternehmens, das rund 650.000 Mitarbeiter weltweit beschäftigt. Dem Tiguan an den Fersen klebt der Passat. 2023 hat Letzterer den deutschen „Flotten-Thron“ um lediglich 50 Einheiten verpasst. Mit 33.509 Zulassungen ging der Titel eine Klasse tiefer an den Skoda Octavia – beide werden übrigens zu rund 90 Prozent als Kombi verkauft.
VW Passat Variant Fahrbericht (2024)
BildergalerieVW Passat wird erstmals in Bratislava gefertigt
Auch das war ein Grund für VW den neuen Passat ausschließlich als Kombi, also Variant, nun in Bratislava vom Band rollen zu lassen. Parallel übrigens mit dem neuen Skoda Superb, der jedoch weiterhin als „Combi" und Limousine produziert wird. Sowohl der Passat als auch der Superb werden nicht rein elektrisch angeboten. Plug-in-Hybrid-Antriebe mit einer WLTP-Reichweite von 100 Kilometern sind das höchste der Elektrifizierung. Wer dauerhaft elektrisch fahren will, soll bei VW fortan zum ID.7 greifen oder zum ID.7 Tourer, wie der Variant beim ID.7 getauft wurde.
Damit sich der neue Passat noch „rechnet“, hat man nicht nur den VW von Emden in die Slowakei befördert, sondern auch den zeitgleich startenden neuen Skoda Superb, der bislang in Kvasiny (Tschechien) produziert wurde. Dass die beiden vom selben Band laufen, verwundert kaum. Wer sich die Kombis ab der A-Säule ansieht, wird erst wieder an der Heckklappe Differenzen feststellen.
Sei’s drum. Die erste Fahrgelegenheit hatten wir mit dem Passat. Das Frontdesign bleibt unmissverständlich Passat. Scharf gezeichnete Scheinwerfer, eine modellierte Motorhaube und eine riesige Frontschürze, egal, ob Elegance-Version oder R-Line-Ausstattung wirken wenig zurückhaltend. 0,25 lautet dennoch der günstige cw-Wert. Der wird sicherlich nur mit den mickrigen 16-Zoll-Alufelgen erreicht, die Serie bei den Ausstattungen Basis und Business sind. Die Kombination aus 4,92 Metern (plus 14 Zentimeter) Fahrzeuglänge und Kleinwagen-Rädern dürfte in der Realität eher merkwürdig aussehen. Auf den beiden Testwagen (150-PS-TDI in grün mit 18 Zoll und blauer 193-PS-TDI mit 19 Zoll) wirkt die montierte Bereifung hingegen stimmig und die Differenzierung der Ausstattungslinien spiegelt sich im Design wider. Das Heck des neuen Passat ist modern gestaltet, aber: Es könnte auch fast jedes andere Emblem in der Mitte platziert werden. Schade eigentlich.
Innenraum wie man ihn im VW Passat erwartet
Etwas mehr Heimatgefühl bekommt man beim Drinsitzen. Vor allem hinter dem Steuer wirken die Details vertraut. Die Lenkradtasten sind nach wie vor physisch vorhanden. Auf die schlecht bedienbaren kapazitiven Bedienflächen, die es beispielsweise in den ID-Modellen noch immer gibt, hat man verzichtet – die Kritik der Kunden und Medien war auch kaum zu überhören. Das neue Infotainmentsystem MIB4 kann nun ChatGPT. Soll heißen, es soll besser auf Sprachansagen oder -fragen antworten können. IDA, wie der Intelligent Digital Assistant getauft wurde, kann dennoch nicht so viel, wie man 2024 einfach mal voraussetzt. Dafür ist die Oberfläche des Systems nun stärker individualisierbar und es sind viele Schnellzugriffe möglich. Ein komplettes Verdunkeln des Info-Screens hat VW jedoch nicht berücksichtigt. Schade, denn die wichtigsten Inhalte lassen sich nun endlich in einem echten Head-up-Display (im Business-Premium-Paket für 2.170 Euro brutto enthalten) anzeigen und reichen bei Nachtfahrten meistens aus. Das leidige Klappdisplay auf dem Armaturenbrett gehört nun der Vergangenheit an, anders als im neuen Mini Countryman, da erlebt es erstaunlicherweise zeitgleich seinen zweiten Frühling.
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Kritik an zu wenig Platz im Fond gab es beim Passat B8 (Vorgänger) eher selten. Dennoch gibt es jetzt (noch) mehr – ob man ihn benötigt (eher selten) oder nicht. Hatte der letzte Skoda Superb noch einen Vorteil in dieser Disziplin, liegen die beide nun logischerweise gleichauf. So heißt es vorn teil- oder vollelektrisch die AGR-Sitze (ab Business Serie) einstellen und seine perfekte Sitzposition finden. Sogar die Kopfstütze lässt sich in der Tiefe verstellen und hängt damit nicht direkt am Hinterkopf. Das digitale Kombiinstrument entspricht dem des neuen Tiguan ebenso der Rest vom Armaturenbrett. Die Handyablage ist nun rutschfest und das Induktivladen funktioniert nicht nur zuverlässig, sondern sogar gekühlt und damit akkuschonender. Mit dem neuen Automatik-Wählhebel in der Lenkstockschalter-Position muss man sich vielleicht noch etwas arrangieren, ansonsten heißt es aber: Gentlemen, start your engine.
Im VW Passat wird die Langstrecke zur Kurzdistanz
Knopf auf der Mittelkonsole drücken und der Zweiliter-Diesel startet mit typischem VW-Geknurre. Nach kurzer Zeit ist der Vierzylinder warm und man nimmt ihn bei normaler Fahrt kaum mehr wahr. Einen Anteil an den niedrigen Geräuschen hat die Akustikverglasung, die ab der Ausstattungslinie Elegance Serienbestandteil ist und beim Business-Passat mit 277 Euro extra berechnet wird – bitte hinzuwählen. Denn selten sind wir ein Mittelklassefahrzeug gefahren, das so leise ist. Egal, ob es Wind-, Motor- oder Abrollgeräusche der 235er-Reifen (wie erwähnt: Testwagen mit 18 und 19 Zoll) sind, zu hören ist kaum etwas. Das bedeutet per se, dass der Passat nochmals an Fahrkomfort zugelegt hat.
VW hebt diesbezüglich vor allem das neue adaptive Fahrwerk hervor, DCC-Pro wird es genannt. Es wurde im Vergleich zum Vorgänger nochmals verfeinert und bietet eine sehr große Spreizung zwischen Komfort (fast schon sänftenartig wankend) und Sport. Doch selbst wenn der Regler voll auf Sport steht, ist dieser Kombi nicht nur sehr behände, sondern immer noch mit ausreichend Restkomfort unterwegs. Voll auf Komfort getrimmt, haben wir jedoch beim Frontantrieb eine latente Poltertendenz an der Vorderachse mitbekommen. Das war beim Allradmodell nicht der Fall. Die installierte Progressivlenkung verringert die Kurbelei am Volant um gut eine halbe Umdrehung und lässt den Riesen noch handlicher erscheinen, sie gibt es im Business-Premium-Paket oder in Kombination mit DCC-Pro (1.290 Euro). Am Wendekreis von mindestens 11,9 Metern mit 16-Zoll-Bereifung ändert das nichts. Das Pedalgefühl der Bremse kommt dem Optimum sehr nahe und man stoppt zentimetergenau. All das macht den Riesen aus Bratislava zum echten Fahrerauto, das sogar Fahrspaß bieten kann, sofern den noch einige Piloten zu schätzen wissen.
Allradantrieb im VW Passat meist überflüssig
Egal, für welchen Unterbau man sich entscheidet, beim Motor ist die Wahl für Vielfahrer einfach: Der 2.0 TDI mit 150 PS macht das Rennen. Das serienmäßige Siebengang-DSG schaltet schnell und fast unmerklich ändert sich die Drehzahl. Bei voller Beschleunigung brummt der 150er tiefer und damit etwas angenehmer als der starke Bruder mit 193 PS. Die Fahrleistungen sind bereits beim 150er über jeden Zweifel erhaben und der Mehrpreis von schätzungsweise rund 5.000 Euro zum Allrad-TDI mit 193 PS (der Preis des 2.0 TDI 4Motion mit 193 PS wurde noch nicht bekannt gegeben) sollte nur bezahlt werden, wenn man vier angetrieben Räder aus regionalen Gründen (Schnee) oder wegen Zug-Aufgaben (Anhänger) benötigt.
Das verfeinerte Allradsystem, das in etwa 70 Kilogramm extra in den mindestens 1.700 Kilogramm schweren Passat TDI bringt, wechselt im Hängerbetrieb automatisch in den Trailermodus und passt die Kraftverteilung besser an die veränderte Gewichtsverteilung an. Zwei Tonnen dürfen dort angehängt werden. Das Extra an Leistung (+43 PS) und Drehmoment (+40 Nm) des stärksten TDI ist im Alltag selten erfahrbar. In vielen Fällen wird wohl sogar der später startende 2.0 TDI mit 122 PS ausreichen. Die goldene Mitte ist dennoch unsere erste Wahl, um schnell Meter auf der Autobahn zu machen. Der WLTP-Verbrauch wird mit fünf Litern angegeben und selbst wer etwas schneller unterwegs ist, schafft mit dem 66-Liter-Tank spielend 1.000 Kilometer. Und ja, es gibt Menschen, die fahren die Strecke Hamburg–München (rund 800 Kilometer) legal in sechs Stunden ohne Tankstopp und freuen sich, im eigenen Bett schlafen zu können oder früher Zeit mit Familie und Freunden verbringen zu dürfen.