Kungsportsavenyen ist gesäumt von niedrigen Plattenbauten und graubraunen Gründerzeitbauten. An diesem kühlen, grauen Frühlingstag hasten nur wenige Menschen über Göteborgs Haupteinkaufsstraße. Und auch der Vergnügungspark Liseberg 200 Meter weiter ist noch geschlossen. Die größte Halle dort ist überdies gerade abgebrannt. Düster ragen angekokelte Träger aus dem eingestürzten Dach in den Himmel. Nicht gerade das, was Touristen sich so unter Astrid Lindgrens Schweden vorstellen.
Schon bald könnte die Industriestadt am Kattegat-Ufer allerdings für mehr Besucher einen Abstecher in der Schweden-Tour wert sein: Denn diese Woche eröffnet an einem Hügel gleich gegenüber die "World of Volvo". Und die bietet ganz viel, was nicht nur Touristen an dem skandinavischen Land und seiner Lebensart lieben.
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Anders, als es der Name suggeriert, ist von der schwedischen Marke, ihren Autos, Lkw oder Baumaschinen auf den ersten Blick gar nichts zu sehen. Es ist vielmehr die Natur, die ins Auge fällt. Denn die neue Erlebniswelt erstreckt sich über eine Fläche von drei Fußballfeldern – und das meiste davon kann jedermann betreten, ohne dafür Eintritt zu zahlen. "Allemansrätten ist uns ganz wichtig", betont Roger Alm, Vice President der Volvo Group: das Grundrecht aller Bürger also, sich auf jedem Grundstück frei bewegen zu dürfen. Auch das kreisrunde Design der World of Volvo soll Besucher dazu einladen. Und an der haushoch verglasten Front müssen sie dabei nicht innehalten.
Das erste Grün sprießt auch schon rings um das zentrale Gebäude, Flechten und Moose überwuchern die typischen Granitfelsen der Region und vor der Eingangstür gurgelt das Flüsschen Mölndalsån. Das lässt einen glatt vergessen, dass auf den anderen Seiten verfallene Industriehallen, Schnellstraßen und die Autobahn das Gelände umgeben. Denn der Blick wird ohnehin von Anderem gefesselt.
Größter und komplexester Holzbau in Skandinavien
Mittendrin steht schließlich der größte und komplexeste Holzbau in Skandinavien. Geformt wie ein Blätterdach von drei riesigen Bäumen aus hellem Holz greift Architekt Martin Stenberg die typische Landschaft und die Bau-Tradition Schwedens zugleich auf. Die 110 Meter Durchmesser und fünf Zwischenebenen liegen so fast völlig einsehbar vor den Besuchern.
World of Volvo in Göteborg
BildergalerieBis zu 34 Meter lange Balken und Säulen bestehen aus einem speziellen Brettschichtholz, die mit einem ebenso speziellen Strukturklebstoff miteinander verbunden sind. Die holzverkleideten Stahlverbindungen der Balken sind vom österreichischen Holzbau-Spezialisten Wiehag millimetergenau berechnet. Es gelte schließlich, Tonnen von Gewicht zu tragen, so Stenberg. Etwa die zwei Stockwerke, die von unten unsichtbar noch auf dem Dach thronen, eventuelle Schneemassen im langen Winter – und nicht zuletzt Fahrzeuge aus 97 Jahren Firmengeschichte. Denn natürlich geht es in der Erlebniswelt auch ganz wesentlich um den Beitrag Volvos zur Mobilität. Und das sind für die meisten Besucher natürlich Autos.
Schätze aus dem früheren Museum
Darum stehen auf einer Fläche in Stockwerk drei, groß wie zwei Handballfelder, dicht gedrängt zwei Dutzend Schätze aus dem früheren Volvo Museum. Natürlich der ÖV 4, Volvos allererstes Auto von 1927. Der Vierzylinder sieht auf seinem Leiterrahmen ziemlich wie der damalige Bestseller Ford T-Modell aus – und von dem haben sich die Gründer ja auch inspirieren lassen. Noch billiger und robuster sollte das Fahrzeug sein. 28 PS und 90 Kilometer Höchstgeschwindigkeit passten prima in die Zeit. Weniger das Faktum, dass der Prototyp bei seiner Jungfernfahrt wegen einer falsch montierten Gangschaltung nur rückwärts fahren konnte.
Das verschweigen die Aussteller nicht – und vielleicht war ja auch diese Erfahrung Ansporn dazu, künftig viel mehr als nur ein besseres Einfach-Auto bauen zu wollen. Deswegen stehen zur Eröffnung Mitte April vor allem Volvos im Mittelpunkt, die den Menschen einen echten Mehrwert bringen sollten. "Omtanke" war schon da das Motto; so ungefähr lässt sich das mit "fürsorglichem Bemühen um den Nächsten und die ganze Umwelt" übersetzen. So ist etwa mit dem knapp anderthalb Meter kurzen "Elbil" ein Elektroauto zu sehen, mit dem Schwedens Post schon 1976 die Briefe emissionsfrei zustellen konnte.
Das "YCC Your Concept Car" aus dem Jahr 2004 sollte, von Frauen für Frauen entwickelt, besonders praktische Features bieten – etwa einen Wischwasser-Einlass neben dem Tankstutzen, so dass Frau nicht unter der schmutzigen Motorhaube rumwurschteln muss. Und ganz zentral steht auch das "VESC": Volvos Experimental Safety Car von 1972 hatte schon eine riesige Rückfahrkamera mit Röhrenmonitor und einen gewaltigen, aber elastisch-nachgiebige Kunststoff-Stoßfänger vorn. Sicherheitsideen, die später in die Serie kamen.
Volvo EX30 in Schweden
BildergalerieVor allem Sicherheit ist schließlich Kernwert allen "Omtanke"-Handelns von Volvo, wie Manager Alm betont. Die ersten Serieneinsätze von Dreipunkt-Sicherheitsgurten, gezielter Einsatz von Schwedenstahl, Kindersitzkissen, Seiten-Airbags oder Pioniertaten bei Unfallforschung und Crashtests brachten immer wieder konkrete Fortschritte bei Fahrzeugen wie dem PV 444, Amazon oder 240; Modelle, die auch deswegen das Image der Marke geprägt haben. Natürlich sind auch sie in der Ausstellung zu sehen.
Lkw, Trecker, Penta–Boote, Busse und Bagger
Genauso übrigens wie historische Lkw wie der Titan Turbo oder L248 "Rundnos", die nicht nur Trucker begeistern. Und auch Trecker, Penta–Boote, Busse oder Bagger sind zu sehen – schließlich wird die Ausstellung von allen Volvo-Gesellschaften bestückt. Apropos Bagger: Bei denen kann der Besucher sich sogar selbst ans Steuer setzen – und kräftig in bunten Bällen wühlen. Sowas dürfen ja sonst nur die lieben Kleinen im Bällebad bei Ikea.
Auf der Ausstellungsfläche gibt es zudem interaktive Flächen, auf denen Menschen ihr Reaktionsvermögen testen können, unterhaltsam animiert durch Gefahren des virtuellen Alltagsverkehrs navigieren oder wichtige Sicherheits- und Umweltfeatures erklärt bekommen. Ach ein bisschen spacige Computerkunst gibt es zu sehen – mit eher luftiger Verbindung zur mobilen Welt. Die mehreren hunderttausend Besucher, die Volvo pro Jahr erwartet, werden aber garantiert ständig wechselnde Einblicke in die Autogeschichte bekommen. Rund 270 Oldtimer stehen schließlich allein bei Volvo Pkw in der Garage. Es gibt also noch viel zu zeigen.
Wer sich die 20 Euro Eintritt spart, kann in der World of Volvo übrigens auch ein Konzert, Diskussionen oder Kongresse besuchen – vieles davon über die kostenfrei betretbaren Bereiche. Die riesigen Stämme der Holzbäume beherbergen dazu neben der eigentlichen Ausstellung auch Konferenzräume verschiedener Größe – mit Blick in unverbaute Natur über das angeschrägte und begrünte Dach und durch bunte Wände und Kuschel-Sofas typisch "hyggelig" ausgestattet. Ein großer Veranstaltungssaal soll darüber hinaus Stars in die Volvo-Welt locken und Sterne-Koch Stefan Karlsson im ersten Stock für skandinavische Geschmackserlebnisse sorgen. Das ganze Bauwerk ist natürlich auch im höchsten Öko-Baustandard zertifiziert. Lautlos bringt die Besucher auf Wunsch auch ein Elektrobus direkt vors Haus. Eine saubere Sache.
Das ist auch eine ökologische Botschaft an die Kundschaft aus Nordamerika, die sich ihr Neufahrzeug künftig dort in Göteborg abholt. Das Arrangement der Händlerschaft ist in den USA und Kanada sehr beliebt, verbunden mit einem Kurzurlaub in der schwedischen Natur, vorzugsweise im vollelektrischen Fahrzeug. In den Wäldern, an Küste und Seen oder hyggeligen Dörfern außerhalb von Göteborg lässt sich dann Allemansrätten und Omtanke noch einmal ganz hautnah erfahren. Denn solcherart World of Volvo ist ja eigentlich in Schweden fast überall.